Aelius Ariſtides. 895
Eine Vergleichung zwiſchen den Religionsanſchauungen des
Ariſtides und denen des Plutarch wäre im höchſten Grade lehr—
reich, um ſo mehr, da beide als typiſche Erſcheinungen gelten
können. Gewiß war Plutarch, wenn auch der Götterglaube bei
ihm natürlich nicht mehr den naiven Charakter hat, wie vor dem
Auftreten der Philoſophie, dem Volksglauben aufrichtig ergeben
und befolgte die religiöſen Vorſchriften nicht aus Konvenienz,
ſondern aus Ueberzeugung. In dieſer Hinſicht kann man ihn
vielleicht den letzten Griechen nennen. Denn es hat nach ihm
ſchwerlich noch einen zweiten bedeutenden Mann gegeben, bei dem
Götterglaube und Götterverehrung ſo ganz dem echteſten Zuge
des helleniſchen Nationalcharakters, der Freude am Heiteren und
Künſtleriſchen, entſprungen ſind. Ferner ſteht der oberſte Grund—
ſatz aller helleniſchen Moral, das „Nichts zu viel!“ als höchſte
Norm auch über ſeiner Gottesverehrung und leitet ihn an, die
Götter zwar zu ſcheuen und zu ehren, aber nicht ängſtlich zu
fürchten, namentlich aber nicht überall ihr Eingreifen zu arg—
wöhnen, ſondern der freien Thätigkeit des Menſchen ihr Recht zu
wahren. Und gerade dies iſt echt antik. Der Satz: „Hilf dir
ſelbſt, ſo hilft dir Gott“ kehrt nicht nur in zahlreichen Variationen
gerade bei den religiöſeſten griechiſchen Schriftſtellern und Dichtern
der älteren Zeit wieder, ſondern er war auch für die Praxis von
weittragendſter Bedeutung. Wie ſehr kontraſtiert mit dieſer An—
ſchauungsweiſe der blinde Aberglaube eines Ariſtides, der ſich mit
gebundenen Händen ſeinem Schutzgott überantwortet. Und wenn
die ängſtliche Wunderſucht desſelben beſtändig auf Träume lauſcht
und überall göttliche Ratſchläge zu vernehmen glaubt, ſo ſtimmt
hingegen Plutarch auch darin mit den Beſten ſeiner Nation überein,
daß er auf Träume und dergleichen alltägliche Zufälligkeiten wenig
Gewicht legt und es den Ungebildeten überläßt, darin Götter—
ſprüche zu erblicken.
Ariſtides hatte die höchſte Meinung von ſeiner Miſſion und
war ohne Zweifel überzeugt, einer der Vorkämpfer für helleniſche
Bildung und Religion zu ſein. Im Grunde aber iſt dieſer Halb—
grieche ſchon nicht mehr im ſtande, das Weſen des Griechentums
zu begreifen. Seine Geiſtesrichtung, ſoviel er ſich auch auf
ſeinen Hellenismus zu gute that, gehört ſchon zur Hälfte dem
Mittelalter an. Und gewiß waren von dieſer Art viele unter
den Anhängern des Heidentums, die in dem bald darauf heftiger
entbrennenden Kampfe zwiſchen beiden Religionen die Führerrolle
übernahmen.
Eine Vergleichung zwiſchen den Religionsanſchauungen des
Ariſtides und denen des Plutarch wäre im höchſten Grade lehr—
reich, um ſo mehr, da beide als typiſche Erſcheinungen gelten
können. Gewiß war Plutarch, wenn auch der Götterglaube bei
ihm natürlich nicht mehr den naiven Charakter hat, wie vor dem
Auftreten der Philoſophie, dem Volksglauben aufrichtig ergeben
und befolgte die religiöſen Vorſchriften nicht aus Konvenienz,
ſondern aus Ueberzeugung. In dieſer Hinſicht kann man ihn
vielleicht den letzten Griechen nennen. Denn es hat nach ihm
ſchwerlich noch einen zweiten bedeutenden Mann gegeben, bei dem
Götterglaube und Götterverehrung ſo ganz dem echteſten Zuge
des helleniſchen Nationalcharakters, der Freude am Heiteren und
Künſtleriſchen, entſprungen ſind. Ferner ſteht der oberſte Grund—
ſatz aller helleniſchen Moral, das „Nichts zu viel!“ als höchſte
Norm auch über ſeiner Gottesverehrung und leitet ihn an, die
Götter zwar zu ſcheuen und zu ehren, aber nicht ängſtlich zu
fürchten, namentlich aber nicht überall ihr Eingreifen zu arg—
wöhnen, ſondern der freien Thätigkeit des Menſchen ihr Recht zu
wahren. Und gerade dies iſt echt antik. Der Satz: „Hilf dir
ſelbſt, ſo hilft dir Gott“ kehrt nicht nur in zahlreichen Variationen
gerade bei den religiöſeſten griechiſchen Schriftſtellern und Dichtern
der älteren Zeit wieder, ſondern er war auch für die Praxis von
weittragendſter Bedeutung. Wie ſehr kontraſtiert mit dieſer An—
ſchauungsweiſe der blinde Aberglaube eines Ariſtides, der ſich mit
gebundenen Händen ſeinem Schutzgott überantwortet. Und wenn
die ängſtliche Wunderſucht desſelben beſtändig auf Träume lauſcht
und überall göttliche Ratſchläge zu vernehmen glaubt, ſo ſtimmt
hingegen Plutarch auch darin mit den Beſten ſeiner Nation überein,
daß er auf Träume und dergleichen alltägliche Zufälligkeiten wenig
Gewicht legt und es den Ungebildeten überläßt, darin Götter—
ſprüche zu erblicken.
Ariſtides hatte die höchſte Meinung von ſeiner Miſſion und
war ohne Zweifel überzeugt, einer der Vorkämpfer für helleniſche
Bildung und Religion zu ſein. Im Grunde aber iſt dieſer Halb—
grieche ſchon nicht mehr im ſtande, das Weſen des Griechentums
zu begreifen. Seine Geiſtesrichtung, ſoviel er ſich auch auf
ſeinen Hellenismus zu gute that, gehört ſchon zur Hälfte dem
Mittelalter an. Und gewiß waren von dieſer Art viele unter
den Anhängern des Heidentums, die in dem bald darauf heftiger
entbrennenden Kampfe zwiſchen beiden Religionen die Führerrolle
übernahmen.