950 Deutſches Studentenleben im 16. und 17. Jahrhundert.
Nicht ohne Einwirkung politiſcher Verhältniſſe ging die Gründung der
Prager Univerſität vor ſich (1348), die Rivalität des Hauſes Habsburg gegen
das Haus Luxemburg führte die Stiftung der Wiener Hochſchule herbei (1365).
Vier Nationen bildeten in Prag die Univerſitas, vier Nationen auch in
Wien, ebenſo war die Einrichtung von Prokuratoren, den Vertretern der
Nationen, die Wahl des Rektors durch dieſe, die Zugehörigkeit dieſes Hauptes
der Univerſität zur philoſophiſchen, oder wie man damals ſagte, zur artiſtiſchen
Fakultät, die Vertretung der drei anderen Fakultäten durch Dekane, genau
nach dem Muſter der Pariſer Hochſchule eingerichtet. Lehrer und Schüler, wie
ihre Diener, Angehörigen und Boten genoſſen volle Steuer-, Abgaben- und
Zollfreiheit und beſaßen einen eigenen privilegierten Gerichtsſtand.
Für den Rahmen dieſer Arbeit iſt es unnötig, die Gründungsgeſchichte
der deutſchen Univerſitäten durchzugehen; nur ſo viel ſei einleitend erwähnt,
daß bis zum Anfang der Reformation mit päpſtlicher und kaiſerlicher Ge—
nehmigung außer Prag und Wien dreizehn Univerſitäten geſtiftet wurden,
von denen Heidelberg, Leipzig, Roſtock, Greifswald, Freiburg i. B., Tübingen
noch beſtehen, während Köln, Erfurt, Ingolſtadt, Wittenberg und Frankfurt a. O.
teils ganz aufgehoben, teils verlegt wurden. Humanismus und Reformation
riefen neue Hochſchulen hervor wie Marburg, Königsberg, Jena und die längſt
eingegangenen zu Helmſtädt und Altdorf, im 17. Jahrhundert erſtanden Gießen,
Straßburg und die erloſchene Hochſchule zu Rinteln, während zugleich eine
Reihe Jeſuitenſchulen dem Proteſtantismus Paroli bieten ſollten.
Das was wir „ſtudentiſches Leben“ nennen, entwickelte ſich naturgemäß
erſt an den proteſtantiſchen Univerſitäten: Freiheit des Lehrens, des Lernens,
des Lebens gingen Hand in Hand. Das Grundprinzip der Reformation fand
ſtets den kräftigſten Ausdruck auf den deutſchen Univerſitäten, ſie trugen den
neuerwachten Geiſt und wurden von ihm getragen. Der Gedanke, der weit
ſpäter ſeine Formulierung fand: Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei, war
Grund- und Eckſtein der deutſchen Hochſchulen, und aus der Freiheit des
Lehrens und Lernens floß die Freiheit des Lebens. Wer wollte ſich wundern,
wenn fürs erſte alle diejenigen, die ſo lange Feſſeln getragen, ihrer Banden
befreit in wildem Taumel dahinſtürzten, wenn die Befreiung zur Maßloſigkeit
führte, die Freiheit oft zur Frechheit und Roheit ward? Die ganze Zeit war
eine Zeit der Gärung und Zerſtörung, auf allen Seiten Auflöſung der Jahr—
hunderte hindurch erſtarrten Verhältniſſe, neuer Glauben und neues Wiſſen,
ein eifriges Regen und Bewegen auf allen Gebieten des Menſchendaſeins.
Gewiß, das 16. und 17. Jahrhundert war deſtruktiv, es zertrümmerte alte
Autoritäten, ohne noch neue an Stelle deſſen ſetzen zu können, es zerſtörte,
ohne aufzubauen, es ſäete wohl Keime, aber ſie erblühten erſt ſpäter. Neben
den Kämpfen auf geiſtigem Gebiete die Kämpfe der Parteien, das Gezänk der
Theologen neben blutigen Waffenkämpfen. Dann kam die Zeit der Gegen—
reformation und mit ihr neue Wirrnis, ihr folgte der grauenvollſte Krieg,
Das ſchließt nicht aus, daß auch an katholiſchen Univerſitäten liederliche Studenten eriſtierten.
Für Aöln liegen jetzt intereſſante Mitteilungen vor in „Das Buch Weinsberg“, — Denkwürdig⸗
keiten aus dem 16. Jahrhundert, bearbeitet von Konſtantin Höhlbaum I. Eeipzig 1886).
Nicht ohne Einwirkung politiſcher Verhältniſſe ging die Gründung der
Prager Univerſität vor ſich (1348), die Rivalität des Hauſes Habsburg gegen
das Haus Luxemburg führte die Stiftung der Wiener Hochſchule herbei (1365).
Vier Nationen bildeten in Prag die Univerſitas, vier Nationen auch in
Wien, ebenſo war die Einrichtung von Prokuratoren, den Vertretern der
Nationen, die Wahl des Rektors durch dieſe, die Zugehörigkeit dieſes Hauptes
der Univerſität zur philoſophiſchen, oder wie man damals ſagte, zur artiſtiſchen
Fakultät, die Vertretung der drei anderen Fakultäten durch Dekane, genau
nach dem Muſter der Pariſer Hochſchule eingerichtet. Lehrer und Schüler, wie
ihre Diener, Angehörigen und Boten genoſſen volle Steuer-, Abgaben- und
Zollfreiheit und beſaßen einen eigenen privilegierten Gerichtsſtand.
Für den Rahmen dieſer Arbeit iſt es unnötig, die Gründungsgeſchichte
der deutſchen Univerſitäten durchzugehen; nur ſo viel ſei einleitend erwähnt,
daß bis zum Anfang der Reformation mit päpſtlicher und kaiſerlicher Ge—
nehmigung außer Prag und Wien dreizehn Univerſitäten geſtiftet wurden,
von denen Heidelberg, Leipzig, Roſtock, Greifswald, Freiburg i. B., Tübingen
noch beſtehen, während Köln, Erfurt, Ingolſtadt, Wittenberg und Frankfurt a. O.
teils ganz aufgehoben, teils verlegt wurden. Humanismus und Reformation
riefen neue Hochſchulen hervor wie Marburg, Königsberg, Jena und die längſt
eingegangenen zu Helmſtädt und Altdorf, im 17. Jahrhundert erſtanden Gießen,
Straßburg und die erloſchene Hochſchule zu Rinteln, während zugleich eine
Reihe Jeſuitenſchulen dem Proteſtantismus Paroli bieten ſollten.
Das was wir „ſtudentiſches Leben“ nennen, entwickelte ſich naturgemäß
erſt an den proteſtantiſchen Univerſitäten: Freiheit des Lehrens, des Lernens,
des Lebens gingen Hand in Hand. Das Grundprinzip der Reformation fand
ſtets den kräftigſten Ausdruck auf den deutſchen Univerſitäten, ſie trugen den
neuerwachten Geiſt und wurden von ihm getragen. Der Gedanke, der weit
ſpäter ſeine Formulierung fand: Die Wiſſenſchaft und ihre Lehre iſt frei, war
Grund- und Eckſtein der deutſchen Hochſchulen, und aus der Freiheit des
Lehrens und Lernens floß die Freiheit des Lebens. Wer wollte ſich wundern,
wenn fürs erſte alle diejenigen, die ſo lange Feſſeln getragen, ihrer Banden
befreit in wildem Taumel dahinſtürzten, wenn die Befreiung zur Maßloſigkeit
führte, die Freiheit oft zur Frechheit und Roheit ward? Die ganze Zeit war
eine Zeit der Gärung und Zerſtörung, auf allen Seiten Auflöſung der Jahr—
hunderte hindurch erſtarrten Verhältniſſe, neuer Glauben und neues Wiſſen,
ein eifriges Regen und Bewegen auf allen Gebieten des Menſchendaſeins.
Gewiß, das 16. und 17. Jahrhundert war deſtruktiv, es zertrümmerte alte
Autoritäten, ohne noch neue an Stelle deſſen ſetzen zu können, es zerſtörte,
ohne aufzubauen, es ſäete wohl Keime, aber ſie erblühten erſt ſpäter. Neben
den Kämpfen auf geiſtigem Gebiete die Kämpfe der Parteien, das Gezänk der
Theologen neben blutigen Waffenkämpfen. Dann kam die Zeit der Gegen—
reformation und mit ihr neue Wirrnis, ihr folgte der grauenvollſte Krieg,
Das ſchließt nicht aus, daß auch an katholiſchen Univerſitäten liederliche Studenten eriſtierten.
Für Aöln liegen jetzt intereſſante Mitteilungen vor in „Das Buch Weinsberg“, — Denkwürdig⸗
keiten aus dem 16. Jahrhundert, bearbeitet von Konſtantin Höhlbaum I. Eeipzig 1886).