Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

DOI chapter:
Hefte 7-8, Oktober 1916
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0043

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
2 ^»icts2ds^S

Keimat, o Keimat.

Bon Walt» Schweter, Unt-rolfizier d. L.

. (Bom IV. PreiZauslchreibin.)

Zwanzig hohe Stufen sührten hinab in unser
granalsicheres Schlafgemach, den tiefcn Keller unter
dem zerschossenen Häuslein des nordfranzösischcn
Dorses.

Untcr zwanzig Soldatenbärten, hellen und dunk-
len, zarten und rauh n. wirb.lten ticke Rauchwolken
heroor, und vierzig von Lehm und Schlamm schwere
Jnfanteristenstiefel hauchten ihre herben Düfle in
den beißenden Lualm.

Ein einziges kurzes, letz'es Lichtstümplein aus
tem Brotbeutel unseres Koches versuchte zitternd
und zagend seinen schwachen Schein durch die
Finsternis zu schicken, und auch nur ein einziges
Menschenherz unter den graugelben Röcken schlug
nicht für die Heimat.

.Was schert mich die Heimat', hat er oft ge-
sagt, unser Koch.

Auch das arme Herz gehörte also dem Spender
des letzten Lichtes und der lag, traumverloren ins
Halbdunkrl starrend, neb n mir.

Nicht alle'm w.'gen seiner immer weitab von der
Heimat irrenden Gedanken, sondern auch wegen der
uns am vorhergehenden Abend vorgesetzten Petroleum-
kartoffeln hätte ich ihm eigentlich gram s in müss-n.

Aber weil ich ihn eigentlich noch zu wenig kannte,
dah-r nicht wiffen konnte, welch' schwer-s L.id ihm
daheim widerfahren sein mochte und weil er nicht
ahnen konnte, datz kas g-fundene trüb brennende
Erdölfunselchcn, das er notgedrungen ganz dicht
über die Bratkartoff.ln halten mußte, um d n r-chten
Augenblick vor dem Anbrennen nicht zu verpassen,
heimtückesch tropfte. suchte ich von neuem ins Plau-
dern mit ihm zu kommen.

.Sie Haben doch noch Eltern, JShnisch?*
JShnisch nickte nur paarmal geistesabwesend und
sah finster und schweigend in sein dem Erlölchen
nahrs Lichtchen, das im kühlen Luftzug des Abend-
windes, der ncben dem ins Kellerloch gestopften
Strohsack eine kleine Einfahrt hatte, unruhig hin-
und herflackerte.

Erst nach einer kleinen Weile kam's leise zurück:

.Nur noch die Mutter'.

.Haben Sie noch Geschwister, Jähnisch?' Er
schüttelte den Kopf und schwieg.

,Sie sind sicherlich aus Schl'sien! Man hört's
am Tonfall Jhrer Stimme. Jhre Worte oerraten

es aber kaum mehr. Sie müssen sehr lange nicht
mehr daheim gew-scn sein?"

Jetzt wandte er mir sei'n junges, schmaleS Ge-
sicht ganz zu, schob geringschätzig die Lippen unter
dem blonden Barlflaum vor und brummt:

.Was soll ich auch dort?'

Nun kam abermals eine lange Pause, während
der er scin ausgegangenes Pfeifchen langsam wieder
in Brand setzte.

Dann fuhr er, wiederum inS Leere starrend, fort:

.Mit allen Mitteln, guten und bösen, hatten
meine Eltern versucht, mich zum Weiterbesuch des
Gymnasiums — bis zur Quarta hatte ich mich durch-
gequält — zu bewegen. Bci Anwmduvg der böfen
bin ich durchgegangen, wurde Koch und trieb mich
meist im Ausland herum. Jch habe mich aber
redlich durchgeschlagrn und mich drautzen in der
Fremde immer wohl gefühlt, wohler, als je einmal
in drr Heimat. Es ist ja auch bloß eine elcnde
Sandbüchse".

»Aber lieber Iähnischl" sagte ich da ,aus Jhnen
spricht doch nur der Groll, daß Jhre lebenser-
fahr-neren Eltern mit ihrem s.lbstredend viel klügeren
Sprößling wieder einmal nicht einer Meinung ge-
wesen sind. Daß Sie auch jetzt, in diesen Tagen,
die uns die Heimat, mag sie nun im stillsten Heide-
winkel oder im gepriesensten Bergland liegen, näher
als je gebracht haben, sich noch immer fo unvernünftig
den Stimmen der Heimat oerschließen, ist doch wahr-
haftig unverzeihlich. Am Ende weiß die Mutter
nicht einmal, wo ihr Sohn kämpft? Jähnisch
Jähnifchl'

Doch der erwidert nun nichts mehr und um zu
zeigen, daß er sich auf keine weiteren Erörterungen
mehr einlassen wollte, drehte er sich auf die Seite,
stellte seine Pfeife neben sich aufrecht ins dichte
Stroh der Mauerecke und zog still seinen Mantel
weit über beide Ohren.

Noch in der gleichen Nacht wurden wir alarmiert.

Wir marschierten mit kurzen Ruhepausen noch
den nächsten Tag. abermals eine Nacht hindurch
und einen nebligen Morgen, wurden in der Mittags-
stunde verladen und dampften endlich unter den
leuchtenden Strahlen der Herbstsonne in unbekannte
Weite.

Eine traurige Gegend war's, durch die wir
fuhren, Kach und öde, mit faul dahinfließenden
dunklen Kanaladern, zerwühlt und zcrschossen.

Arme, schmutzige Frauen und schmierige Kinder
standen ncben schwarzen Gebälkresten und Mauer-

trümmern, in denen sie wohl nach etwas Brauch-
barem herumgewühlt hatten.

Monchmal kam uns wohl auch ein Häuflein
ganz unoersehrter Häuser zu Gesicht, doch ste fchauten
nur noch mit leeren, toten Augen auf die z'rstampfte
Flur.

Da ist auch dem Letzten klar geworden, warum
er kämpfte, als ihn hier die Heimat des zurückge-
fluteten Feindes in ihrem ganzen Jammer so un-
sagbar trostlos ansah.

Als Jähnisch, der tagsüber beständig im Fenster
lag und mit ernstem Gesicht grübelnd über die
Trümmerstätten hinweg in die Ferne schaute, merkte,
daß ich mit ihm reden wollte, ging er schnell hinweg.

Die Nacht wich dem Morgen. Und als wir
beim erstcn blaffen Sonnenlicht die Fenster öffneten,
lag plötzlich in ihrer heiligen, ungestörten Schönheit die
Heimat, das gesegnete Rheintal, zu unseren Füßen.

Es dehnte sich in solch' unberührter Morgenfrische
wonnigl'ch vor uns aus, daß wir mit feuchten Augen,
aus denen die Schreckensbilder des Krieges langsam
wichen, staunend und in tiesem Schweigen eng anein-
andergepreßt uns aus den schmalen Fenstern lehnten.

Und als dann die süßen. ach so lange, lange
nicht mehr gehörtendeutschenKinderstimmchen jubelnd
zu uns flogen, die Leute in ihrem sauberen Werk-
tagsgewand uns grüßend zuwinkten, und Männer
und Frauen so ruhig und zuversichtlich wie im
tiefsten Frieden der Arbeit zuschritten, da hörte ich
wie neben mir unser Koch leise vor sich hinsagte:
,O Mutterl'

Als ich mich nach einem Weilchen zu ihm setzte,
da fing er von selbst an zu erzählen, erst stockend,
dann aber, dann und wann wohl noch unter dem
verräterischen Rot t'efer Scham, in fcöhlichem Eifer,
nach und nach unbewußt sogar in seinem heimat-
lichen Dialekt von seiner Kindheit in dem stillen
Heidedorf.

Er gedachte, immer lebhafter werdend, leuchten-
den Auges seineS heimlichen Barsußlaufens, das die
Mutter so ungern sah, weil sie glaubte, cs schicke
sich nicht für den LehrerSsohn und weil er jeden
Tag mit einer neuen Beinwunde heimkam. Er
lachte glückstrahlend vor sich hin, als er vom Krebs-
fang unter den alten Weiden des WiefenbächleinS,
ihrem übermütigen Tummeln in dem seichtcn Wasser
und den lustigen Kahnfahrten auf dem kleinen Wald-
teich plauderte.

Wie habe ich mich gefreut, daß der überrafchende
schroffe Gegensatz zwischen dem verwüsteten Land
deS Feindes und dem treu befchützten verschonten
 
Annotationen