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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 9-10, November 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0055

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l' -

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Krfahrungen des Krieges.

Von Jäzer Curt Patz er,
z. Z. Lazriett Römerbad, Wiesbaden.

(Vom IV. Preisorisschreiben.)

Motto: Der Krieg ist «ine Schule sür die ge»
samte Menschheit und will allr lehren:
Bedenke. daß die andere» Menschen ver-
>angen können, auch von dir als
Mensch betrachtet zu werden, dann wird
eZ erst Menschen geben.

Div Vöglein im Walde, die sangen, sangen
wunderschön. in der Heimat, in der Heimat, da
gibt's ein Wicderseh'n I Jmmer und immcr wieder
wird das Lied gesungen und auf fast jedem Bahn-
hof, welchen der Transportzug passiert, gibt es eine
Wicderholung deSselben.

Lustig und übermütig schauen die Gesichter der
jungen Krieger aus den Wagenfenstern. Jedem am
Bahnkörper Verweilcnden wird ein .Hurra" oder
»auf Wiedersehen^ zugerufen, Hüte und Tücher
werden geschwenkt. Deutschland ist in einen Taumel
der Begeisterung, des Entzückens, geraten. Deutsch-
land ist erwacht.

Besonders rin junger Bursch' von höchstens
19 Jahren ist so lustig und übermütig, daß ein be-
dächtigerer Kamerad glaubt, ihm zurufen zu müssen:
,Junge warte nur ab, das dicke Ende kommt noch
nach, jetzt wird's crnst."

Der Angeredete, welcher soeben erst seine Bücher
von der Universität bis auf weiteres verschlossen
hat und sich mit einem Transport Kriegsfreiwilligcr
auk der Fahrt nach dem westlichen Kriegsschauplatze
befindet, erwidert: »Weißt du, Franz, mir ist so
lustig und frei zu Mut, als machte ich meine erste
Ferienreise allein, und nicht, als ginge es zum Krieg.
Du kannst mir glauben, ich brenne darauf, nach
dieser ewig langweiligen Ausbildungszcit einen '
Franzmann oder noch lieber Engländer vor das !
Rohr zu bekommen."

.Otto, vor dir sollte man eigentlich Angst
bekommen, so mordlustig bist du geworden, hast du
wirklich so viel Lust, das Elend und Grauen des
Krieges kennen zu lernen? Jch kann den Gedanken
nicht los werden, es sind doch auch Menschen, auf
welche wir losgehen wollen, welche wir nie gesehen
und die uns niemals etwas zu Leide taten.* .Aber
Franz, es sind unsere Feinde, es ist doch Krieg, und
wir haben ihn nicht gewollt, unfer Vaterland ist an-

gegriffen worden, und wir verteidigen es, wie wir
geschworen haben, bis in den Tod." „Aber selbst-
verständlich ist dieses auch meine Meinung und
Pflicht, aber jetzt, so nahe vorm Ziel, beschleicht
mich doch manchmal ein eigenes Gefühl. Auf jeden
Fall wrrden wir uns und unsere Heimat vor den
Gelüsten anderer schützen. Wehe dir England!'

Der kurze Wintertag ist zu Ende. Es ist stiller
geworden im Abteil. Die meisten haben sich's be-
qrem gemacht so gut es ging und ruhen. Bänke
und Fußboden sind belegt, cinige Zeltbahncn als
Hängematte aufgespannt, auch darin ruht es sich gut,
alles schläft. Nur Franz. der Mahner von vorhin,
kann die Ruhe noch nicht finden. Einsam steht er
am Fenster und starrt in die Nacht hinaus. Habe
ich richtig gehandelt, als ich mich freiwillig meldete,
Weib und Kind verließ? Doch ste sind jetzt gut
versorgt, besser, als wäre ich daheim geblieben;
schon drei Wochen ohne Arbeit gewesen, eigentlich
ist nur der Fabrikant schuld daran, der es so furcht-
bar eilig hatte, die Fabrik zu schließen. Wenn es
richtig ist, was die anderen sagen, daß der unge-
diente Landsturm auch einrücken muß, wäre ich so
auch bald eingezogen worden. Was wird mein
Junge, mein Wilhelm, jetzt machen und Erna, mein
Weib, was dann, wenn mir etwas zustoßen sollte?
Na, sie ist ja mutig und arbeitsam, und das Vater-
land wird sie wohl nicht darben lassen., Gewaltsam
die trüben Gedanken abschüttelnd, begibt er sich zur
Ruhe, und mit dem Bilde seiner Lieben im Herzen
ist er bald eingeschlafem —

Otto tzeinsberg schlägt die Augen auf, alles
dunkel, er muß sich erst besinnen, wo cr sich befindet,
so lebhaft war der Traum. Seine Beine brennen
ganz abscheulich, völlig ermuntert merkt er erst, daß
dieselben die Ruhestatt sür ein paar andere sind,
er fühlt sich wie zerschlagen. Nach einem kräftigen
Dehnen und Strecken schwindet der Schmerz. Die
Nachtluft weht durchs Fenster, er hält den Kopf
hinaus und läßt sich dieselbe an den hämmernden
Schläfen vorbeisausen, und frische Lebenslust weht
mit dem Winde in seine Brust. Allmählich dämmert
es und man kann die Schläfer im Abtcil unter-
scheiden. Der dicke Bräuer träumt, stöhnt und
macht doch ein ganz zufrieden Gestcht dabei. Sehr
bequem und langsam im Denken, Reden und Ar-
beiten, war er zum Studium bestimmt, doch man
mußte ihn wegnehmen, er kam auf ein großcs
Rittergut als Scholar und sollte ein tüchtiger Land-
wirt werden. Nun ist er, halb gegen den Willen

des Vaters, als Freiwilliger eingetreten, jetzt würd e
sich's ja zeigen, ob er zu nichts anderem als zum
Bauer taugen würde, ha ha, der alte Herr sollte
staunen, was er alles fertig bringen wird, so träumt
cr, in riner mitteilsamen Stunde hat er's den
Kameraden erzählt.

Mitten auf freiem Felde hält der Zug und nach
einem fünfstündigen Marsch ist das erste Ouartier
in Feindesland, ein halbzerschossenes Dorf, erreicht,
freudig begrüßt von eincm Bataillon Jnfanterie,
welche ihr Heim dort aufgeschlagen. Mit allen ver-
fügbaren Mitteln und der kameradschaftlichen Unter-
stützung der anwesenden Truppen wird sich, so gut
es geht, eingerichtet. Ehe es dunkelt haben sich
alle auf den mit Stroh bedeckten Boden einer
Scheune niedergelegt, die erste Nacht in Feindesland.

Ein Jahr später. Otto Heinsberg ist Unter-
offizier und Gruppenführer geworden: Franz und
der dicke Bräuer stnd noch bei ihm, die anderen
tot oder verwundet. Bräuer hat sich durch einige
gute Patrouillengänge das Eiserne Kreuz und die
Gefreitenknöpfe, Franz die Tapferkeitsmedaille er-
worben. Die anderen in der Gruppe sind fast alle
Landsturmleute, meistens verheiratet. und es hat
Otto keine geringe Mühe gekostet, sich in den Ge-
dankengang und die R-den derselben, meistens Hand-
werker oder Arbeiter, hineinzufinden, doch ist auch
ein wirkliche^Doktor und Fabrikbesitzer dabei. Das
klang ja manchmal sehr Lberzeugend, wenn der
schwarze Wendlcr von den Zielen der Gewerkschaft
oder der Sozialdemokratie sprach und doch ein guter
Soldat und furchtbarcr Feind der Engländer war.
Das hatte er bri den letzten Angriffen und Gefechten
bewiesen, ja zum Handgranatentrupp hatte er sich
freiwillig gemeldet, nur um möglichst nahe an die
Engländer heranzukommen. Zwifchen seinen Reden,
wobei die Freiheit der Völker eive große Rolle spielt,
kommt immer wieder sein Haß auf Grey und Kon-
sorten, und .wenn ich die in die Finger kriegen
könnte', zum Ausdruck.

HeinSberg schüttelt oft mit dem Kopfe, so etsvas
hatte er niemals gehört, denn in dem streng ortho-
doxen Pfarrerhause seiner Eltern wurde nur mit.
Mitleid, und auf der Unioersität mit einer gewiffen
Ueberhebung von diesin Proleten und Arbeiter-
führern gesprochen. Dieser frühere VertrauenSmann
der Arbeiter und jetzige eifrige Soldat gab ihm rin
Rätsel auf, welches wohl der Mühe wert war, zu
lösen.
 
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