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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 17-18, März 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0097

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Das Gndziek der Lazarett-
Seschästigung.

Bon Prof. Hugo Eberhardt, Offenboch.

Der Winter wird zu erhöhter Tätigkeit auf
dem Gebiet der Lazarettbeschäftigung führen, und
da lohnt es stch wohl, sich einmal darüber aus«
zusprechen, was unS die Verwundetenarbeit sein
kSnnte, und wie sie geartet fein mützte, soll sie
mehr werden, vlS ein Mittel, die Langeweile aus
der Krankenstube zu bannrn.

Es ist nicht beabstchtigt, in dieser Besprechung
die ärztliche Seite der Frage zu berühren und der
Lazarettbeschästigung als Heilwittel das Wort zu
reden. Es follen hier nur die Gestchtspunlte be-
rührt werden, die man, neben der Abstcht zu
heilen, im Auge haben mutz, foll die Arbrit un-
serem Volke Nutzen schaffen und ihm Werte ver-
mitteln, die übrr die Kriegszeit hinaus dem deut-
schen Hause, der deutschrn Familie zu Gute kommen
können.

ES gilt oor allem, mit der Anschauung zu
brechen, datz rs .«iuerlei' sei, wie dieArbeit aus-
sehe, an die Tausende von Verwundeten, Taufende
erwachsener Männer in den Krankensälen ihre Zeit
hängen, sosern diese Arbrit nur dem Kartenspiel
ein Ende bereile" und dabri den Zweck ersülle,
Händr und Arme wechanisch zu betätigen und so
abwechslungsooll eine Fortsetzung der Uebungen
am orthopädischen Gerät wit sich brivge. Gewis
ist damit schon recht viel erreickst, aber nicht das
letzte: Warum solldie Nrbeit nicht so geartet sein, daß
sie über das heilungsfördernde Ziel hinaus weiter-
gehende Zwecke vrrfolgt, und warum sollen wir
neben der Ethik — in diesem Falle die Lehre von
dec Pflicht zur Arbeit — nicht auch die Aesthetik
zu Worte kommen laffen? Warum sollen an die
Arbeit im Lazaretisaal nicht nun mindestens die-
selben Ansprüche gestellt werden. die wir doch im
Leben sonst an jede Arbeit stellen, nämlich die.
daß sie wenigstens vernünftig sein soll und datz sie
darübrr hinaus womöglich den Anforderungen Kes
guten Gejchmacks entspreche?

Wic müffen uns freimachm von der Anschau-
ung, daß die in der Arbeit eines Verwundeten
aosgestapeltm PietätSwerke so brdeutungsooll
leien, datz die Geschwackssrage bei der Beurteiluvg
solcher Leistungen als Zeichen von »Lieblosigkeit'

ausgeschaltrt wrrdm müsse, datz da nur das
Herz. nicht aber drr Verstand mitsprrchen dürfe.
Wir MSffen uns freimachen von der Ansicht, datz
der Soldatengeschmack eine Sache sei, die jmseits
oon Gut und BöS stehe und auf alle Fälle be-
rückstchtigt werden müsse. Was in den Kranken-
sälen mtsteht, mandert hinaus in die Familten
als Geschenk, als Kauf. Es nimmt seinen Platz
ein im deutschm Haus als Erinnerungszeichen auS
grotzer, schwecer Zeit. Jn Tausenden von Häusern
wirv der Lazarettgegenstand zum Familimstück sür
M'^ichenaltrr. Kann uns da glrichzültig sein, waS
unio^ Lazirrtte hinausgelangm laffen, auf welcher
Geschmacks- oderüngeschmackshöhe dieVerwundetm-
befchäftigung in Lausenden von Lazaretten steht?

Aber nicht nur die Grfahr geschmackoergiftender
Folge verfehlter Verwundetenbeschäftigung autzer-
halb deS Lazarettsaals müßte uns zu denken geben,
wir mützten auch erkennen, welch grotze Erziehungs-
möglichkeiten uns 'der Drang nach Betätigung, der
oielerortS in unseren Lazarettm herrscht, eröffnet.
Man bedenke, welch grotzer Tril unserer erwachse-
nen männlichen Beoölkeruag im Laufe der KriegS-
jahre durch unsere Lazarette läust — der Beoöl-
kerung. die in künstigen Friedsnsjahrm entscheidend
bestimmt, weiche HSHe unsere oöckische Arbeit ge-
grnüber der wirtschaftlichm Gütererzeugung andc-
rer Völker einnehmm wird. — Jst schon jede Stunde
frmdig-gutgemeinter, aber vrifehlter Arbeit des
einzelnm zu beklagm, so wird die Vertausendfach-
ung ungenützter Gelegenheiten, unser Volk weiter-
zubriugen zu einem tiesbedauerlichen, volkswirt-
schaftlich schwer ins Gewicht sallendm Verlust.

E8 gibt eine Menge dankbarer Beschäftigungs-
arten, die zu erfreulichen Erzeugnissen sühren, zu
Dingen, dte. wenn ste als Gefchrnke oder durch
wohlwollenden Kauf herausgehen, in die deutsche
Familie als liebes Erinnerungszeichm ihr durch
Jahrzehnte hindurch zum Gewiun werden könnm.
Dingr, die auch der geschmackvollr Mrnsch gern
um stch sirht, die er um ihres tatsächlichen Wertes,
nickt aus Gründrn irregrsührter Sentimentalität
schätzt.

Allerorts müffen wir die Forderung auf ernst
zu nehmende, grschmacksichere Leitung der Lazarett-
beschäftiguvg »heben, und da, wo rine solche nicht
beschafft werden kann, ist davor zu warnm. flch
mit Dingen zu brschästigen, die dm nützlichen Ge-
brauchszweck überschrritm» nammtlich aber vor

folchen, die darauf hinzielrn, Grgmstände zur.Aus-
schmückungE des dmtschm HeiwS zu schaffm.

Jst es nicht volkswirtschastlich unendlich
wertooller, wenn unsere Verwundeten einm
krästigm und brauchbarm. überall dankbar
erwünschtm Henkel- odrr Wüschekorb aus der
heimischen Wride stechten, als wmn ste unter fehl-
greifmder Auleitung ihre Zeit an rm Zierkörbchen
hängen auS Prddigrohr, das in geschmackrntbeh-
render Form und sützlicher Ausmachmig durch falsch
gewählie StoffauSstatiung und Larborische Glak-
perlenverzierung nur zu einem bedrückenden Mit-
leiderreger werden kann? Jst es nicht besser, ein
gediegenes Mückmschutznrtz für das väterliche Pferde-
gespann odrr eine tragsähige Markttasche sür die
Mutter, für die Frau zu knüpfen, als eine Zier-
tasche in »Macramö-Technik', die in üblrn Farben
einer der berüchtigten Handarbeitsvorlagen eines
FamilirnblattrS nachgebildet wird, die leider im
HandarbeitSunterricht der HSHeren Töchtrr noch
immer eine geschmackzersetzende Wirkung ausüben?
Scheint es nicht vrrnünftiger, dm Verwundeten
zu bewegen, semer Braut oder Frau ein Umschlag-
tuch in ruhiger, tragbarer Farbe zu knüpfen, alS
ihn für dir geschmacklosm Diagonaldeckchen in un-
möglichster Farbenzusammenstellung zu begeistern,
die einer vernünstigen Veiweudung zuzuführen
jsdermann in peinliche Verlegenheit setzen muß?
Mhrt nicht das Arbeitm von Band- und Stroh-
schuhm, das Erlernrn drs Bürstenbindms zu er-
freulicheren, vaterländisch wirkungsvollerm Ergeb-
niffeu, als das unmännliche Sticken von schwarz-
weitz-roten Flaggen, eisernen Kreuzen und Eichen-
zweigen auf in ihrem Gebrauchszweck sinnlosen
Wandbehängen?

Jst es nicht wertooller und brfriedigender —
alS eine üble Laubsägrnoorlage in sklavischrr Arbeit
mit EselSgeduld zerbrechlich und zwecklos nachzu-
sägen — in Holz in solider Arbeit einen Leiter-
wagen, einen Pstug, rinen Schubkarren in kleinem
Mahstab nachzuschnitzrn, als Jahre überdauerndes
Spielzeug sür den jüngeren Bruder, den kleinen
Neffen odrr daS eigne Kind — ganz naturgettm
nach dem grotzen Gebrauchsgegenstand, der alS Vor-
bild Sberall leicht zu beschaffrn ist, den man auf-
mitzt uud in seinen Eiuzelheiten liebevoll nachbildet
nach eigener. v'ielleicht unbeholfmer, stcher abrr
förderlicher Matzskizze? Wie himmelhoch steht eine
solchr Arbrit über Geschmacksverirrungm in der
Art drr finnlosen vergoldetm und vrrfilberten.
 
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