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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 7-8, Oktober 1916
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0037

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IV. Areisausschreiben.

Jn höherem Mciße noch als unsere früheren
Preisausschreiben hat das vierte Jnteresse erweckt
und uns eine große Zahl schöncr Arbeiten einge-
bracht. Die Aufgabe war, aus eigenem Erleben
das mitzuteilen, was das grohe Erleben dcr Zeit
wicdergibt. in den Erfahrungen und Wandelungen
des eigenen Lebens zu zeigen, wie unser Volk in
dieser Zeit sich gewandelt. Die Frage, ob ein
solcher Wandel stattgcfunden habe, ist (von nur ganz
wenigen zweifelnden Stimmen abgesehen) einmütig
bejaht worden. Jn einer neuen tieferen Liebe zum
Leben, in einem tieferen Berantwortungsgefühl den
anderen Menschen, der Familie gegenübrr, in einer
vordem nicht gekannten Verehrung und Anerkennung
der Frau, in einem unselbslischen Gefühl der
Kameradschaft, in einer neuen, innigen Lirbe zum
Ackerboden, zu Heimat und Vaterland, die wohl
auch ein neues lebendiges Jnteresse an der Politik
wachruft, und in dem nun erst im Tiefsten erlebten
unmittelbaren Verhältnis zu Gott liegen die Wand-
lungen. die Erneuerung des Volksgeistes auch nach
dcm Kriege versprechen.

Es sind uns im ganzen 46 zum Teil sehr ein-
gehende Arbeiten zugegangen, diesmal dem erweiter-
ten Kreise der Zcitung entsprechend aus sast allen
Gegenden Deutschlands. Bei der Gleichwertigkeit
vieler Arbeiten schien im Uebrigen eine etwas ver-
änderte Einteilung der Preife (bei glcichbleibender
Gesamthöhe) geboten.

Der erste Preis wurde Ler Nrbeit von ZSger Ludwig
Fah, z. Zt. Vereins-Lazcneit Mernheim bei Worm?, zuei-
kannt. Füni zweite Preise erhalten: Musketier Äottsr.
Klübcr Genesungstompagnie WLchtcrsbach bei Gelnhausen,
ZLgcr Curt Paher, Römerbad, Wiesbaden. Wehrmann Os-
kar Peibst, Bereins-Lazarett Lieburg bei Darmstadt, L. Th.
Reubclt, Franksurt a. M-, ünterosfizier Walter Schwe-
ter, Darmstadt. Fünfzehn dritte Preise erhalten: Mus-
ketier Hermann Arndt, Neserve-Lazarett I Neubau, Darm-
stadt, Grenadier Ewald Beutner, Reserve-Lacarett II, Offen-
bach, Landsturmmann Paul Beyer, Bereins-Lazarett Als-
bach a. d. B., Kanonier Wilhelm Dittmann, Reserve-
Lazarett XI, Frankiurt a. M., Gefrsiter Walter Henrich,
Festungs-Lazarett II, Mainz. Bizeseldwebel und Rechnungs-
führer Philipp Kulm, Teil-Lazarett Nonnenhos, Wiesbaden,
Schtthe R- Meiwald, Bethanien-Bereins-Lazarett, Frank-
furt a. M.< Schütze Hans Ott, Lazarett Lich, Reservist
Zoscs Rie dmüller, Lazarett Dr- Triesch, Franksurt a- M-,
Sanitätssoldat Heinrich Scherer.Mainz. Kriegssrciwilliger
Gefreiter Schlosser, Reserve-Lazarett V, Frankfurt a. M.,
Unterosfizier Schlünder, Reserve-Lazarett IV, Franksurt
a. M., Musketier Zoh. Melch. Schmidt, Vereins-Lazarett
Bergen bei Franksurt a. M„ Musketier Arno Seiferth,
Plam» i. Vogtl-, Landsturmmana Walter Weiß, Vereins-
Lazarett d. Bernus, Franlfurt a. M. Außerdem kommen
einige viert« Preise zur Verteilung.

llntcr den Einsenderu sind fast olle Berufe vertreten;
esfindcn sich: Abiturient I.Studentm 3, Lehrer l, Beamte3,
Kaufleute 7, Architekt 1, Tischlermeister 1, Bäckermeister l.
Meliorationstcchniker l, Zeichner 3, Landwirt 1, Post-
hilfsarbeiter 1, Postschaffner 1, Briefträger l, Matrose der
Handeisschiffahrt l, Buchdrucker 1, BLckergefelle I, Maler 3,
Schmied 1, Klempner l, Schloffer I, Polkerer l, Färber l,
Portefeuiller I, Koch 1, Oberkellner I, Tischler I,
Dreher I.Stewart l, ohne Berussangabe 3.

Wir werden eine Auswahl aus den Arbeiten in
der Lazarett-Zeitung zum Abdruck bringen und be-
ginnen heute mit der Arbeit, der der erste Preis
zuerkannt wurde. Unsere Auswahl soll später als
ein kleines Büchlein erscheinen und in dieser Form
auch oor der Zukunft Zeugnis ablegen von dem
ernsten und tapferen Sinne unsercr Zeit. .

KrfaHrungen des Krieges.

Von ZLger Ludwig Faß, z. Zt. Vereins-Lazarett
Viernheim bei Worms.

I. Begeisterung und Pflicht.

Man sagte sich immer oor dem Kriege, bei den
Deutschen ist das .Nationalgefühl^, gegenüber andern
Nationen, das am wenigsten ausgeprägre. Wir glaub-
ten es selber bald. Doch bald sollte uns eine Antwort
werden, wie man sie nie und nimmer erwartet.

Die Kriegsfackel loderte auf und entzündete in
ünseren deutschen Gauen einen Brand glutvoller,
scheinbar nie erlöschender Begeisterung. Und sie riß
die Herzen tausender und abertauscnder Männer
mit sich fort und machte sie stark. daß sie allcs ver-
gessen und oerlassen konnten. — Männcr, die sonst
weich wurden im Anblick einer weinenden Frau,
sie wurden hart, so daß die Flut von Frauentränen
wirkungslos war w:e ein Tropfen Wasser auf glühen-
des Erz. Warum weinten sie überhaupt? — Wäh-
rend wir Männer nur der Gegenwart leben, nur
das Tatsächliche ergreifen, da kreisen Herz und Auge
des Weibcs hinaus in das Land der Zukunft. Und
was sie da sahen war — Blut, — Verhrerung
und — grausiger Tod. — Da ward ihnen, den
Frauen, bange und sie weinten. Und in ihrer Not
da schaute das Weib auf zu dem Manne hilfesuchend.
Und Hilfe wurde ihr. Von dem Herzen des Mannes,
von hehrer Begeistcrung erfüllt, sprang ein Funke
hinüber zum Herzen des Weibes, befruchtete es, und
gebar in ihm, stark und groß, ein Kind, und das
Kind war die .Pflicht'. — So ward auch das
Weib ftark. Pflccht ging über Liebe. — Und sie
gaben alles, wenn auch mit Wehmut im Herzen.

Dann zogen sie fort,DeutschlandsSöhne,Deutsch-
lands Männer. Und die Begeisterung führte sie
von Sieg zu Sieg. Bis — bis diese starb. —

Doch warum wankte sie nicht, die Mauer, von ihr
hoch aufgetürmt? Wie konnten die da draußen
weiter stürmen und siegrn? — War doch die Be-
geisterung gestorbenl

So wie vorhin beim Weibe hat sie auch hier
die Pflicht gezeugt. Ja! — Die Tage der Be-
geisterung bildeten die Leitcr, die uns hinauftrug
zur höchsten Stufe von Pflichtgefühl, von Pflicht-
bewußtsein. Ohne daß jene vorausgegangen, kann
die Pflicht nie zu einem uns ganz beherrschenden
Machifaktor werden, wie sie es besonders in dieser
Zeit geworden ist. — So lange es ein Deutschland
gibt, wird sie uns beleben. Nie wird sie sterben, denn
die Pflicht, sie ward im Tode geboren. Und die im
Tode geboren, die sind zu ewigem Leben geboren.

II. Haß und Rache und das Gebot der
Nächstenliebe.

Haß und Rache, diese beiden Unzertrennlichen,
konnten nie Bürgerrecht in unseren deutschen Herzen
erlangen. Nie beherrschten und beseelten sie uns,
so oft wir ja schon Grund und Ursache genug ge-
habt hätten, sie mit Eifer zu üben. So auch wieder
in den trüben, verhängnisvollen Juli- und August-
tagen des Jahres 1914.

Weit unten in den südöstlichsten Prooinzen un-
seres tapferen Verbündetcn war edles Fürstenblut
geflossen. Ein Wehschrei ging durch unsere Lande
und wo ein deutsches Herz schlug. da stieg ein Fluch
hinaus zum Himmel, daß er kommen möge über
die Mörder. — Doch wo schrie jemand nach Rache?

-— Einige, wenige Poeten verstiegen sich in Haß-
gedichte, die ich absurd nennen muß. Wir Deutsche
konnten, mußtcn nur verachten. Nur das war
unserer würdig. — Daß dem so ist, bestätigt unS
ein Blick in das Herz unserer Soldcuen. So lassen
Sie mich denn schildern, was ich selbst fühlte und
bei meinen Kameraden wahrnahm.

Wir zogen aus. So fest wir an unseren Sieg
glaubten, so wenig dachten wir an den Tod und
ebensowenig haßten wir, ja wir gedachien des
Feindes kaum, bis wir in Berührung mit ihm kamen.
Da sahen wir seine Tücken und Greuel und straften,
sahen ihn wehrloS und nahmen ihn auf, fast wie
einen Bruder, wir sahen ihn bluten, hatten Erbarmen
und halfen. Und die Toten, wir ehrlen sie wie
die unseren. O. könntet ihr je den Handdruck eines
unserer Feinde fühlen, wie ich ihn gefühlt. Könntet
ihr je dcn hilflosen Blick rines Gefangenen schauen,
jemals hören, wie diese uns .Kamerad' nennen,
so ooll Gemüt sprechen sie das Wort aus. N e ist
ein Freundeswort mir ticfer ins Herz gedrungen
als das .Kamerad' vom Munde eines Franzofen.
 
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