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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 58, Dezember 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0343

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Me Aevotulion.

p' Seutschland hat den 5krieg verloren uvd
iblution deS 9. November hat an Stelle drs
tqake«. der den Krieg geführt hat. einen neuen
Staat zu setzen unternommen. --

-Die Hauptschuld des Ikrieges tragrnnicht einzelne
PerjSMchkeiten, so grotz deren E^zMchnld ^luch
sein mag. Schuldig ift das System unsrrKz
Staates und dieses System war uns mit anderen
Staaten gemeinsam. Der Jmperialismus.
der den Sinn deS Staates in der Machtbetätigung
nach außen hin sah, hat die demsche. die englische,
franzöfifche. rusfische. italienische Politik der letzien
Jahrzehnte bestimmt. uud dieses System des
JmperialismuS mußte mit einer Art von naturge-
setzlicher Notwendigkeit zum ^Zusammenstotz der
imperialistischen MLchte sühren. Deutschlands Un-
gefchick hat es bewirkt, datz es allr auderen iM .
perialistifchen Staaten, schlietzlich auch Amerika.
zuM Gegner hatte. Eine befsere deutsche Politik
httte eine andere Grvppierung der Mächte oieüeicht
erzielen können. eine Politik, die den Weltkrieg
vermeiden wollte, hätte v«n vollkommen anderen
VorauSsetzungen ausgehen müflen. Es kann
sraglich sein, ob eine solche Politik, unter den
Berhältnissen, die in den letzten Iahrzehnten gege-

ben waren, sich überhaupt hätte führen lassen.

Trotzdem haben wir deu Kricg als Verteidi-
gungSkrieg geführt und soweit wir ihn alS
solchea geführt haben, gibt es nichts, deffen wir
uns heute zu schämen hätten. Mag auch die
eigene Schuld an einem hereinbrechenden Ver-

HLngniS mitgearbeitet habrn, so hat mqn das

Recht, dem Verhängnis zu wehren Wir hatten
daS Recht der Verteidigung. Der Machtwille von
Tirpitz und Ludend«rff, letzte. Nuswiikung der
imperialistischen Polttik, haben den Sinn deS
KriegeS gefälscht, habrn auS dem Verteidigungs-
krieg den EroberungSkrieg gemacht. Nachdem
wir in einem Kriege, der strts ein Ruhm Deutsch-
lands bleiben wird, den Zarismu 8 bestegten, der
hundert Jahre lang Europa zu knechten drohte,
wollte Ludendorff ein Großreich abhängiger Staaten
im Osten bis zu den Grenzwällen Jndiens errichte».
Er mutzte, um daS Reich drs Ostens zu sichern»
England niederwerfen, sowie Napoleon Eugland
HStte nirdrrringen müffen, um sein Ostreich zu
befitzen. Larum griff er zum U-Bootkrieg, drr unS

Amerika zum Feind m«chte prid unsere Rieder-
loge desiegelte. Der Niederbruch RußlandS, drr
unS in unserrm VerteidigungSkrirg den Srfolg HStte
briugen können, wurde »nS zum BerhängniS.

Der Stqat, drr an seiuem JwperialismuS zu
Srunde ging, ist ObrigkritSstaat gewesen. Nicht
der Bolkswille hestimmte seine Führung, sondem
der unkontrollierte Wille derer, die durch Familien-
tradition und Klaflenherrschaft am Ruder standen.
Die Richtung. die sie dem StaatSschiff gabrn, war
von kemer andrren Jnstanz zu ändern. Nur re-
volutionärer Wille konnte in die Speichen des Sttuer«
rades.greisen, und rr hat eS grtan, zu spät vielleicht,
weil die Felsen, an denen daS Schiff scheiter« «utzte,
fchon zu nahe waren.

Der OhrigkeitSstaat, der biS zum 9. November
bestanden hat. ist ein Erbe des absolutistischen
Staates inl 18. Jahrhundert. Umer drm Ein-
flutz der sranzSsi' hen Revolütiou hat der moderne
Geist eibiges daran grändert, das Wesen aber be-
stehen lassrn. Die Reformen des Freihern vom
Stein, die in allen Teilen deS Staates die Selbst-
verwaltung an die Stelle der Obrigkeitsregierung
setzrn wollten. waren vom Geiste wahrer Büigerstei-
he»t erfüllt, aber ste konnten sich gegen die reaktio-
nären Gewalten nicht auSwirken. Die deutsche Re-
oolution oon 18 48 wollte den Volksstaat be-
gründen: der Volkswille, in rinem deutschen Par-
lawent des allgemeinrn, direkten und gleichen Wahl-
rechts verkörprrt, sollte Form und Richtung des
Staatslebens bestimmen und jeder, der die deutsche
Sprache sprach, sollte Bürgrr dieses StaateS sein,
und an die Stelle der Bielfältigkeit einiger
40 Bundesstaaten sollte ein in seinem Parlament
zasammengeschl»ffener deutscher Staat treten.
Fieiheit und Sinheit war der Sinn der revolutio-
nären Bewrgung. Die Revolution oersagte. Ar-
beiterschaft und Bürgertum hatte fie gemeinsam
uNternommen, aber dir Arbeiterschaft war bei dem
unentwickelteN Stand der Jndustrir zu schwach an
Zahl, das Bürgertum zu fchwach an Charakter
und Wille. Dse Reaktion siegte.

Zwei Jahrzehnte später hat BiSmarck durch
Blut und Eisen daS Deutsche Reich gebaut. ES
war ein Reich der deutschen Emheit, die deutsche
Freiheit fehlte. Drr Bismarcksche Staat «ar Obrig-
keitsstaat i« Sivne deS 18. JahrhundertS. DaS
Erbe drS J»hre« 1841, das deutsche Parlameut,
diente Bismarck nur als Mtttel der Tiui-ung: die

Verf«flaag deS BundrSraieS solte dafür sorgeu,
datz dieseS Parlament. auch wean eS gr«M hätte,
nicht ei» Mittel der Freiheit werden konnte. Der
BiSmarcksche Staat, Obrigkeits- und Machtstaat,
hak yicht den Staat auf das Volk begrüudea
wollen. Er verfehlte zudrm die deutsche Lösurg.
D>« Deutschen Oestrrreichs blieben in uvglücklicher
und ewig mirtihvoller Berbindung mit den Slowen»
wv fie die Bürgen eiver unheilvollen BüvdniS- ,
politik fein sülkteN? PreützrN gmg nicht m D" "
land aus, sondrrn lastrte alS uneingefügte Mafle
auf Deutschland, beherrscht vom ostelbischen Junker
tum, jede freiheitliche Entwicklung brutal untrr-
drückend. DieseS Deutschland, ObrigkettSstaat. von
einer unorrantw«rtlich«u Kastr gelenkt. Machtstaat,
mit den Herrschaftsinstinkten seines HochadelS,
konnte sich nicht einer Gemeinschaft sreier Bölker
eingliedern und mußte den an stch schon regen
JmperialiSmuS andrrer Staaten immer vou neue«
wachrusen. Ein anderes Land HStte otelleicht mit
einem Frankreich, in dem drr SozialiSmuS Ein->
flutz übte, zur Verständigung kommen könne», uud
die Beilegung der Marokkokrise im Zahrr 1911
zeigte, dah eS in Frankreich Schichten gab, die zur
Berständigung bereit waren. Die theatralische, ader
willenSschwache Politik, die deu deutschrn Kaiser
uach Tanger ynd den Panzerkreuzer „Panther"
nach Agadir führte, mußte zum Zusammenstotz
führen.

DaS deutsche Bolk ist nur darum nicht frei
von Schuld, weil es zu lange seinen Staal rr-!
ttug. Bor allem hat der OpportunismuS de»
deutschen Bürgertums schwere Schuld «uf stch
geladen. Weil daS deutfche Bürgertum on eme
fortschrittliche Entwicklung glaubte, da wo uur der
grundsätzliche Umsturz Rettuüg schaffen kounte,
mutzte die Sozialdemokraiie in fruchtloser Regation
verharren. Zu einrr gemeinsamen sozialdemokra-
tischen-liberalen Front fehlte dem Bürgertum Glaube,
Mut und Selbstlostgkett.

Die Fehler des FriehenS fetzten fich im Srieg«
fort. Auich diejenigrn, die daS auS unserer Er-
oberungspolitik entstehende Unheil erkanntrn, wag-
ten nicht die Folgerung auS folcher ErkenntueS zu
ziehen. Hier und da eine fchwankende Srklärung
uubestimmtfn Friedenswillens. Wohl m«chte die
ungeheure Berantw«rtung, die jedeu Schritt der
ianrren Politrk und seine Wirknng «uf die kämp»
fende Frobt abzuwägrn hatte, die fteie Evtschlutz-
krast lähmen. D,tz aber unserer Politik uube»
 
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