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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 51-52, August 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0301

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<An der Schwesse des fünften
Kriegsjahres.

ZweiBri-fe.

Jm Felde. 9. Juli 1918.

.Die Batterie liegt mittrn im wogen-

den Korn, und selten stört der Frind daS Lied der
reifendrn Aehren. Ungehindert fitze ich stundenlang
im warmen Sonnenlicht. das um alle Grdanken
einen klrinen Heiligenschein von Freude und Glück
hrrvorzaubert. Den Krieg halte ich mir fo weit
wie möglich nom Leibe. - Jch kenne nur einen
heißen Wunsch: Friedenl Schlutz mit dem strch-
terlichen Wahnsmn I Diesem Morden noch einen
tiefen idealen Sinn zu geben. wage ich auf die
Dauer nicht mehr. E8 klingt zu grausam in dieser
kleinen Wirklichkeit. Die Zeitung erregt in mir
stetS neuen Unwillen. DaS ist die grotze Zeit, das
ungeheuere Srleben der Weltgeschichte, daS fittlich
gelSuterte Deutschland l Wohin man sieht, Stteit.
Zweifel. schreiender EgoismuS. Da überlasse ich
tieber der Geschichte, der Zukunft. die Lösung dieser
Frage im ideellen Sinne. E8 wird rine ganz
schwere Zett geben. wenn erst der Frieden kommt.

Frankfurt, 29. Juli 1918.

Litber Freund!

WaS Sie mir schreiben, hat mich innerlich
getrosseit. Wenn Ihre Jugend. Jhre Begeisterungs-
sShigkeit irre wird an der Aufgabe, die uvS ge-
stellt ist, wie sollen die eS vermögen, denen nicht
der Schwung im Jnnern hinweghelfen kann über
alleS Schwere und Oede der TageSarbeit. Freilich
frage ich mich, haben wir zu Hause rin Recht, denen
Lraußen ein Wort zu sagen, die wir doch eben daS
Schwerste nicht selber tragen müssen. Doch viel-
leicht dürfen wtt gerade, halb alS Zuschauer» unsere
Sedanken drnen geben, die drautzen sind.

Wtt sehen die grotzen Dinge der Weltgefchichte
von andererü Standpunkte, alS dtt dabei waren.
Für unS sind die FreihettSkriege vor hundert Jahren
eine Heldengeschichte. Aufflammende Begeisterung,
srischer Heerzug über alle GauenDeutschlandS, oer-
nichtende Schlachten, Eroberungen feindlichen Laudes,
Bertteibung deS LrzfeindeS. Für die, die dabei
waren, ist rS noch etwaS anderrS gewesen. Furcht-
Lare KSmpfe kiegSungewohnter Truppen grgen

den größtea aller Feldherren, ermüdende MSrsche'
krcuz und quer, die keine Eisenbahn verkürzte,
schlechte Verpflegung in LSndern, die vieljLhriger
Krieg auSgesogen, Schmutz und Krankheiten, die
keine Lazarette heilten, Wunden ohne Chirurgie,
Oprrationen ohne Narkose und waS alleS noch
Und glaubrn wtt, datz damalS keine ^Selbstsucht
geherrscht? Die Geschichte berichtet freilich nur von
der Selbstaufopferung deS JahreS 1813, da die
Frauen ihren Schmuck und ihre Haare dem Vater»
land gaben, aber nichiS von den KrirgSlttferanten
jener Tagr.' ^

Jst es so nicht ttgend wie immer? Nur die
Ferne macht alleS schön, tn der NLHe sehen wtt
daS Kleine und HStzliche. Jst darum die NSHe wahr
und die Ferne unwahr? Lügt die Weltgeschichte?
Die Befreiungskriege sind wirklich gewesen, waS
sie unS scheinen, Heldenkämpfe eineS VolkeS, mögen
sie auch sonst noch sein, waS imwer, und unsrr
Krieg ist, waS wtt wollen, datz er sei» der grandiofe
Kampf eineS VolkeS um feine Freiheit und
sein Dasein vom ersten biS zum letztrn Tage. Sr
hat den Sinn, den wir in ihn hineinlegen. Jst daS
Morden sinnloS? Es wäre sinnlos, wenn wir den
Frieden baben könnten, wenn wir es fortsrtzten nur
rim andere Länderzu unterwerfen, Boden zugewinnrn»
von dem wtt nicht wifsen, ob wtt ihn nutzen können.
Wir haben getan, waS wir konnten, um dem
fürchterlichen Wahnstnn dieseS KriegeS ein Snde
zu machen. Alle unsere FriedenSerbtttungen haben
nichtS genutzt; nutzen könnte nur eineS, daS Be-
kenntniS: Wir find bestrgt. Darum mutz dieseS
Morden weiter gehen: denn mtt diesem Bekennt-
niS, mit der Hingabe unserer nationattn Existenz,
dürfen wir den Frieden nicht erkaufen. Welchen
idealen Sinn aber brauchen wir noch alS daS Be-
wutztsein, einzustehen für unser Bolk?

Daß die Gesinnung so fich geSndert hat,
wer wollte eS bestreiten. Die wenigen Leute, die
noch etwaS von dem Geiste der Nugusttage 1914
sich bewahrt haben, erscheinen seltfam altmodisch,
fast ein wenig fo, wie die Leute, die noch einen
Zopf trugen, wLhrend alle anderen schon glatt ge-
schorrn waren. ES war fteilich eine TLuschung
zu meinrn, datz die Begeisterung einiger Wochen
neue Wenschen schaffen könnte. Die Selbstsucht
bttibt nach wie vor die Triedfeder deS Menschen,
und waS im Rausche der Begeisterung gelähmt
schien, hat wiedrr sehr krSftig fich regen grlernt.
Sollen wir darum an den Mevschen verzweiseln.

oder meinen, diesrS Deutschland deS EgoiSmuS und
deS EigrnnutzeS sei der Opfrr nicht wert? Mt
diesem Deutschland ist eS wie mtt dem Kriege. ES
hat nur so virl Wert, alS wir ihm Wert >eben
könnrn. Alle diese Opfer sollen nicht für daS Drutsch-
ttmd gebracht werdrn, daS wtt in seinem Streit und
Hader und in seiner Selbstsucht sehrn, sondera für
rin neueS Deutfchland. dem wtt einen neuen
Wert grben wollrn. Auch der FreiheitSkrttg oor
hundert Jahrrn ist in solchrn Grdanken geführt
worden. Man wollte den Feind abwehren, daS
eigene Dasein behaupten. dawit dieseS gerettete
Deutschland wertooller sei für alle seine Söhne.
DamalS ist daS Volk durch die vrrblendete Selbst«
sucht rpeniger Machthaber um deu Lohn feineS
K-rwpfeS bettogen worden. DirSmal kann eS
nicht mehr so sein! AuS diesem Kawpfe mutz ein
neues Drutschland heroorgehen, kein Deutschland,
in drm Selbstsucht und Eigeunutz brquem genirßen
mögen, waS sie im Kriege errafft» sondern ein Land»
daS jedem gewShrt, waS eS an Besttz und Bildung,
an Gütern jeder Art durch den Krieg bewahrt und
gefichert hat. DaS Wort .einer für alle, alle fkr
einen' soll nicht die Losung drS KriegeS, sondern
auch die Losung deS FriedenS sein. Ein neueS
Deutschland mutz auS diesem Kriege hervorgehrn,
und für dieseS Deutschland kSmpfeu wtt.

Das Wettekweiö von Locarno.

. Bou Heinrich v. Kteist.

Am Futze der Alpen, bei Locarno im obere»
Jtalie», befand stch ein alteS, einem Marchese ge-
HSrigeS Schlotz, daS man jetzt, wenn man vom
St. Gotthard kommt, in Schutt und Trümmern
lttgen sieht: ein Schlotz mit hohen und weülSufigen
Zimmein, in deren einem rinst, auf Stroh, daS
man ihr unterschüttete, eine alte kanke Frau, dtt
fich bettelnd vor der Tür eingefunden hatte, von
der Hausftau, auS Mitleiden gedettet wolden war.
Der Marchese, der, bei der Rückkehr von der Jagd,
zufSllig iu daS Zimmer ttat, wo er seine Büchse
abzusetzen pflrgte, befahl der Frau uriwillig, auS
dem Winkel, in welchrm fie lag, aufzusteh«, und
fich hinter den Ofen zu verfügrn. Die Frau, da
fie sich erhob. glitschte mtt der Krücke auf dem
glatten Boden auS, und befchSdigte fich. auf eiue
gefLhrliche Weise, daS Kreuz: dergrstalt, datz stt
zwar noch m«,t unsSglicher Mühe Wfstand uud
 
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