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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 23-24, Juni 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0139

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Werseirkung eines engrifchrn Dampfers üurch
S. M. K. „Wöve"?)

Unser Prisevboot hat, den Dampfer erreicht
und sieht nun daS oft geiehene Bild. Ein Teil
der Levte reunt mit gepackten Zeugsäcken herum;
andere vrrsnchen eia Boot auszuschivingen, koinmen
aber, weil nicht zugepackt. sondern nur geschrien
rvird. damit nicht zu stande. Das Prisenboot kommt
längsseits des Dampfers, und die Bootsbesatzung
iordert Leinen v.nd Leiter zum An-Bord-Kommen.
Erschrrckte Gesichter schauen auf das Boot nieüer.
und die Auffordernng, den Befehlen der Prisen-
mannschasc nachzukommen, muh mehrfach wiederholt
werden. Nebenan steht eine Gruppe von Menschen,
die überhaüpt nichtS tut. Sie hat es auch nicht
nötig, denn sie besteht ous Amerikanern. An Bord
scheint das Kommando gSNjlich abgerissen zu fein.
Der Befehl, Leinen und Leiter zu geben, wird mit
drr Pistole in der Hand wiederholt — alles ver-
fchwindet jetzt von der Rrling. und endlich läßt ein
Mann eine Leiter hrrab, wobei er sich sorglich be-
müht, seir.en Kopf mcht der Gefahr einer Kugel
auszusetzen. An der Strickleiter gehen Oberleutnant
d. R. Pohlmann. der Erste Prisenoff>zier, dann Leut-
nant d. R. Köhler, der Zweite Prisenoffizier, dann
drr Signalgast und dänn die übrigrn Leute hinüber.
Es ist höchste Zeit für sie an Bord zu kommen,
damit sie ihrem eigenen Boot einen befferen Platz
geben kSnnen: denn das über ihnen hängende, von
der Mannschaft verlaffene Boot des Engländers be-
Zinnt sich in seine Bestandteile zu zerlegen.

Mit kurzrm .Guten Morgen" und Händedruck
wird der Kapitän oom Ersten Prisenoffizier brgrüht
und nach Namen, Woher. Wohin, Ladung und
Mannschaft gefragt. Eine Minute später weitz man
auf der .Möve': .Dampfer Mount Temple*. groß
9800 Tonnen, nach Brest, Hauptladung 700 Pferde,
3VOO Tonnen Weizen, 400 Kfften Eier, Beiatzung
109 Mann, wooon zwei tot und zwei verwundet.*

*) Ler schon durch seine erste kühiie Mövefahrt bei allen
Dkutschm berühmte Graf Dohna tzat in einem, bei der
Aerlaßsbuchhaiidlunj Arirdrich Andreas Perthes, Gotha,
eirn erschienrnen Werkchen v»n der „Möve' zweiter Fahrt
»on cheiteren kühnen Taten bcrichtrt. DaZ BLchlein, des
anch »iele phvtograßhische Aufnahmen enihSlt, gibt einr
paSende Beschreibung und Darstellung der Taten unserer
Mariue uater Führung des Kommändanten, des Burg-
grasm Dohna-Echlodien. Wir veröffentlichen rjnen
Äetaen Abschnitt aüs dem Bnchkv - i ' '

„Befehl von Möve': Schiff versenken", mrldet
der Signalgast von der Brücke. Mit liebenswürdigem
Lächeln teilt der Prisenoffizier dem englischen Kapi-
tän den Befehl mit; der seufzte, ist aber doch froh.
als das Prifenkornmando die Leitung in die Hand
nimmt. Die Sprenggruppe bringt die Patronen
und Kisten sachgemäß vrrteilt autzenborts an. wobei
Leinen, die unter dem Schiff durchzuziehen sind, ver-
hindern, datz die Patrone detonieren kann, ohne an
der Schiffswand anzuliegen.

Ein Posten vor der Kajüte zieht auf, der Erste
Prisenoffizier überholt sorgfältig Papiere, Post, Kar-
ten; denn wir möchren vieles wissen, was man uns
zu vrrbergen sucht. . Drr Zweite Prisenofsizier be-
ginnt mit dem Ausbooten der Leute. Von den
Booten des Dampfers ist nur eines noch zu gebrau-
chen, und däs wird .'t Hilfe unserer Leute voll
Menschen gepackt und Ler Befrhl erteilt, nach der
»Möoe^ hinüberzufahrcn. „Nach dem Kreuzer? Ja,
wohin wollen Sie denn? Wir glaubten, Sie lietzen
uns hier treiben und umkommen!" >sragen erpaunt
die Englander. - '

Von der »Möve^ kommen mehr Boote und der
Defehl, die Engländer in den „Möoe'-Booten an
Bord zu schaffen. Jetzt geht alles glatt von statten.
Die Leute werden aufgesordert, auch Decken und Etz-
geschirr mitzunehmen; jeder lktzt srin Bündrl herunter
und sich selbst mir mehr oder weniger Geschicklichkeit
hmterher. Bordkatze, Kanarienvögel. kleine Affen
wandern mit, und die Leute bedanken sich für diese
ErlaubNis. Jrgendwo im Gewühl sagt einer zum
anderen:

.Jch hätte nie geglaubt, datz die Deutschen so
anständige Kerle sind und uns alles mitnehmen
läffen." .

Eine merkwürdige Gefellschaft bevölkert heute
Altenglands Schiffe: alte Männer und Kinder,
Menschen mit allerhand Gebrechen. Ein Offizier
schielt derartig, daß man mit Grausen an die Men-
schenleben denkt, die sich seinen Äügen anverttauen
müffen. Jst ein normaler Mensch unter der Be-
satzung, so entpuppt er stch sicherlich als ein Neu-
traler. den die um das Doppelte erhöhte Heuer in
englische Dienste gezogen hat.

Jedes Boot von der .Möve" mutz 20 Mann
mit Gepäck herüberschaffe», und unsere stämmigen
Kuttergäste haben alle Hände voll zu tun, die Jam-
mergestalten ins Doot zu holen.

Für die Verwundeten. die gstragrn werden
müssen, werden noch Transporthüngematten bestellt.
die mit dem nüchsten Boot hinübergehen. Beim
Gange durch das Schiff kommen die Prisenoffiziere
auch an Küche und Anrichte vorbei. Dort hat vor-
hin noch ein schönes Effen geschmort, das inzwifchen
verschwunden ist; einige Engländer, die auf das
Ausbooten warten, tun sich gütlich an Cornedbeef,
Milch und Whisky; doch findet der Whiskg den er-
heblich grötzten Anklang. Endlich ist auch drr letzte
Mann der englischen Besatzung von Bord geklrttert,
und auf dem Schiffe befinden sich nur noch der Kapi-
tän, der Erste Ofsizier und der Verwatter drs Eng-
länders, um unserem hinübergeholten Zahlmeister
und seineu Leuten das Abholen des für die Eng-
ländrr bestimmten Proviants zu erleichtern. Die
Rcihenfolge, in der die Sachen aufgesunden werden,
gestattet nicht immer ein sachgemätzes Berstauen im
Boot, und dem Schwein schadet es ja schlietzlich auch
nichts, wenn es auf einem Sack voll Hühner ruht.

Bis der Proviaitt emgepackt ist, habeu wer auch
Zeit, unsere neuen Bekannten genauer anzusehen.
Biel Freude erlebt man allerdings nicht dabei; dcr
iypische gesunde englische Seemann ist bereits zur
Seltenheu geworden. Die Spreaggruppe meldet
alles klar zum Anschlagen; alle Ladeluken, Schotten
und Seitensenster werden grössnet. damit das Waffer
beim Sinkeu des Schiffes sreien Zutritt hat. Bon
der »Möve' kommt der Besehl: .Beeilen! Rauch-
wolke in Sicht!"

Das Boot mtt Proviant setzt fosort ab, dann
tletiern die letzten Englünder ins Boot, das Prisen-
kommando folgt, und als letzte steigru die Leute
der Sprenggruppe ein, die die Züuder angrschlagrn
haben. Das Boot hat fünf bis siebrn Minuten
Zeit und ist schon nahezu längsfeit der .Möve^,
als die Detonationea ersolgen, und der Dampser
sich rasch auf die Seite legt.

Kngkand im Wäuseturm,

Jm Frbruar 1915 höhnte der Schriststeller
Archibald Hurd im „Daily Telegraph': .Tirpitz
schickt seine Mäuse aus» um Suglands Brot zu be-
aagen.' Jnzwischen sind die Wirkungen der ge-
sürchteten .U-Boot-Pest' in ein Stadium einge-
ttetev. doS EnglandS langsamen, aber ficheren Un-
tergang rncht allein nur durch L:e immer hestiger
 
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