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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 13-14, Januar 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0073

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Des Kreiherrn von Wünck-
hausen wunderöare Aöenteuer.

Von ihm selbst erzLhlt.

Sie haben unstreitig, meine Herren, von dem
heiligen Schutzpatron der Weidmänner und Schützen,
St. Hubertus, nicht minder auch von dem statt-
lichen Hirsche gehört, der ihm cinst im Walde auf-
stieh, und welcher das heilige Kreuz zwischen seinem
Geweihe trug. Diesem St. Hubertus habe ich noch
alle Jahre mein Opfer in guter Gesellschaft dar-
gebracht, und den Hirsch wohl tausendmal sowohl
in Kirchen abgemalt, a.'s auch in die Sterne seiner
Ritter gestickt gesehen, so daß ich auf Ehre und
Gewissen eines braven Weidmanns kaum zu sagen
weiß, ob es entweder nicht vor Zeiten solche Kreuz-
hirsche gegeben habe, oder wohl gar noch heutiges
Tages gebe. Doch lassen Sie sich vielmehr er-
zählen, was ich mit meinen eigenen Augen sah.
Einst, als ich all mein Blei verschossen hatte, stieß
mir, ganz wider mein Vermuten, der stattlichste
Hirsch von der Welt aus. Er blickte mir so mir
nichts dir nichts ins Auge, als ob er's auSwendig
gewußt hätte, daß mein Beutel leer war. Augen-
blicklich lud ich indessen meine Flinte mit Pulver
und darüber her einr ganze Hand voll Kirschsteine,
wovon ich, so hurtig sich das tun ließ, das Fleisch
abgezogen hatte. Und so gab ich ihm die volb
Ladung mitten auf seine Stirne zwischen das Ge
weih. Der Schuß betäubte ihn zwar — cr tau
melte — machte stch aber doch aus dem Staube.
Ein oder zwei Jahre danach war ich in demselben
Walde auf der Jagd: und siehe! zum Vorschein
kam ein stattlichcr Hirsch mit einem voll ausge-
wachsenen Kirschbaum, mehr denn zehn Fuß hoch,
zwischen seinem Geweihe. Mir fiel gleich mein
voriges Abenteuer wieder ein; ich betrachtete den
Hnsch als mein längst wohlerworbenes Eigentum,
und legte ihn mit einem Schusse zu Boden, wo-
durch ich denn auf einmal an Braten und Kirsch-
tunke zugleich geriet; denn der Baum hing reichlich
voll Früchte, die ich in meinem ganzen Leben so
delikat nicht gegessen hatte. Wer kann nun wohl
sogen, ob nicht irgend ein passionierter heiliger
Weidmann, ein jagdlustiger Abt oder Bischof, das
Kreuz auf ähnliche Art durch einen Schuß auf St.
Hubertus' Hirsch zwischen das Gehörn gepflanzet
habe? Jm Falle der Not, und wenn es: entweder
— oder, gilt, welches einem braven Weidmann


nicht selten begegnet, greift er lieber wer weiß
wozu, und versucht eher alleS, als daß er sich die
günstige Gelegenheit entwischen läßt. Jch habe mich
manches liebe Mal selbst in einer solchen Lage der
Versuchung befunden.

Was sagen Sie zum Exempel von folgendem
Vorfall? — Mir waren einmal Tageslicht und
Pulvcr in einem polnischen Walde ausgegangen.
Als ich nach Hause ging, fuhr mir ein ganz ent«
setzlicher Bär mit offenem Nachen, bereit mich zu
verschlingen, auf den Leib. Umsonst durchsuchte ich
in der Hast alle meine Taschen nach Pulver und
Blei. Nichts fand ich, als zwei Flintensteine. die
man auf einen Notfall wohl mitzunehmen pflegt.
Davon warf ich einen mit Macht in den offenen
Rachen des Ungeheuers, ganz seinen Schlund hinab.
Wie ihm dies nun nicht allzu wohl gefallen mochte,
so machte mein Bär linksum, sodaß ich den andern
nach der Hinterpforte schleudern konnte. Wunder-
bar und herrlich ging alles von statten. Der Stein
suhr nicht nur hinein, sondern auch mit dem an-
dern Stein dergestalt zusammen, daß es Feuer
gab, und den Bär mit einem gewaltigen Knalle
auseinander sprcngte. Ob ich nun gleich diesmal
mit heilcr Haut davonkam, so möchte ich das Stück-
chen doch eben nicht noch einmal machen, oder mit
einem Bären ohne andere Verteidigungsmittel an-
binden.

Es war aber gewissermaßen recht mein Schick-
sal, daß die wildesten und gefährlichsten Bestien
mich gerade alsdann angriffen, wenn ich autzer-
stande war, ihnen die Spitze zu bieten. gleichsam
als ob ihnen der Jnstinkt meine Wehrlosigkeit ver-
raten hätte.

So schoß mir einmal unversehens ein fstrchter»
licherWolf so nahe auf den Leib, daß mir nichts weiter
übrig blieb, als ihm, dem mechanischen Jnstinkt
zufolge, meine Faust in den offenen Rachen zu
stoßcn. Gerade meiner Sicherheit wegen stieß ich
immer weiter, und brachte meinen Arm beinahe
bis an die Schulter hinein. WaS war aber nun
zu tun? — Jch kann eben nicht sagen, daß mir
diese unbehilfliche Situation sonderlich anstand. —
Man denke nur, Stirn an Stirne mit einem Wolf!
— Wir äugeltcn uns eben nicht gar lieblich zu.
Hätte ich meinen Arm zurückgezogen, so wäre mir
die Bestie nur desto wütender zu Leibe gesprungen;
so viel ließ fich klar und deutlich aus seinen flam-
menden Augen herausbuchstabieren. Kurz, ich packte

ihn beim Eingeweide, kehrte sein Aeußeres zu in-
nerst, wie einen Handschuh, um, schleuderte ihn zu
Boden und ließ ihn da liegen.

Dies Stückchen hätte ich nun wieder nicht an
einem tollcn Hunde versuchen mögen, wclcher bald
darauf in einem engcn Gäßchen zu St. Petersburg
gegen mich anlief. Lauf, was du kannst! dacht ich.
Um desto besser fortzukommen, warf ich meinen
Ueberrock ab und rettete mich geschwind ins Haus.
Den Rock ließ ich hernach durch meinen Bedienten
hereinholen und zu den andern Kleidern in dir
Garderobe hängen. Tags darauf geriet ich in ein
gewaltiges Schrecken durch meines Johanns Geschrei:
»Herr Gott. Herr Baron, Jhr Ueberrock ist tolll*
Jch sprang hurtig zu ihm hinauf und fand alle
-uieine Kleider umhergezerrt und zu Stücken zer-
rissen. Der Kerl hatte es auf ein Haar getroffen.
daß der Ueberrock toll sei. Jch kam gerade noch
felbst dazu, wie er über ein schönes neues Galakleid
herficl und es auf eine gar unbarmherzige Weise
zerschüttelte und umherzauste.

Jn allen dicsen Fällen, meine Herren, wo ich
freilich iwmer glücklich. aber doch nur immer mit
genauer Not davon kam, half mir das Obngrfähr,
welches ich durch Tapferkeit und Gegcnwart des
Geistes zu meinem Vorteil lcnkte. Alles zusymmen
genommen macht, wie jrdermann weiß, den glück-
lichen Jäger, Seemann und Soldaten aus. Der
aber würde ein sehr unvorsichtigcr, tadelnswerter
Weidmann, Admiral und General sein, der sich
überall nur auf das Ohngefähr oder sein Gestirn
verlaffen wollte, ohne sich weder um die befonders
erforderlichcn Kunstfertigkeiten zu bekümmern, noch
sich mit denjenigen Werkzeugen zu versehen, die den
guten Ersolg sichern.

Wer weiß?

Abend ist's. Jch fitze einsam im Walde. Vor
mir, im kleinen Wriher, schnellt von Zeit zu Zeit
ein munter Fischlein aus dem Waffer. Ein letztcr,
flüchtiger Sonnenstrahl gleitet freundlich über d-e
Wellen. Ganz nahe eilt ein Bächlein vorbei und
begleitet mit leisem Rauschen die kräftigen Schläge
eines Holzfällers, der im Walde emsig arbeitet.
Eonst ist alles so stille um mich. — Jch träume.

Und da ist mir's, alS hörte ich wieder ein altes
Lied, das mir früher bei sorglosem Wandern so oft
 
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