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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 15-16, Februar 1917
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0086

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Nun kamen Mühen und Strapazen. nun kamen
Schlachtruf und SturmgebrauS. Aber eS ging
glücklich vorüber, an Dir vorüber. Mancher Kame»
rad mußte sein Leben lassen, Du bliebst verschont.
Schon dachtest Du. daß Dich nichts anfechten könnte.
Allein da kam der Tag Deinrr Verwundüng. Du
weißt eS ja am besten, wie eS war. So oft hast
Du eS schon erzählt. und jedem, der Dir nahe
tritt, mußt Du es immer wieder erzählen. Du
wurdest an den Verbandplatz. dann inS Feldlaza-
rett. dann in ein anderes Lazarett gebracht. Nun
bist Du schon ISngrre Zeit dort, aber noch immer
heißl eS abwarten und geduldig fein. Wie glücklich
stnd die, die Aussicht haben. bald geheilt zu wer-
den, um dann zu den Kameraden an die Front
zurückzukehren I Mit Deiner Genesung will es nicht
so schnell gehen. Nun kommen die schlaflolen Nächte
und die schmerzensreichen Stunden. Du siehst es
immer deutlicher und gewisser. daß Deine Verwun-
dungen und Verletzungen fo schwer sind, daß Du
Deine ErwerbsfShigkeit zum größeren Tril, vielleicht
sogar ganz eingebüßt hast. Nun kommen die bangen
Fragen, und ste kommen immer wieder: Was wird
auS mir, wenn ich aus d-m Lazarett entlassen
werde? Wie werde ich wieder meinen Platz aus-
füllen können? WaS wird aus meiner Familie?
Und immer wieder wirst Du an Deine Hilflosigkeit
erinnert, denn täglich bist Du abhängig von dem
Wohlwollen Deiner Kameraden. die Dir beim An-
und Ausziehen helfen müssen. Was soll das später
werden? Du warst vorher immer so stolz und
stark. Nun wirst Du vielleicht im späteren Leben
wirtschaftlich wertlos, für die Gesamrheit unnütz,
alle Tage abhängig von antern wcrden? Der Ge-
danke ist kaum zu ertragen.

Jch weih es, liebe Kameraden, daß es solche
Unglücklichen unter Euch im Lazarett gibt. Jch
habe selbst welche kennen gelernt, die in all ihrer
Sorge menschenscheu und wortkarg geworden sind.
Gehörst auch Du dazu, lieber Leser. so fühlst Du
wohl, daß ich Verständnis für Deinen Schmerz
habe. Jch verstche Dich mit all Deiner Sorge

Schüttle sie nicht leicht und schnell wieder ab,
sondern erwäge alles und jedes l Aber dann mußt
Du auch wleder davon loskommen. Wenn Du
dich immer mit Deinem Unglück beschäf-
tigst. wenn alles andere für Dich zu
bestehen aufhört, dann wirst Du nicht
nur verzagt und mutlos, sondern auch
verbittert, hart und unleidlich. Du
mußt davon loskommen, Du mußt auch
wieder Augen bekommen für Deine Um-
welt, Du mußt wieder die Zukunst
hoffnungsfroh ins Auge fassen. DenWeg in
diesesichereundglücklicheZukunftwillich
Dirzeigen.willichDichführen. Folgemir
nur, undDuwirstzudiesemZielegelangen

Du warst so tapfer im Tun, Du mußt auch tapfer
im Leiden sein. .Haltet aus. haltet aus l' was
Du fo oft rwtgesungen, das gilt nicht nur für das
Schlachtf-ld, das gilt auch für das Krankenbett.
Und während Du in Deinem Bctt liegst, zieht
Lraußen ein Schwarm froher Schuljugend singend
vorüber:

Haltet aus, haltet aus, laffet hoch das Banner

wehn;

Zeiget ihm, zeigt dem Feind, wie wir treu

zusammenstehn:

Daß sich unsre alte Kraft erprobt,

Wenn der Schlachtruf uns entgegentobt;

Haltet aus im Sturmgebraus!

Hrundzüge der soziaten Der-
ficherung.

Boa LaadeSrat Beck, Caffel.

(Schluß )

Wenn nun ein Rentenbewerber die Erfüllung
feiner Wartezeit und seine JnvaliditSt nachgewiesen
hat, so bekommt er Jnvalidenrente. die auf Grund
der von ihm nachgewiesenen Beitragswochen fest-
gefetzt wird «ad zu der, wie auch zu jeder Alters-
und Srankenrente, daS Reich einen jLhrlichen Zu-

schuß von 50 Mk. leistet. WSHrend nach der bis-
herigen Gesetzgebung sich die Rente lediglich nach
der Anzahl und Klasse der nachgrwiesrnen Beitrags-
wochen richtete, also die mehr oder weniger große
Bedürftigkeit des Rentcnbewerbers ganz außer Acht
blieb, und insbesondere auch auf eine mehr oder
weniger große Familie keine Rücksicht genommen
wurde, hat die Reichsversicherungsordnung wenig-
stens nach dirser Richtung hin Abhilfe geschaffen.
Für ein jedes Kind unter 15 Jahren wird der
Rente des Vaters oder derMuiter hinzugeschlagen.

Die wichtigste Neuerung der Reichsverstcherungs-
ordnung ist aber die Einführung der Hinterblie-
benenversicherung. Es crhalten nämlich jetzt auch
inoalide Witwen, unter besonderen llmständen auch
Witwer, und Waisen unter 15 Jahren, eine Rente,
die sich nach der Höhe d-r Rente des Verstorbenen
berechnet und zu der das Reich ebenfalls einen Zu-
schuß von 50 Mk. sür Witwen und Witwer und
25 Mk. zur Waisenrente gewährt.

Neben den Renten, d. h. fortlaufenden Zahlungen,
kennt die Reichsoersicherungsordnung noch einmalige
Leistungen, nämlich Witwengeld, das eine Witwe'
nicht alle, beim Tode des Mannes, und Waiken-
aussteuer, die die Waisen unter Umständen bei
Vollendung des 15. Lebensjahres erhalten.

Außer diesen gesetzlichen gibt es noch zwei frei-
willige L istungen der Landesverstcherungsanstalten,
denen bekanntlich die Durchsührung der Alters-,
Hinterbliebenen- und Jnvalidenversicherung übcr-
tragen ist. Es kann nämlich ein Rentenempfänger
in einem Jnvalidenhaus oder einer ähnlichen An-
stalt untergebracht werden. und ferner bietet sich
die Möglichkeit, Waisen, die Hinterbliebenenrente
beziehen, in Waisenhäusern und neuerdings auch
in Familicn zu erziehen.

Von ungleich größerer Bedeutung aber ist die Kran-
kenfürsorge.die dieLandesoersicherungsanstalt einleiten
kann, um die infolge Kranlheit drohende Jnvalidi-
tät eines Versicherten oder der Witwe eines Ver-
sicherten abzuwenden, oder um die bereits bestehende
Jnvalidität zu beseitigen-,

Alle heilbaren Kcankheiten finden sich in den
Statistiken der Landesversicherungsanstalten. Dabei
tragen diese aber nicht nur die Kosten füc die Be-
handlung; um dem Kranken die Sorge um die
Angehörigen fcrnzuhalten, haben sie ihm während
der Dauer der Behandlung eine sich nach der Größe
der Familie richtende Unterstützung zu zahlen.

Der Hauptkampf gilt seit Jahien der Tuber-
kulose; er hat zu eincm glänzenden Ersolg geführt.
Jn Preußen ginz oom Iahre 1884, in dem die
TStigkeit der Jnvalidenversicherung auf diesem Ge-
biet einsetzte, bis zum Jahre 1907 die Tuberkulose-
sterblichkeit auf 1000 Lebende berechnet von 32 auf
17,16 zurück. Das Anwachsen der Bevölkerung
des Reichs, das uns im heutigen Krirge so be-
sonders wertooll ist, ist also nicht, wie viele glaub-
ten, auf Zunahme der Geburten, sondern auf dcn
Rückgang der Sterblichkeit zurückzuführen. Die
umfaffende Krankenfürsorge, die sich seit einiger
Zeit auch wit dem gefährlichen Lupus, der so
furchtbar entstellenden freffenden Flechte, mit der
Trunksücht und neuerdings auch den Geschl chts-
kranheiten befaßt, kostet selbstoerständlich viel Geld.
Datz diese Geldmittel durch die Beitragsmarken,
die in den bekannten Quittungskarten eingeklebt
werden, einkommen, ist allgemein bekannt. Wen-ger
bekannt dürfte sein, in welcher Weise die Landes-
verücherungsanstalten die im Laufe der Jahre sich
ansammelnden erheblichen Vermögen anlegen. Jm
wesentlichrn laffen sie ihre reichen Mittel nur für
soziale Zwecke aller Art arbeiten. Jm Vorder-
grunde steht hierbei die Wohnungsfürsorge und die
Bekämpfung der Wohnungsnot. Das Aufblühen
der gemeinnützigen Bauvereine, Baugesellschaften
und Baugenoffenschaftcn ist lediglich der Mitwirkung
der Versicherungsanstalten zu danken. Sie haben
zum Bau von Arbeiteryäusern erhebliche Summen
zu so billigem Zinsfuß hergegeben, wie es andere
Geldgeber schlechterdings nicht können.

Auf die bisher besprochenen Versicherungen allein
beschränkt stch aber die soziale Gesetzgebunz nicht.
Hinzu kommt noch die Unfalloersicherung, eine
Arbeiteroerficherung im strengsten Sinn, d. h. sie allei»

ist die Versicherung der Arbeiter als folche gegen
Schäden, die der Arbeit selbst entspringen, die also
auf einen sogenanntrn .Betriebsunfall' zurückzu»
führen sind. Tritt ein solcher Unfall ein, so muß
der Versicherte, und das ist jeder gewerbliche, oder
land- oder forstwirtschaftliche Arbeiter, unter Um-
stäni'en auch der niedere Betriebsbeamte und der
kleine selbständige Landwirt, in den ersten 13
Wochen für sich sclbst sorgen. Vom Beginn der
14. Woche an setzt die Entschädigung durch die
Berufsgenossenschaft ein. Der Verunglückte hat
dann Auspruch auf freie ärztliche Behandlung. auf
Heilmittel, wie Brillen, Krücken, Stützvorrichtungen
usw. und auf eine dem Grade dieser Erwerbsun-
fähigkeit entsprechende Rente.

Hieraus ergibt sich, daß die Unfalloersicherung
ebenso, wie es bei den Militärrenten für Kriegs-
teilnehmer der Fall ist, auf eincr grotzen Zahl von
Stufen der Erwerbsunfähigkeit zu arbeiten hat
und daß weiter im Falle der Besserung Abzüge
von der Rente gemacht werden. Es ist daher hier
die Sucht zur Vortäuschung, zum mindesten aber
zum Uebertreiben, noch erheblicher, als bei der Jn-
validenversicherung. Personen, die stark hinkend
an zwei Stöcken laut klagend in das Sprechzimmer
des Arztes kommen, dann aber nach Verlassen des
Hausi-s, wcnn sie sich unbeobachtet glauben, die
Slöcke unter den Arm nehmen und flotten Schrittes
davongehen, sind leider keine Seltenheiten.

Neben den gesetzlichen Leistungen können die
Berufsgenossenschaften, deren es 66 geweibliche und
48 landwirtschaftliche gibt, auch noch freiwillig tätig
sein. Diese freiwillige Täligkeit erstreckt sich am
umfassendsten nach zwei Seitcn.

Es kann zunächst ein Verletzter schon vor Ab-
lauf der 14. Woche in ein Kcankenhaus einge-
wiesen werden. Hierdurch wird häufig eine oiel
säinellere und gründlichere Heilung, als sie zu Hause
möglich ist, erzielt. Die Ecfahrungen, die hierbei
gesammelt sind, kommen jetzt unseren Verwundeten
in reichem Maße zu gute. Die Erkenntnisse der
sogenannten sozialen Meaizin haben sich für K-iegs-
beschädigte im hohen Matze als wertooll erwiesen,
und so ist es mit der Arbeiterverstcherung zu danken,
datz die Zahl der wieder genesenden Krieger so er-
staunl-ch hoch ist und Deutschland auch nach dieser
Richwng bei weitem an der Sp'itze aller krieg-
führenden Staaten steht.

Die zweite freiwillige Betätigung der B'rufs-
genossenschaften ist die Unfallverhütung. Wichtiger
noch als die Entschädigung entstandener Schäden
ist die Verhü ung von zukünft'gen, und deshalb
sind sür jede Betriebsart Unfalloerhütungsvor-
schriften erlaffen, die auf die Gefahren des BerriebeS
hinweisen und die Mittel zu ihrer Abwehr schaffen.
Zur Durchführung dieser Vorschriften, deren Ueber-
tretungen unter Strafe gslellt sind, haben die
Berufsgenossenschasten, die lediglich von den Arbeit-
gebern ihre Geldmittel erhalten, besonders vorge-
bildete Aufsichtsbeamte bestellt. die die notwendigen
Schutzvorrichtungen fortwährend überwachen.

Wie einschneidend die soziale Versicherung für
unser wirtschaftliches Leben ist, geht daraus heroor,
datz im Jahre 1913, die Jahre 1914 und 1915
sind wegen des Krieges nicht matzgebend, bei
einer Gesamtbeoölkerung von fast 70 Millionen
gegen Kcankheit, gegen Alter und Jnvalidität je
13'/z Millionen und gegen Unfall 29 Millionen
Menschen versichert waren. Der Aufwand aus der
gesamten sozialen Versicherung beträgt jetzt täglich
etwa 2*/L Millionen Mk.. eine gewaltige Leistung,
durch die schon irn Frieden manche Sorge gehoben.
manche Not gelindert wurde. Um wieviel mehr
hat sich unsere Arbeiterversicherung. das Werk des
ehrwürdigen Kaiser Wilhelms I. und seines grotzen
Kanzlers, im Kriege bewährt! Nach welchen Rich-
tungen sie insbesondere den Verwundeten und ihren
Angehörigen zu Gute kommt, darüber zu berichten,
bietet stch vielleicht ein andermal Gelegenheit.
 
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