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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 43-44, April 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0257

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kaärner Lsaarett-Leitung.

Nummer43. üettage. 1.A-ri!19l8.

Nmkstag.

Da wären wir also! sagte er, während er.
die Handschuhe auszog und sich in seinem ge-
räumigen, großfensterigen Amtszimmer umsah.
Der Mantel hing schon an der getünchten Wand.

„Nun wollen wir mal erst sehen", sagte er
zu den Akten und schritt an der Bank vorbei
auf der sie wie Hasen im Wildpretladen nebenein-
' ander lagen, zum Fenster.

„Na, da se>d ihr ja wieder," grüßte er hin-
aus. Da war der Mühlbach unter dem Fenster,
da schlängelte noch der Darm, der an einem
Steine hängen geblieben war, auf dem winter-
klaren Grunde; da war zwischen Mühlbach und
Flußlauf der Jnselflecken, auf dem die Enten sich
putzten; da schütterte das Flüßchen über das
durchblickends sinterbraune Steingeröll; da klam-
merte der Brückenbogen Ufer und Ufer zusam-
men; da krochen noch drüben, den Buckel be-
- schneit und den Fuß freigeschmolzen, Schild-
kröten gleich, die Uferhügel; da war fern hinten
der gerade Bergeszug und — hopsa, da stießen
ja auch die Druck Entchen wieder durch den Spiegel
des Mühlbachs, tauchen unter, schwammen
hintenaustretend wie die Frösche unter der
Fläche hin und puddelten plötzlich wieder das
Köpfchen heraus, ein zappelndes Silberfischchen
im Schnabel.

Also alles noch an seinem Platz! Folglich
war er auch da-, Jawohl, er sah richtigen Morgen
und — wundersam! — in ihm war Leben! Er
sah es, wie einer, der seine Lampe brennen läßt,
auf die dunkle Straße geht und draußen sein
Zimmer erleuchtet sieht.... Das überzeugte.

Mit der Ruhe ciner feinen, schuldlosen Ver-
richtung steckte er sich eine Cigarre an, und rein-
lich schwetzte der Odem des ersten Rauches in
den Raum.

Die Schönheit der Welt war noch da! Also
auch die Jdeale! Denn wäre eines davon
zusammengebrochen, so hätte das Stückchen Welt,
das sich vor dem Fensler ausbreitete, wohl sehr
betrübend ausgesehen.

„Das wäre also schön! Nun können wjr an-
fangen!" sagte er. Denn in diesem Zimmer
könnte man seine Jeale schon verlieren.

Er war gewappnet. „Herein die Feinde!"

Da pflanzten sich sechs Bauern auf, Kerls
wie die Eichen, denen der achzigjährige Vater
schon sein Land verteilt hatte, und nun sie darauf
saßen, wollte keiner die drei Batzen herausrücken,
die sich der arglose Lear für die paar Jahre, die
er zu leben hatte, von jedem zum Unter-
halt erbat. Denn es stehe nicht im Vertrage,
sagten die Klötze, die der Husten ihrer Kub mehr
beunruhigt, als die Todesnot ihres eigenen
Fleisches und Blutes.

Aber als der Greis hinauswankte — hatte
er sein Geld.

„Herein die Feinde!" Und fein gespreizt in
seinen Havelock dastehender alter Knirps, mit
quadratischem Gesicht, eingekniffenen Lippen und
geierbösen, dicküberbuschten Augen, verlangte sein
Testament zurück, um an Stelle und hinter dem
Rücken der Tochter, der in der Pflege des Pei- .
nigers das Leben verwelkte, eine Stiftung zur
Erbin einzusetzen die seinen Namen in goldnen
Lettern auf die Tafel der Wohltäter geschrieben
haben würde.

Und was tat der feige Schakal, nachdem ihm
sein Vorhaben in das rechte Licht gesetzt war?

Bang um sein gutes Andenken, schlich er,
ohne das Testament, zur Türe hinaus.

Daß man ihm kein Lineal nach warf. . .

Herein knixle unterwürfig eine der Land-
gängerinnen, die im Frühjahr mit ihren Zwirnen
die Schweiz bereisen, löste sich tiefseuszend das
dicke Tuch vom Kopfe und slehte gedrückt um
Hilfe gegen einen Trunkenbold von Mann, der
während ihrer Abwelenheit die Ersparnisse ver-
trank. gegen Branntwem das Vieh verschenkte
die Kinder mißhandelre und hungern ließ und
auf sie selbst, seine Frau, mit der Axt losging.

Da gab es schon Mittel....

„Ach, junger Herr, mit ihnen kann man
reden, wie mit einem Sohn," weinte die Her-
zenseinsame heraus und sie merkte in ihrer Er-
wärmtheit nicht, daß sie sich versprochen hatte,
als sie im Davongehen verfonnen „Adieu, Kind"
sagte.

„Adieu, Bundesgenoffin" träumte er, seine
Ruhe wiedererlangend, einen Augenblick die Türe
an, durch die sie gegangen war, stand auf und
trat zu seinen andern Bundesgenossen an das
Fenster.

„Seid nur ftill", sagte er zu allen. Wie das
Geflügel sich vor der Hoftreppe versammelt,
wenn die Zeit da ist, zu der es gefüttert werden
pflegt, so sah Wasser und Jnsel, Schneehügel und
Brücke im Kreffe zu ihm herauf. „Seid gewiß,
ihr Slillen, ich folge Euch", verständigte er sich
mit ihnen und saß wieder auf seinen Posten. . .

Erst auf dreimal wiederholte Aufforderung
behielt das im Eifer der Rede stch immer wieder
erhebende lebhafte Mädchen Platz. Sie war
groß. Die freie Stirn verwies das flughafte
Blondhaar zurück. Wenn die klargeschliffenen
Augen blinkten, leuchteten unter dem bewegten
Flügel der geraden Nase, deren feinblütiges ge-
rötetes Jnnere vor. Feuchlrote Lippen öffneten
sich vor naßglänzenden Zähnen und in sam-
wandiger Kosigkeit glitt der weiche Hals, sich
wendend, im Kragen.

Jn ,die Großstadt sollte der Richter die un-
mündige Schöne ziehen lassen, die schon mit ihm
liebäugelte, ihm, der ihr vertrauen sollte!

Er redete auf sie ein, wie ein milder Vater.
Auf ihren gesenkten Augenlindern entzündete in-
nere Bewegung heiße Röle; sie hatte die' Ehre
der Schönheit begriffen.

„Ja, Herr .. . Wenn der Herr meint, bleibe
ich . . ,"

Züchtig und leise schloß sie die Türe

Und wieder sahen sich Mensch und Land-
schaft in die Augen. Und die Natur, die durch
ihre Klarheit und die Bestimmtheit ihres Weges
und Wirkens den Menschen so oft beschämt und
niederdrückt, warf ihm das Bild seiner gestärkten
Seele heiter zurück.

„Kämpfen wir so weiter!" nickte er hinaus,
sah sich im Zimmer abschiednehmend um und
schritt in den Tag. . . .

Die Maus, der die plötzliche Stille auffiel,
kam aus der Lambris und lief unhörbar durch
das leere Zimmer.

Leo Sternberg.

Wer in der vorigen Nummer unseres Blattes
die eindrucksvolle Lazarettskizze „Jm Himmel"
gelesen hat, ist sicherlich erfreut, dem Namen des
Dichters wiederzubegegnen, welcher noch nicht
allgemein bekannt ist, aber es werden und bleiben
wird, denn er ist vor das Weltgericht der Zukunft
berufen als Zeuge unserer gewaltigen Zeit! Ganz
abgesehen von seinen anderen Werken, die ihm
einen Ehrenplatz in der deutschen Literaturgeschichte
des 20. Jährhunderts sichern, sind seine Kriegs-
dichtungen eine literarische Tat. Zuerst in Flug-
blättern erschienen, liegen sie jetzt in einer Buch-
ausgabe „Gott hämmert ein Volk" gesammelt vor.
Schon der Titel kennzeichnet den ethischen Gehalt,
der in ureigene, künstlerische Formen gegoffen ist.
Was Leo Sternberg gibt, ist Tieferlebtes, obgleich
er nicht als Kämpfer im Felde war. Die Heimat
ließ ibn nicht los, doch war es ihm vergönnt, an
der West-Front das deutsche Theater begründen
zu helfen. —

Obige Erzäblung „Amtstag" eignet sich ganz
besonders zur Einführung des Dichters in einen
remden Leserkreis, denn wir lernen ihn dadurch
persönlich kennen, in seinem Doppe'berufe, den er
harmonisch zu vereinigen weiß. „Ein Prosastück"
nennt es der Versasser — wir können es getrost

ein „Kabinettstück" nennen! Wieviel ist hier in
engem Rahmen vereinigt: Dichterisch ein kleines
Meisterwerk, zeigt diese zugleich ernste und heitere
Studie das Richteramt von menschlichsn Stand-
punkt aus in seiner schönsten Bedeutung. -t. m.

Das Orakel. *)

(Schluß.)

Bogislaw Wrbala fühlte wohl, daß es ein
schreckliches Abenteuer war, in das er sich da
stürzen wollte. Wenn der Herr Leutnant auch
einen Schlaf hatte, daß man Holz auf ihm'hacken
konnte — das militärische Gefühl des Burschen
bäumte sich wütend dagegen auf, einen^Vorgesetz-
ten bei der großen Zehe zu fassen. Jn den
Kriegsartikeln stand ja allerdings nichts, daß das
Zaubern verboten sei — er hatte zu Hause extra
nochmal nachgesehen —, aber die Geschichte hatte
auch ohnedies ihre bedenklichen Seiten. Und wahr-
scheinlich kätte Bogislaw die fünf baren und sünf
schuldiggebliebenen Diltchen verspekuliert, ebenso
wie das Honorar für die drei geweihten Palm-
kätzchen, die er seinem Leutnant einzugeben fich
nicht getraut hatte, wenn ihm nicht eine Reihe
glücklicher Umstände zu Hilfe gekommen wäre.

Zunächst dauerte der abendliche „Schafkopp"
nur bis halb elf. Die alten Herrschaften gingen
schlafen und der Herr Leutnant auch. Um drei-
viertel zwölf war schon alles still — nur in der
Küche und den danebenliegenden Wirtschaftsräu-
men war noch Licht und Leben. Da wurde ge-
backen und gebraten, daß die herrlichsten Dünste
bis zur Kammer hinausstiegen, an deren offenem
Fenster Bogislaw Wrabla mit gelindem Zähne-
klappern die Stunde der Gespenster abwaitete.
Die Pfingstnacht war lau und milde; aus den
Fliederbüschen im Park lockte eine Nachtigall, und
in dem wilden Wein am Hause zirpten die Heim-
chen. Aber was nützt das alles, wenn arge Zwei-
fel das Menschenherz zerwühlen und der Schauer
großer Ereignisse es erbeben machen.

Jm Hofe wurde es plötzlich lebendig. Der Bur-
sche hörte Sjimmen — dann ein Laufen und
Türenschlagen, und an dem hellen Widerschein auf
dem Hofe merkte er, daß die Gutsherrschaft ge-
weckt worden war und Licht gemacht hatte. NicHt
lange darauf huschte etwas über den Gang brs
an seine Tür und klopfte.

„Booogiiislaw!"

Stine's säuselnde Zephirstimme. Jhm schlug das
Herz bis in den Hals und er mußte erst ein paar
mal schlucken, ehe er antworten konnte. Das wurde
aber nicht abgewartet.

Die Tür öffnete sich zu einer Ritze, und Stine's
rotes Patschhändchen warf ein Papier ins Zim- '
mer.

„Wecken Sie sofort den Herrn Leutnant und
geben Sie ihm gleich das Telegramm. Der Herr
Okonomierat lassen den Herrn Leutnant bitten, zur
Bahn zu fahren. Es wird schon angespannt."

> Als der Bursche mit Angstschweiß unter dem
gesträubten Haar das Zimmer seines Leutnants
betrat, schlug es zwölf auf der Dorfkirche Jhm
war greulich zumute, obwohl doch alles so günstig
lag. Selbst die Zehe ragte am Fußende des Feld-
bettes so einladend hervor, daß man nur zuzugrei-
en brauchte, um endlich zu wiffen, wie es der ,
Herr Leutnant mit der Stine hielt.

Und er griff zu-mit angstvoll aufgesperrten

Augen und angehaltenem Atem.

„Lie — lieben Sie ihr, Herr Leutnant — ?"
hauchte er mit zitternder Derschwörerstimme.

Erst einige selksame Laute, als wenn sich je-
mand verschluckt hätte. Dann ein zwar verschlafe-
nes aber kräftiges: „Jawohl —"

Mit steundlicher Bewilliaung des Berlages Philiph
Reclam den „Offiziersgeschichten' von Teo vo«
Torn entnommen.
 
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