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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 47-48, Juni 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0284

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mal von ferne riechen. Auch hrutr noch kein Wafser
— dann warrn wir unbedingt verloren. DieseS
Sefühl wrpc i« «nS allen fa starl. datz wir sofort
mit dem ganzen tollen Eifer der Berdursteuden
«inem Chauat, ein« «nterirdischen Wasserleitung,
nachgruben. A« einer Stelle fanden wir Blutegrl;
«nd daS beglückte unS, denu eS war ein Zeichen
für Feuchtigkeit. Mit Bechern üad Cmailletellern
wurde sofort weiter grschaufelt. Die Grabstell«
zeigte allmählich uassere Wände. dann sammelte»
fich helle Tropfen. und «ach einer Welle konnten
wir einen halben Bechrr schöpfea. Freudestrahlend
hoben wir ihn herauS. Wir Deutschen standen alle
im Äreise herum» fahe« uuS daS richtige Wasser
an. daS wncklich sütz sein sollt«, und starrten unS
dauo. einer über den auderen erschreckend. iu die
fahlen, aschgrauen Gefichter. Donnerwetter. den
hat eS aber mitgenommen l dachte jeder vom
auder». Nach dem ersten redlich gelelltrn Trunk
wareu wir schon wie oerwaadelt. Wir hatten nua
wieder Hoffaung, ja wir hatten in uns die Zu-
verficht, doch noch lebend unser Ziel zu erblicken l

Pereh, der erste bewohnte asghanische Ort, in
den wir am nLchsten Morgen gelangten, bot unS
keiae allzu grotzen C'mdrücke. Die Leute unterschie-
den fich in ihrem Aeutzrrea» biS auf die ganz weitze
Baumwolltracht, weuig von den Prrsern der Grenze.
Eie brgrgnetea unS mit stummer Achtung. ohne
kriecherische Unterwürfigkeit. Wir wutzten nicht, waS
bei unS im Augenblick hestiger war, uusere Areude,
iu Afghauistan zu sein, oder di« Spannung. wte
die nun bevorstehendea Sntscheidungen auSfallen
würden.

Am Nachmittag unsereS AnkunftStageS wurden
ünr in unferer schlüfiigen Ermattung durch eme
Bewegung vor der Äarawanserei gestört. Pferde
schnoben, Stimmen fchallten, uud schlietzlich eilten
uasere Leute herein, vornehme afghanifche Gäste
z« melden. ES waren die Abzesandten d«S Gene-
ralgouverneürS von Herat. Unser Kommen war
dem BizekSnig rechtzeitig gemeldet worden, und er
hatte nicht gezögert, unS mehrere sriner Sdelleute
zur Begrüßung entgegenzuschicken.

Wenn wir unS noch hätten wundexn können,
so hätten wir über die tußere Erscheinung dieser
afghanischen Notabeln gestaunt. Der Führer der
Deputation war ein stark semitisch auSsehender
Mann in hohen wikdledernen Reiterstiefeln und
einrm langen grünen Rock. Er hatte ein mittel-
atterlicheS Wehrgehiinge um und auf dem Kopf
einen grauen Tropen-Halbzylinder, wie vor Jahr-
zehnten wohl die alten Buren in ihrer freien Re-
piÄik ihn trugrn. AlS Schatten folgte ihm auf
Schrstt und Tritt, ganz im Kostüm der mittrl-
alteilichen Hofnarren, eng anliegendem, um die
KnSchel festgeschnalltemBeintleid und buntemWams,
sein Becherträger; statt der Prstfche führte er eine
Fliegevpestsche. Die übrigen Afghanen waren ähn-
lich grkleidet, aber stummer und zurückhaltendrr
alS ihr Führer. Dieser lud unS im Namen deS
SeneralgouoerneurS em, unS alS Gäste der
afghanischen Regierung zu bettachten. Eine große
Karawane mit Küchengeräten und Dienern sei ein»
grttoffen und stehe zu unferer Verfügung.

Am folgenden Morgen brachen wir in langrm,
prächtigem Zuge nach Heral auf. Unseren Gast-
geberv zu Ehren hatte ich Uniform angelegt. Mem
Blauschimmel erregte überall die größte Bewun-
derung. DaS Volk grüßte unS allenthalben sehr
freundlich, mü jener gedämpften Begeisterung, wie
fie drm Orientalen bei festlichen Begebenheiten
eigen ist.

Bor unS lag Herat. Tief im Grünen waren
die UmfassungSmauern deS unS angewiesenen
PalaiS eingebettet. Garden in weißbaumwollenen
Unterhofen mit roten englischen Jnfanterieröcken,
in preußischen Kavallerie- und Jägeruniformeu,
Schnabelschuhe an de» nacktea Füßen und eiu
gewaltigeS Grwehr mst Bajonrtt über der Schul-
ter, salutierten in sttammer Haltung. Ein Oberst,
dea ich in seiner Schofförmütze zunächst oerkannt
hatte, nahm unS in Smpfang. Ein Hkiuutertasten
a« de» löichten Wiener Rohrstühlrn, die unS zu
Ehren aufgestellt waren, ein tiefer Atemzug, mit
de« wir die Blumendüfte von drautzea einsogen.


eiu Lauschen auf daS deutlich vernrhmbare Plät-
schern der Omlleu im Sarten zeigten unseren
Sinueu, datz dirsrS Blütenparterre vor unS kein«
Fata Morgana. sondern eia wirklicher, wahrhaftiger
Lell deS endlich errelchten .gottgegebenen' Afgha-
uistan war.

„Fater."

Bo» Soldat Kurt Bürger, z. Zt. Neferve-Lazarett V.

Franksurt a. W.-

(»u» dem VII. PreiSauSschreiben.)

(Schlutz.) /

Sr erzählte:

Bater war 23 Jahr verhriratet und hatte
noch fieben Kinder; ein« Tochtrr war mü neun
Jahren geflorben, fein Aeltester fiel im Kampfe
sürS Baterland.

Von Brruf war Bater eigentlich Maurrr, wenn
eine Stube za weitzen, ein kleiner Stall zu bauen
oder irgrnd ein kleiner Schaden am Hause auSzu-
beffern war, dann wurde Vater gern geholt; denn
er arbeitete gut unL' billig. Wrgen seiner Geschick-
lichkeit und seineS freuudlichen WeseuS sah man
dea Maurer Becker überall gern.

SS ist ihm nicht leicht geworden, die vielen
MSuler seiner Familie zu sättigen. Aber Bater
brachte eS fertig, dank seineS großen FleißeS und
oor allem seiner Siebe zu den Seinen. Jhm zur
Seite stand seine sparsame Gattin, die vorzüglich
zu wirtschaften verstand und neben drr Erziehung
der Kinder und der Jnstandhaltung deS HauShalteS
noch Zest fand, für fremde Leute etwaS Wäsche
zu reinigen.

Da kam der Krieg. ,

O, dieser Krieg l Vater erhielt keine Arbest
mehr und sah stch gezwungen, irgend wo anderS
Beschäftigung zu suchen, um feine Lieben vor
knappen Stunden zu bewahren.

Endlich wurde er bei einem Lransportgeschäft
alS Lohnkutscher angestellt.

DaS war sein Berderben.

' Seine Beschästigung brachte eS mit fich, daß er
wochrnlang nicht heimkam; allen WitterungSver-
hältniffen war er ausgesetzt. Ein schlechtes Da-
'sein für unseren an den Heimatherd gewöhnten
Vater l

Aber anderen Kutschern ging eS genau so, und
die ertrugen's doch auch. Ja, bei denen war es
etwas anderes, die waren von Jugend auf Kut-
scher, und dieses Leben war ihnen zur Selbstoer-
ständlichkeit geworden. Und. dann oerttieben fie
Kälte und Sorzen mit Bier und Branntwein.

Wie wär'S, wenn auch er eS einmal mit SchnapS
versuchte? Vielloicht half es.auch ihm?

Und Becker »ersuchte und täuschte sich wie so
viele andere auch: Auch er glaubte^an die hei-
lende und wärmende Wirkung des Schnapses.
Nun, das wäre noch gar nicht so übel gewesen,
wenn Viter nicht zu schwach gewesen wäre, Herr
über sich selbst zu sein. Das Wirtshaus wurde
ihm zum Aufenthaltsorte in der dienstfreien Zeit.
Dort trank er und bettank fich, spielte und verlor.

Oft karp er am LöhnungStaze nur mit einem
kläglichen Reste seirkes Verdienstes heim. Die Fol-
gen waren Meinungsverschiedenheiten, Auftritte und
zuletzt Schläzereien. Die Frau begegnete ihm mit
Mitzttauen. Die Kinder, an denen er mit leiden-
schaftlicher Liebe hing, finzen an, ihren Vater mehr
zu sürchten als zu lieben; die großen verkrochen
sich schüchtern in die Winkel upd suchten Zuflucht
bri der Mutter; die kleinen wichen feinen Lieb-
kosungen auS und fingen Lei seiner Annäherung
an zu weinen. Vater mertte daS, kam immer
weniger heim und besuchte desto mehr seine Stamm-
kneipe.

ES war ganz gut, daß diesem Zustande durch
die Einziehung VaterS ein Ende gemacht wurde.

DiL Liebe zu seinen Kindern war dieselbe ge-
blieben. Bon seiner Frau aber, die nach seiner
damaligen getrübten Meinung mit ihrer Streit-
süchtigkeit ckne Ursache aller Zwistigkeiten gewefen,
schied er mlt Groll.

Bater kam nicht wieder heim. Eeine Kinder
besuchten ihn ein-, zweimal, kaum datz sie ihm
»Guten Tag- sagten» die Gegenwart ihreS BaterS
berührte fie nichtS weniger alS freudig. Darüber
grämte sich Becker ost. Ueberhaupt hatte die Siu-
samkest der Kaserne ihm einige Klarheü über sein
Familienleben gebracht. Abrr wa« nutzte fie ihm.
Er hatte fich die Liebe seiner Frau und seiner
Kinder verscherzt, sie fich wiederzuerobern, sthlte
ihm nach seiner Anficht d« Krast.

WaS sollte rr da noch auf drr Welt?

Arbesten und immer wieder arbetten, mechanisch
wie rine Maschine arbesten, nur um fich und stine
Familie ernähren und kleiden zu können. Arbeiten
ohne jeden Dank, ohne Gegenliebe, ohne datz sich
ihm nach deS TageS Mühen abendS die Türen
rineS gemütlichrn FamilienheimS öffneten- ohne
daß er fich am Sonntag an den dr«lligen Eia-
fällen seiner Kinder erfreue», mit ihnen eiaen kleinen
Spaziergang machen kann?

DaS sollte sein LoS, sein LebenSzweck stin?
Das sollte er ertragen?

Nein, ein solches Leben konnte er nicht er-
ttagen. nie und nimmer; daS wollte er nicht
ertragen. Lieber wollte er nicht bestehen. ^

Täglich beschästigte er fich mit diesen Gedanken,
täglich ärgerte rr fich über das Zwrcklose seineS
DaseinS und wurde daber immer stumpfstnniger.

Freudig erfaßte er deShalb die Gelegenheit, fich
freiwillig zur Front zu melden. Sein Entschlyß
war zur Ausführung" reif. Dort draußen konnte
er seine Sorgen vergessen, vergeffen Weib und
Kind, vergeffcn die Zwecklosigkeit seineS DaseinS.
Dort draußen konnte er seinem elenden Leben ein
Ende machen, konnte er in den Tod gehen, ohne
daß ein Makel an seinem Namen HSngen blieb;
dort drautzen konnte er fein Leben beschließen,
ehrenhaft wie sein Sohn ....

Und Vater meldete sich freiwillig.

tzr kam ins Feld. Aber allzufrüh merkte er,
daß er stch gewaltig geirrt hatte. Mehr als sonst
schweiften seiue Gedanken heimwärtS. Die innere
Befriedigung wollte nicht kommen. Und der —
Tod kam auch nicht.

Hier hielt Vater inne. Ein tiefer Seufzer
entrang sich seiner Brust. >-

Jch hatte aufmerksam zugehört und verstanh
jetzt unseren Vater und sein eigentümlicheS Wesen ;
ich dankte ihm und ließ ihn allein.

Am Abend aber ging ein langrr, ungelenk ge-
schriebener Brief an Frau Becker ab. Wir setzten
ihn beide auf, aber geschrieben hatte ihn Vater
allein, ich hatte eS trotz seines Sträubens durch-
gesetzt. Schön sahen diese Zeilen nicht auS, aber
desto herzlicher waren sie grmeint.

Wird das Frau Becker auch merken.

Ein fchwüle Augustnacht!

Durch die schwarzgrauen Wolkenfetzen brach sich
die von einrm breiten Hof umgebene blaffe Mondscheibe
nur zuweilen Bahn. Jhr fahles Licht drang schwach
durch die nebeldicke Luft und ließ undeutlich die
Umriffe einer Barack« erkennen. Jn ihr war noch
Leben. Ein dumpfes Gemurmel kam auS dem
Jnnern, und die unvollkommene Reiflgverkleidung
der Fenster ließ einen matten, gelben Lichtschimmer
hindurch.

Es war eine der vielen Militärbaracken hoch
oben in Flanderns weiter Ebene.

Zwei Posten gingen mst Gewehr im Arm lang-
samen und müden Schrittes leise flüsternd vor ihr
auf und ab. Der größere von beiden schob beim '
Gehen seinen Obrrköcper etwaS nach vorn. Unser
Baterl Und der andere Posten, das war ich.

Unferen oor Lehm und Schlamm klebenden
Kleidern sah man eS an, daß wir noch nicht lange
in Ruhe lagen. .

Erst vor etwa. einer Sttmde waren wir aüs
der Riservestellung zurückgekommen.

Vater und ich, .wir beiden dursten alS erste
auf Posten ziehen. Daß wir darüber nichts weniger
alS ersteut warea, wird uns niemand übelnehmea.
 
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