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Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

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Hefte 53-54, September 1918
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https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0320

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wrd Lrübeleien ergehe». di« mich dcum nicht schlafen
ließrn. >

So faßen wir auch. ich wrib «S aoch wie heute.
am 5. Iuni 184* beifammrn. Dir Nacht war
fchwül, «L wetterleuchtetr in Südost und die Sterne
funkelten in ganz befonderS hellen Farben. so daß
ich eben darüber zu simulieren und zu redenbegann,
warum wohl der rine gelb, der andere rot, der
dritt« blau leuchte« «Sge, — alS ich im Augen»
blicke, wo ich daS „grüu" auSfprechen wöllte, Geb-
hardS Haud auf meinrm Arm fühtte und «r zu
mir fagt«:

„Jnfpettor. dort vorm Wald über der Bahn
steht ein garstigrr grüner Etern."

Run hieß aber in damaliger Zeit, wo eS noch
keine Läutfignale gab. die jetzt wie mit der Kuh»
glocke vor allen Zügeu herlaufe«, und wo wir
uoch keiue Blockfignale und keine Sprechapparate
auf jrder halbeu Meile Bahn hattm und man fich
mühsam zwischen den Hauptstationrn mit klapperigeu
Zeigertelrgraphen und auf den Strecken mit ficht»
baren Zeichen, von Bahnwürter zu BahnwLrter
gegrben, verfiLndigte, ein grüneS Licht übrr einrm
weitzen:

„Siue HilfSmaschine foll kommen."

Drr Hilferuf schlügt auch jetzt noch dem abge»
wettertrn Sisenbahnmann in die Glieder, um
wie viel mehr damalS, wo alleS neu und unge-
wohnt war und man nichtS über daS Warum?
Wohin? WaS geschehen? erfahrrn konnte» biS man
an Ort und Stelle kam und ebensogut nur eine
Maschine vorfinden konnte. der harmloS der Atrm
-auSgrgangen war, alS einen Haufen Lokomotiv»
und Wagentrümmer — mtt all ihrem Jammerzu»
behör.

- Gebhard und ich standen auf, drückten unS die
Hand und gingen jedrr an daS, was nun zu tun
an unS war; zugleich hörten wir auch schon durch
die Stille der. Nacht eilendr Schrüte und Laufrn
und Zurufen, — der grüne Stern hatte alleS
rebellisch gemacht, und eine Biertrlstunde nachher
war unsrr Persvnal vollzLhlig auf dem Postrn.

Mühsam mit dem primitiven Zeigertrlegraphen
nach der nächsten Station buchstabierte Anfrage
ergab, datz der hilfefuchrnde Zug zwifchrn dort
und der nLchstfolgenden, also ungeführ drei Mrilen
von uu», liegen wüsie. Dahin konnte kein höherer
Beamter von der Endstation vor nLchstrm Morgen
kommen — wir mußten alfo an Ort und Stelle.

Jch erwog. daß jener Zug ein sogenanntrr
gemischter mit Personen- und Güterbrförderung
sein müsse, der auf einer Zwischenstation zu über-
Nachten gehabt HLtte, und ließ daher in den von
unS arrangierten HilfSzug für etwa nötige Um-
laduugeu ein halbeS Dutzend offene und gedeckte
Güterwagrn rinstelleu und in letztere auch für den
Fall. wo Gott vor sei, einige Matratzen und Kiffen
wersen.

Die Station glühte oom Fackelschein, bei dem
in fieberifcher Hast dröhnend, polternd und klirrend
die Werkzeuge und Gegenstände zur Hilfeleistung:
Schwellen, Schienen, Winden» Ketten grladen wur-
de«. Durch deu Qnalm der Fackeln und der Ma-
fchme, die fich puffeud und prustrnd mit ihren
großen roteo, unheimlichen Augen vor den Zug
lrgte, hufchten die bunten Lichter drr Handstgnal-
laternen hin und her. Jn den verschiedensten Br-
lruchtungen sah ist überall GebhardS geuubärtigeS
Seficht und langrn Mantel unter den fich bücken-
den, neigrnden und beugrnden Gestalten auftauchen;
srine scharfen KommandoS durchdrangen Maschiuen-
zischrn und Poltern und Klirren. Endlich war alle»
nach KrLsten arrangiert, signalisiert und instruiert.

— »Fertigl' — dröhnte GebhardS Stimme. Wie
böse Geistrr huschten die dunklen Gestalten unserer
wackeren KerlS auf die Schaffnersitze der hohen
Wagru und auf den Tender — ein Dutzend sprang
auch zu unS herein, die wir auf einem offenrn,
frri« Umstcht gewShrendrn Güterwagen, unmittel-
bar hintrr der Maschine» Posto gefaßt hatten. Jm
qualmige« roten Lichte der Fackeln, welche auf der
Maschine uud den letzten Wagrn postirtte MLnner
trugen, schwamm der duulle, düstere Zug und daS
helle EtationShauS. AaS einem Fenster deSselben

Lazarrett-ZVttrrrr g

neigten fich die frischen, lachenden Gesichter vou
GebhardS Kindeen, die auS drn Betten gesprungen
waren. um den Papa abfahren zu sehen. Er grüßte
fie mtt der Hand und winlle ihnen ernst zurück,
und durch den grellea Ton der Maschine. die .zur
Abfahrt* langgehaltrn pfiff. hörten wir die hellep
Kinderstimmen rufen: .Gute Nacht, Papa I"

Dampfend. funlensprühend und glühend kam
der Zug in Beweguog und glitt eilend durch die
Nacht dahin.

Mir war's unheimlich zu Mute. Wußte ich dvch
alS erfahrener Eisenbahnmann, daß selten ein Un-
glück alleia bleibt.- Zudem ist jede nicht fahrplan-
mäßige Fahrt eine Gefahr. Unruhig wechseltrn
wir jede Minute die Geschwindigkett; ste oerzögervd,
wenn der Fernblick sich trühte oder nicht ganz Ge-
heureS sich auf dem Geleife zu zeigen schiea — und
dann wieder srsichen Dampf gebmd in dem Ge-
danken, daß an jeder Minute deS SpäterkommenS
vielleicht Menschenleiden, vielleicht Menschenleben
hivge». Wir schwirgen alle; nur daS Keuchen und
metallische Dröhnen deS rasch arbritenden Appara-
teS, zuwrilen ein Pfiff wtt langem Echo durchgellte
die Stille -er Nacht. Der späte Mond war auf-
gegangen. ES ward kühl; hier und da lag ein
Nebelstreif über der Bahn. in den wir schnell ein-
tauchtrn, um gleich wieder darauS heroorzubrechen.
Hinter eknem solchen, einrm besonders dichten, ver-
ließen unS plötzlich die Signale, die unS biS dahin
freundlich und tröstlich, unS erwartendeS Wachsein
verkündend, begleitet hatten. Die Lichter waren
jenseitS der Nebelschicht nicht wahrgenommen wor-
deu. Um diese niederen Nebelschichten übersehen
zu können, vrrließ unS Gebhard und erklettette
den nächsten hohen Wagen, auf deffen Schaffnerfitz
er stch streckte. Die langen Mondschatten, die
glitzernden Mondrrflrxe erzeugten zahllose Täu-
fchunzen. Dopprlte Vorstcht der Fahtt wurde nötig,
und doch drüngte unS, je länger fie »Lhrte, unser
pochendrS Herz immer stürmischer, die vielleicht
heiß rrsehnte Hllfe zu bringen. Wir atmeten auf,
wepn die Schienen weithin im Mondlicht wie blaue
Linien glänzend hinauSlirfen und »freie Bahn^
drm Lokomotivführer gestattete, den Schlag der
Maschine rascher nach dem Tempo unserer Pulse
zu stimmen. DaS Blut drang unS ungeduldig
nach Herz uNd Kopf, wenn er es nötig hielt, vor-
sichtig fpähend und lauschend um Frlsenhänge oder
durch Krümmungen und dunkle Einschnitte, fast
lautloS, langsam zu rollen.

Ost sah ich nach Gebhard hinauf; er lag in
seinen Mantel gewickelt regungsloS auf feinem
hohen Sitze. HStte ich ihn uicht gekannt, ich würde
geglaubt haben, rr schliefe. ES mochte halb ein
Uhr morgens feirsi da hatten wir daS wellige,
waldige Mtttelgebirgsterrain hinier unS, und oor
unS lag, im hellen. Möndlicht, freie, gerade, ge-
fahrlose Bahn, fast bis zur nächsten Station.

(Echluh solgi.) ^

Der Heist, der unöeliegbar macht.

.Der Feind n>eiß,»daß der Geist, der unseren
Truppen und unserem Volke innewohnt» unS unbe-
siegbar macht.' . DieseS Wort HindenburgS ist der
Leitgedanke seiner Kundgebung. Wenn er diesen
Teist aufruft, wenn er Front und Heimat mahnt,
sich gegen die Gefahren zu schützen, die der Feind
mtt dem Feldzug gegen den deutschen Geist herauf-
brschwött, so wriß der Feldmarschall, daß rr nur
etwas aufrufen kann. waS in Wahrheit vorhanden
ist, wenn etz auch zettweise verdunkrlt erfchrint. Aber
in Zriten der Entscheidung, wenn die Ernte reisen
soll» muß die Sonne solchen GeisteS auch sichtbar
und wirksam werden. Deshalb der Aufruf, .Wehre
dich, deutscheS Vott' gegen den Feldzug mit ver-
gifteten GeisteSwaffen. ES ist fürwahr alleS voa
unferen Feinden aufgeboten worden: schwarze, braune
und rote Völker drr Erde, Uebermatettal oon Eisen,
Stahl und Fruer, Hungerblockade, Verleumdung
und Lüge — eS gibt nichtS auf Erden und unter
der Erde, uichtS zwischen tzimmel und Erde, waS
die WeiShett und die Tücke EnglandS und Amettka»
zufammm mtt ihren Trabanten gegen die Mtttel»
mächte nicht aufgeboten HLtten . . .

Und dennoch: der siegreiche deutsche Geist. Jha
muß man doppelt totschlagrn, mttnt der Feind;
gegeu ihn umß drr Endkampf mit dreifacher Wucht
geführt werden. '

WaS aber ist eS, daS diesen deutschen Geist
nicht nur groß, sondern auch leicht verwundbar
macht? DaS zu wiflen ist heute wichtig genug.
damit die Mahnung deffeu, drr Deutschland erretttt
hat, auch zum Endsiegr wirksam werde!

Wir haben oftmals im Laufe deS KriegeS dea
einhettlichen polüischen Willen in England und Frank-
reich und nruerdingS auch in Amerika bewundett.
Mag er zum erheblichrn Teil auf dikiatorifche Strenge
der Machthaber und nur zum geringen Teil auf
außenpolttische Erziehung zurückzuführen sein, er ist
doch vorhanden und ist politisch w'irsiam. Deuisch-
land sit zu lange uneins in stch gewefen, alS daß
ihm mrS bei der ersten und gleich der schwersteu
Probe seiner Einheit nicht noch anhängen sollte.
Nicht nur die einzelnen deutschen Stämme scheiden
sich leichter in ihren Auffasiungen als die sranzöfischen
und englischen Stämme, auch die Rechthaberei und
die geisttge Srlbständigkeit des einzelnen deutschen
Manne-, sein JndioidualismuS im Gegensatz zum
politisch-nattonalen Herdenstnn ist stärker aukgebildet.
Das erzrugt die Vielseitigkeit uvd LeistungSfähigkett
des deutschen VolkeS, aber zugleich die Verwund-
barkett seiner gesitigen Kraft, wenn sie alS einheit-
liche Größe auftteten soll. Das erkennen heißt zu-
gleich, sich gegen die darin liegende Gefahr wappnen.
Wir müssen ganz einfach, wenn da» Haus unserer
Väter auS Jeuerschlünden beworfen wird, die tzäuS-
lichen Schwierigkeiten deS ZusammenwohnenS oon
Jndividualitäten übersehen, müffen unser Brudertum
höhrr stellen alS unsere geistigen Eigenheiten, müssen
die Schärfe des GeisteS, damit sie nicht schartig
werde, dem grmeinsamen breiten Strom natioualer
Selbstherrlichkeit zeitweilig opfern. Bei Masienwir-
kungen kann nicht jeder seine besondere Auffasiung
von der idealsten Gestalt dcr Dioge zur Geltung
bringen, er muß im Strome schwimmen, der
Führrrfchaft oertraueu und den Weg unbekümmerter
Sttbstbehauptung gehen. DaS allein erzittt Wir-
kungl '

DaS ist allein wirksam für außenpolitische und
kriegerische Erfolge. Wir betrachten nur zu leicht
alles, auch daS große Weltgeschehen, immer mtt
mindestrnS einem innerpolitischen Auge. DaS ist
der Fehler unseres politischen Geistes, das der Grund
unferer kritischen llneinigkstt. die schnell eintrttt»
wrnn einmal nicht alles nach Wunsch geht. Dann
rufen nnr nach Klarheit, mit der innerpolitsiche
Fragen erledigt werden mögen, oder weder außen-
politische noch militärische behandelt werden können.
Der drutsche Geist, der da immrr nach Aufrichtig-
keit und letzten Wahrheiten fragt, macht sich damit
gefühilich verwundbar in der Weltpolitik, zumal im
Kriege. Ein schlauer Feind braucht nur mtt Gerüchten
und Geschichten, mit Klatsch und Lüge, rnit geschickier
Aufbauschung und Ausbeutung von halben Tatfachen
eben jene Schwächen deS deulschen WahrhettsucherS,
dcS kritischen Skeptikers auszunutzen, um den Feld-
zug gegen den deutschen Geist zu fühcen.

Demgegenüber hat Hindenburg darauf oerweisen
können, datz bri uns allein die feindlichen Heeres-
berichte im yollen Wortlaut veröffentlicht, dab un-
serem Volk die Kriegsreden feindlicher Slaatsmänner
wörtlich vorgesetzt werden — und die Feinde wisien
das und nutzen diese Waffe weidlich auS, die unsere
Objektioität und Wahrheitsliebe ihnen in der Haud
läßt. Gegen unsere HeereSberichte uud uusere Staats»
männerreden wappnet sich der Feind.mit der Zinsur,
er druckt fie nicht ab oder rntstellt sie. Er kann
das auch viel leichter, weil man dott meist in Gro-
graphie schwach ist, und weil das Volk sich alle»
oormachen läßt, was bei 'der guten Schulbildung
des Durchschnittsdeutschen bei unS keineswegS mög-
lich wäre. Dott fragt man nicht zuerst. ob etwaS
wahr, fondern ob etwaS zugkräftig ist, ünd bei unS
ist eS umgekehrt. Bei uns fragt man. ob die
deutfche Veröffentlichung auch keinen Deut unwahr
ist, wie jüngst erst eine deutsche Zeitung sich über
die AuSdruckSweise beschwerle: drr und der Ort
läge .vor unseren Linien' — wir hätten sagrn
wüsien, daß wir den Ort .geräumt' haben. Sia
Franzose würde über so etwaS verständniSloS den
 
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