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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Werner, Anton von: Aus den Erinnerungen Anton von Werners 1870/71
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https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0025

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dicht neben dem Erbgroßherzog von Mecklen-
burg- Strelitz zu stehen kam und während des nun
folgenden Gottesdienstes die beste Gelegen-
heit hatte, die fest wie Säulen stehenden Her-
ren zu zeichnen. Vom Gottesdienst und von
des Divisionspredigers Rogge Weihrede hörte
ich natürlich so gut wie nichts, und auch der
Erbgroßherzog von Mecklenburg-Strelitz schien
seine Aufmerksamkeit zwischen der Predigt
und meiner zeichnerischen Tätigkeit zu teilen.
Es war ein sehr malerisches Bild: an der
Fensterseite im Dunkel der Altar mit den tief-
schwarzen Gestalten der sechs Geistlichen und
gegenüber im Vordergrund König Wilhelm und
die ihn umgebenden Fürsten in scharf beleuch-
teten Profilen; ich habe auch eine Skizze da-
von gemacht, die aber nicht zur Ausführung
gekommen ist.

Der mächtig wirkende, von allen Anwesenden
unter Posaunenbegleitung gesungene Choral :
„Nun danket alle Gott" beendete die gottes-
dienstliche Feier, und nun wandten sich Kö-
nig Wilhelm und die deutschen Fürsten der
Estrade mit den siegreichen Fahnen zu und
nahmen auf derselben Aufstellung. Der Pionier-
hauptmann Dielitz hatte sich in liebenswürdiger
Weise meiner angenommen und mich durch die
dichtgedrängte Masse der Offiziere zu einem
günstigen Platz geleitet, — nicht ohne von mei-
nem späteren Freund und Gönner, dem Hof-
marschall Grafen Perponcher „angehaucht" zu
werden: was der „Zivilist" hier zu suchen habe?

Und nun ging in prunklosester Weise und
außerordentlicher Kürze das große historische
Ereignis vor sich, das die Errungenschaft des
Krieges bedeutete: die Proklamierung des
Deutschen Kaiserreichs! Das also war es,
was der Kronprinz Friedrich Wilhelm als etwas
meines Pinsels Würdiges in seinem Telegramm
bezeichnet hatte!

Der Vorgang war gewiß historisch würdig,
und ich wandte ihm meine gespannteste Auf-
merksamkeit zu, zunächst natürlich seiner äu-
ßeren malerischen Erscheinung, notierte in aller
Eile das Nötigste, sah, daß König Wilhelm
etwas sprach und daß Graf Bismarck mit höl-
zerner Stimme etwas Längeres vorlas, hörte
aber nicht, was es bedeutete, und erwachte
aus meiner Vertiefung erst, als der Großherzog
von Baden neben König Wilhelm trat und mit
lauter Stimme in den Saal hineinrief: „Seine
Majestät, Kaiser Wilhelm der Sieg-
reiche, Er lebe hoch!" Ein dreimaliges
Donnergetöse unter dem Geklirr der Waffen
antwortete darauf, ich schrie mit und konnte
natürlich dabei nicht zeichnen; von unten her
antwortete wie ein Echo sich fortpflanzend das
Hurra der dort aufgestellten Truppen. Der

historische Akt war vorbei: es gab wieder ein
Deutsches Reich und einen Deutschen
Kaiser! Ich sah noch, wie der Kaiser den
Kronprinzen umarmte und von den ihn um-
gebenden deutschen Fürsten beglückwünscht
wurde. Eine beabsichtigte DeSliercour der an-
wesenden Offiziere mißglückte, wie mir däuchte,
und ich sah dann den Kaiser die Stufen der
Estrade hinabschreiten, an Bismarck vorbei,
den er nicht zu bemerken schien. Neun Jahre
später, bei meinem Aufenthalte 1880 in Fried-
riciisruhe, gab mir Fürst Bismarck die Er-
läuterung zu dieser kleinen Episode, die ich
damals dem nach Schluß des Staatsaktes ent-
standenen Durcheinander der sich auflösenden
Versammlung zuschrieb.

Auch über die bis zum Abend des 17. Ja-
nuar nicht gelöste schwierige Frage: ob Deut-
scher Kaiser oder Kaiser von Deutsch-
land hat man inzwischen Näheres erfahren,
merkwürdigerweise soll es aber nicht ganz
feststehen, was eigentlich der Großherzog von
Baden gerufen hat. Ich hatte den Ausdruck:
Wilhelm der Siegreiche vorher nie ge-
hört, er frappierte mich und auch Dr. Toeche-
Mittler, der 1896 ein Buch über den Vorgang
am 18. Januar 1871 und die dabei Anwesen-
den, zu denen er selbst gehörte, herausgegeben
hat, stimmte mit mir überein, diese Worte ge-
hört zu haben, teilte mir aber zu meiner
größten Ueberraschung mit, daß der Groß-
herzog von Baden selbst ihm erklärt habe, er
habe damals gerufen: „Seine Majestät der
Deutsche Kaiser lebe hoch."

„29. Januar. Meine Skizze zu dem Prokla-
mierungsbilde habe ich gestern abend dem
Kronprinzen vorgelegt, sie hat seinen wie der
Anwesenden ungeteilten Beifall gefunden. Bei
der Erläuterung der Skizze entschlüpfte mir ein
unbeabsichtigter Lapsus, indem ich bei der
Namenbezeichnung der auf der Estrade vor
den Fahnen stehenden Fürstlichkeiten hinzu-
fügte: ,Hier fehlen noch ein Stücker sechs
Fürsten.' Der Kronprinz lachte herzlich und
sagte zum Großherzog von Baden: ,Nu hör
bloß, wie der uns per Dutzend taxiert!'

Betreffs der Größe und Ausführung des
Bildes sagte mir der Kronprinz: ,Am besten,
Sie machen es so: sobald Sie nach Berlin
kommen, sehen Sie sich im Schloß den besten
Raum für ein derartiges Bild an und malen
es für diesen Raum. Ich möchte nur, daß das
Bild frisch, wie Sie es entworfen haben, zur
Ausführung kommt und auf jede Art möchte ich
vermeiden, daß Ihnen jemand da hineinredet.'"

Meine Uebersiedelung nach Berlin, über
die ich damals durchaus noch nichts beschlossen
hatte, war damit eigentlich entschieden."

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