HOFFNUNGEN UND AUSSICHTEN FÜR DIE DEUTSCHE KUNST
NACH DEM KRIEGE
Von Wilhelm von Bode
In der Berliner Akademie fand kürzlich
eine Ausstellung statt, deren Mittelpunkt
„Kriegsbilder aus dem Westen und Osten"
bildeten. Da die Königliche Akademie die Aus-
stellung in ihren Festräumen am Pariser Platz
veranstaltete, könnte man annehmen, daß aus-
schließlich unsere Akademiker dort zugelassen
wären; aber eingedenk der Worte unseres
Kaisers beim Ausbruch des Krieges hatte der
Senat die Aufforderung zur Beschickung der
Ausstellung auch an die Mitglieder der Berliner
Secession ergehen lassen, die daher in kaum
geringerer Zahl vertreten waren. Ist das ein
Zeichen des Friedens, der im Kampf der
Künstlerparteien eingetreten ist? Oder ist es
nur der „Burgfrieden", der hier zum Ausdruck
kommt, und wird der Kampf nach dem Frieden
in diesem Weltkampf von neuem beginnen?
Nach anderen Ausstellungen, wie sie gleich-
zeitig in München wie hier in Berlin und sonst
von den Kunsthändlern und Secessionen ver-
anstaltet wrerden, sieht es allerdings noch nicht
nach einem dauernden Frieden innerhalb der
deutschen Künstlerschaft aus; ja, manche
Zeichen deuten auf Sturm. So schließt ein
langer Artikel von Dr. Fritz Max Cahen in
einer Berliner Zeitung über „Die neue Kunst
und der Krieg" mit den Worten: „Dieser
Kampf wird — möchte man sagen — um den
deutschen Expressionismus inbrünstiger ge-
kämpft, als um den Mord in Serajewo und um
die Neutralität Belgiens." Das ist nicht ein-
mal Burgfrieden, und ich fürchte, daß das
große Publikum in der allgemeinen Annahme,
der Krieg habe gründlich aufgeräumt mit den
dekadenten Andeutungen der modernsten Kunst,
eine große Enttäuschung erleben wird.
Wir werden uns also auf einen neuen Kampf
vorbereiten müssen, der nicht bloß durch stille
Verachtung dieser „neuen Kunst" erledigt
werden kann. Doch hatte ich, als ich die Ber-
liner Kriegsausstellung besuchte, die Empfin-
dung, daß sich unter den tiefen Eindrücken
des gewaltigen Ringens um unsere Existenz
und Kultur schon jetzt halb unbewußt eine
Rückkehr zu ernsterer, schlichterer und stil-
vollerer Kunst vorbereite. Nicht daß gerade
die Kriegsbilder einen neuen, überwältigenden
Eindruck auf mich gemacht hätten; weder die
flüchtigen kleinen Bleistiftskizzen von Fritz
Rhein, noch die kräftigen, z. T. sehr eindring-
lichen Studien von Ludwig Dettmann oder die
stattlichen Hindenburg-Porträts von Hugo
Vogel zeigen diese Künstler wesentlich anders
als wir sie aus früheren guten Arbeiten kannten.
Die begeisterten Lobsprüche, mit denen ein-
zelne Zeitungen je nach ihrer Stellung bald
den einen, bald den andern dieser Künstler
bedacht haben, scheinen mir nicht gerechtfertigt;
wohl aber sind einige plastische Arbeiten auf
der Ausstellung und einige andere gleichzeitig
entstandene, die man leider nicht herangezo-
gen hat, sehr beachtenswert und hoffentlich
ein Zeichen einer kommenden besseren Zeit.
Die Stärke der Berliner Kunst ist von jeher
die Plastik gewesen, von Schlüter und Schadow
bis in die neueste Zeit. In der Ausstellung waren
verschiedene Büsten älterer Secessionisten wie
Akademiker von vornehmer Einfachheit und
Sachlichkeit sehr beachtenswert; so die Büste
einer älteren Dame von August Kraus, der stupend
lebensvolle Kopf Eugen Richters von Ernst Wenck,
die beiden stattlichen Marmorbüsten von Walter
Schott, vor allem die sehr fein empfundene Kalk-
steinbüste einer jungen Frau von Paul Oesten
(Abb. S. 335). Der mit altchinesischen Bronzen
in malerischer Wirkung wetteifernde Effekt des
Wenckschen Kopfes mag etwas gesucht erschei-
nen, und die Ausführung der Gewänder in
den beiden Frauenbüsten in Onyx ahmt eine
Unsitte aus der Zeit des Verfalls der römischen
Porträtkunst nach, deren Uebertreibung Klingers
beste plastische Arbeiten um einen Teil ihres
wirklichen Reizes bringt: aber die Individua-
lität ist doch voll und fein in allen diesen
Büsten zum Ausdruck gebracht. Auch daß mit
der leidigen, von Rodin eingeführten Gewohn-
heit, die Köpfe aus dem rohen Stein heraus-
wachsen zu lassen, dabei gebrochen ist, kann
nur dankbar begrüßt werden.
Auch von der sehr viel schwierigeren Auf-
gabe einer Statue findet sich unter den wenigen
derartigen Stücken in der Ausstellungwenigstens
eine vorzügliche Lösung: die große Bronzestatue
Friedrichs des Großen von Gerhard Janensch
(Abb. S. 334) schließt sich in ihrem schlichten,
vornehmen Ernst in Haltung und Ausdruck
Schadows Meisterwerk in Stettin nahe an, ohne
irgendwie abhängig davon zu sein. Doch hier
war die Aufgabe, da es sich um eine Porträt-
statue handelte, nicht so schwierig als es die
Schöpfung einer Idealfigur für ein Monument
ist. Bei solchen Aufgaben hat die neuere Zeit
nur zu häufig versagt; die nackten Mädchen-
332
NACH DEM KRIEGE
Von Wilhelm von Bode
In der Berliner Akademie fand kürzlich
eine Ausstellung statt, deren Mittelpunkt
„Kriegsbilder aus dem Westen und Osten"
bildeten. Da die Königliche Akademie die Aus-
stellung in ihren Festräumen am Pariser Platz
veranstaltete, könnte man annehmen, daß aus-
schließlich unsere Akademiker dort zugelassen
wären; aber eingedenk der Worte unseres
Kaisers beim Ausbruch des Krieges hatte der
Senat die Aufforderung zur Beschickung der
Ausstellung auch an die Mitglieder der Berliner
Secession ergehen lassen, die daher in kaum
geringerer Zahl vertreten waren. Ist das ein
Zeichen des Friedens, der im Kampf der
Künstlerparteien eingetreten ist? Oder ist es
nur der „Burgfrieden", der hier zum Ausdruck
kommt, und wird der Kampf nach dem Frieden
in diesem Weltkampf von neuem beginnen?
Nach anderen Ausstellungen, wie sie gleich-
zeitig in München wie hier in Berlin und sonst
von den Kunsthändlern und Secessionen ver-
anstaltet wrerden, sieht es allerdings noch nicht
nach einem dauernden Frieden innerhalb der
deutschen Künstlerschaft aus; ja, manche
Zeichen deuten auf Sturm. So schließt ein
langer Artikel von Dr. Fritz Max Cahen in
einer Berliner Zeitung über „Die neue Kunst
und der Krieg" mit den Worten: „Dieser
Kampf wird — möchte man sagen — um den
deutschen Expressionismus inbrünstiger ge-
kämpft, als um den Mord in Serajewo und um
die Neutralität Belgiens." Das ist nicht ein-
mal Burgfrieden, und ich fürchte, daß das
große Publikum in der allgemeinen Annahme,
der Krieg habe gründlich aufgeräumt mit den
dekadenten Andeutungen der modernsten Kunst,
eine große Enttäuschung erleben wird.
Wir werden uns also auf einen neuen Kampf
vorbereiten müssen, der nicht bloß durch stille
Verachtung dieser „neuen Kunst" erledigt
werden kann. Doch hatte ich, als ich die Ber-
liner Kriegsausstellung besuchte, die Empfin-
dung, daß sich unter den tiefen Eindrücken
des gewaltigen Ringens um unsere Existenz
und Kultur schon jetzt halb unbewußt eine
Rückkehr zu ernsterer, schlichterer und stil-
vollerer Kunst vorbereite. Nicht daß gerade
die Kriegsbilder einen neuen, überwältigenden
Eindruck auf mich gemacht hätten; weder die
flüchtigen kleinen Bleistiftskizzen von Fritz
Rhein, noch die kräftigen, z. T. sehr eindring-
lichen Studien von Ludwig Dettmann oder die
stattlichen Hindenburg-Porträts von Hugo
Vogel zeigen diese Künstler wesentlich anders
als wir sie aus früheren guten Arbeiten kannten.
Die begeisterten Lobsprüche, mit denen ein-
zelne Zeitungen je nach ihrer Stellung bald
den einen, bald den andern dieser Künstler
bedacht haben, scheinen mir nicht gerechtfertigt;
wohl aber sind einige plastische Arbeiten auf
der Ausstellung und einige andere gleichzeitig
entstandene, die man leider nicht herangezo-
gen hat, sehr beachtenswert und hoffentlich
ein Zeichen einer kommenden besseren Zeit.
Die Stärke der Berliner Kunst ist von jeher
die Plastik gewesen, von Schlüter und Schadow
bis in die neueste Zeit. In der Ausstellung waren
verschiedene Büsten älterer Secessionisten wie
Akademiker von vornehmer Einfachheit und
Sachlichkeit sehr beachtenswert; so die Büste
einer älteren Dame von August Kraus, der stupend
lebensvolle Kopf Eugen Richters von Ernst Wenck,
die beiden stattlichen Marmorbüsten von Walter
Schott, vor allem die sehr fein empfundene Kalk-
steinbüste einer jungen Frau von Paul Oesten
(Abb. S. 335). Der mit altchinesischen Bronzen
in malerischer Wirkung wetteifernde Effekt des
Wenckschen Kopfes mag etwas gesucht erschei-
nen, und die Ausführung der Gewänder in
den beiden Frauenbüsten in Onyx ahmt eine
Unsitte aus der Zeit des Verfalls der römischen
Porträtkunst nach, deren Uebertreibung Klingers
beste plastische Arbeiten um einen Teil ihres
wirklichen Reizes bringt: aber die Individua-
lität ist doch voll und fein in allen diesen
Büsten zum Ausdruck gebracht. Auch daß mit
der leidigen, von Rodin eingeführten Gewohn-
heit, die Köpfe aus dem rohen Stein heraus-
wachsen zu lassen, dabei gebrochen ist, kann
nur dankbar begrüßt werden.
Auch von der sehr viel schwierigeren Auf-
gabe einer Statue findet sich unter den wenigen
derartigen Stücken in der Ausstellungwenigstens
eine vorzügliche Lösung: die große Bronzestatue
Friedrichs des Großen von Gerhard Janensch
(Abb. S. 334) schließt sich in ihrem schlichten,
vornehmen Ernst in Haltung und Ausdruck
Schadows Meisterwerk in Stettin nahe an, ohne
irgendwie abhängig davon zu sein. Doch hier
war die Aufgabe, da es sich um eine Porträt-
statue handelte, nicht so schwierig als es die
Schöpfung einer Idealfigur für ein Monument
ist. Bei solchen Aufgaben hat die neuere Zeit
nur zu häufig versagt; die nackten Mädchen-
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