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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Braungart, Richard; Broel, Georg [Ill.]: Georg Broel
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Gedanken des Rembrandtdeutschen: [Rezension]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0338

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Weiß) Hebt, wie er in dem Nebeneinander von
Birken und Tannen zum Ausdruck kommt. Die-
ses Motiv hat er oft und gerne abgewandelt,
nicht minder häufig ein anderes Hell-Dunkel-
Thema: den Blick von einem schattenkühlen
Waldrand auf sonnige Fluren. Und stets ist es
der ruhige Ausgleich der Flächen, der hier als
Problem gestellt und als solches gelöst wird.
Gleichgültig ist es dabei, ob es sich um eine
Arbeit freigraphischen Charakters, also um eine
getreue Darstellung des Wirklichen handelt,
oder um Blätter, auf denen der Künstler aus ge-
gebenen Motiven zusammenfassend ein Neues
schafft, das zumeist dekorativen Zwecken
dient. Hier wären vor allem die zahlreichen
Exlibris Broels zu nennen, Blätter, in denen
sein Können und Wollen sich im Extrakt
darbietet und die gute Muster dafür sind, wie
ein vollkommen realistisch durchgebildetes
Landschaftsmotiv durch entsprechende, meist
in anderer Farbe gedruckte Umrahmungen
und durch geschickte Verbindung von Bild
und Schrift für gebrauchsgraphische Zwecke
geeignet gemacht werden kann.

Broels eigentümliche Art der Landschafts-
betrachtung, die gleichzeitig die eines Dichters
und eines kühl abwägenden Technikers ist,
offenbart sich am klarsten in einem Variationen-
werk über den Frühling, d. h. in einer Folge
von Radierungen, in denen das allmähliche
Werden des Frühlings von den ersten, leisen
Regungen des wieder erwachenden Lebens bis
zum Vollendungsjubel des beginnenden Som-
mers in einem ungeheuren Crescendo geschil-
dert wird, und zwar in der Weise, daß die
Arbeit nicht nur allmählich aus dem Dunklen
ins Helle vorrückt, sondern auch dadurch, daß
der Rhythmus der Linien des Bodens, der
Bäume, der Wolken usw. von Blatt zu Blatt
energischer, lebhafter und beschwingter wird.
Es ist einleuchtend, daß die meisten an dem
Zuviel an Theorie gescheitert wären, das sich
einem solchen Plan entgegenzustellen scheint;
aber Broel hat bewiesen, daß ein Künstler,
der es wirklich ist, auch bewußt, sozusagen
mit nüchternem Verstand künstlerische Pro-
bleme lösen kann und daß die Ergebnisse dieses
fast mehr wissenschaftlichen wie künstlerischen
Verfahrens trotzdem echte Kunstwerke sein
können. Voraussetzung ist freilich immer, daß
die Stärke des Empfindens nicht geringer sei
wie die Schärfe des Erkennens. Trifft das
aber zu und sind die beiden Elemente im
richtigen Verhältnis gemischt, wie wir das bei
Broel beobachtet haben, dann gibt es einen
guten Klang. Und Kopf und Herz haben zu
gleichen Teilen ihre Freude daran.

GEDANKEN
DES REMBRANDTDEUTSCHEN*)

Der geistigen Neugeburt unseres Vaterlandes,
wenn es zu einer solchen kommen soll, muß
eine politische Neugeburt desselben voraus-
gehen; äußerlich hat dieselbe 1870 stattgefun-
den; innerlich bleibt sie noch zu fordern. Die
jetzige deutsche Reichsverfassung trägt den
tieferen Bedürfnissen des deutschen Volks-
tumes nicht in allen Stücken Rechnung; und
die Art, wie sie von gewissen Parteien aus-
genutzt wird, noch weniger; hier tut eine innere
Wandlung not. Wie der Künstler immer ein
Sohn seines Volkes, so ist die Kunst immer
eine Tochter der jeweiligen geschichtlichen
Konstellation. Es ist durchaus kein Zufall,
daß Michelangelo und Tizian, Shakespeare und
Bacon, Goethe und Beethoven gleichzeitig leb-
ten und schufen; daß oft eine ganze Saat von
großen Männern periodenweise in der Ge-
schichte miteinander aufwächst; Keime zu
großen Leistungen sind in der geistigen gerade
wie in der physischen Natur stets und überall
vorhanden. Es bedarf nur günstiger Umstände
und der helfenden Menschenhand, um beide
zu wecken; gewisse Zeit Verhältnisse lassen
Genies aufsprießen, wie der Regen die Steppe
ergrünen läßt. Es mag, außer dem einen, noch
Shakespeares genug gegeben haben; aber nur
in England, wo die Bedingungen günstig lagen,
kam jener zur Entfaltung; man lasse ihn, ganz
so wie er war, in Frankreich geboren werden
und er würde nie seine Tragödien noch Schau-
spiele geschrieben haben. Das Kunstwerk ist
nur ein Erzeugnis verschiedener zusammen-
wirkender Kräfte: des Menschen, des Volks-
tums, der Zeitverhältnisse; sind diese drei
Faktoren gleichzeitig und gemeinsam tätig, so
entsteht das Große. Die politischen und sozia-
len Verbindungen sind alle für die eigentliche
künstlerische Arbeit ebenso wichtig, wo nicht
wichtiger als die letztere selbst; das galt zu
allen Zeiten; und es gilt nicht zum wenigsten
für das jetzige Deutschland.

*

Starke Persönlichkeit erwächst nur aus star-
kem Stammesgeist und dieser nur aus starkem
Volksgeist; die Betriebsamkeit, Freiheitsliebe,
Gemütstiefe, Schlichtheit des holländischen
Charakters spiegelt sich in Rembrandts Wer-
ken mehr als irgendwo; das sind Eigenschaf-
ten, welche die heutige deutsche Kunst recht
wohl gebrauchen kann. Aber auch von diesen
selbst abgesehen, ist der der gesamtdeutschen

•) Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen. Verlag
von C. L. Hirschfeld in Leipzig.

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