VELASQUEZ
JUSTIN VON NASSAU UND SPINOLA (AUSSCHNITT AUS DER „ÜBERGABE VON BREDA")
Madrid, Prado
IM BUNTEN ROCK
Von Paul Westheim
An diesem Weltbrand, der jetzt Europa durch-
XV flammt, muß sich auch die deutsche Kunst
entzünden. Muß! Muß! Sie hat jahrelang
Kräfte in wildenSchößlingenauswuchernlassen,
hat sich bis zur Knifflichkeit in technische
Probleme verspielt. Jetzt wirft ihr die aus den
Banden geratene Zeit einen unbändigen Stoff
in den Schoß. Sie lechzte nach Durchgeisti-
gung, nach Beseelung, nach dem großen In-
halt; jetzt ist er da, riesenhafter, als er je
gedacht werden konnte. Der deutschen Kunst
fällt nun die Aufgabe zu, Taten machtvoll
männlich zu verherrlichen, wie sie seit Men-
schengedenken nicht mehr erhört waren.
Unser geschichtliches Wissen, das auch in
solcher Stunde auszuschalten eine Blasphemie
wäre, lehrt uns mit zahllosen Beweisstücken,
daß siegreiche Völker nicht notwendigerweise
immer auch eine sieghafte, ewig gültige Kunst
geschaffen haben. Umso größer muß unser
Mühen sein, um so unerbittlicher müssen wir uns
in unserem Herzen verschanzen gegen eine
Kunst, die hinter der Wucht dieser heutigen
Wirklichkeit zurückbleibt. Alle Voraussetzun-
gen, die der Kunstgeist für eine machtvolle
Entfaltung sich zu fordern vermag, sind doch
da, wenn dieser Krieg ruhmvoll für uns ge-
endet sein wird: ein großes seiner Macht aufs
neue bewußt gewordenes Volk, eine Bruder-
einheit, die ein soziales Band im Wollen, im
Denken und Fühlen um Millionen ehern ge-
schlungen hat und endlich ein weithin leuch-
tendes, stürmisch bejubeltes Heldentum.
Wir wissen, daß es auch Heldentum außer-
halb des Schlachtfeldes gibt. Auch ein Keppler,
der seinen Kopf für seine wissenschaftliche
These einsetzte, war Held. Und nicht weniger
war es ein Mann, der wie der arme van Gogh
seinen kärglichen, längst nicht zureichenden
Bissen Brot nicht essen konnte, ohne ihn zu
Die Kunst für Alle XXX. 5/6. 1. Dezember 1914
81
11
JUSTIN VON NASSAU UND SPINOLA (AUSSCHNITT AUS DER „ÜBERGABE VON BREDA")
Madrid, Prado
IM BUNTEN ROCK
Von Paul Westheim
An diesem Weltbrand, der jetzt Europa durch-
XV flammt, muß sich auch die deutsche Kunst
entzünden. Muß! Muß! Sie hat jahrelang
Kräfte in wildenSchößlingenauswuchernlassen,
hat sich bis zur Knifflichkeit in technische
Probleme verspielt. Jetzt wirft ihr die aus den
Banden geratene Zeit einen unbändigen Stoff
in den Schoß. Sie lechzte nach Durchgeisti-
gung, nach Beseelung, nach dem großen In-
halt; jetzt ist er da, riesenhafter, als er je
gedacht werden konnte. Der deutschen Kunst
fällt nun die Aufgabe zu, Taten machtvoll
männlich zu verherrlichen, wie sie seit Men-
schengedenken nicht mehr erhört waren.
Unser geschichtliches Wissen, das auch in
solcher Stunde auszuschalten eine Blasphemie
wäre, lehrt uns mit zahllosen Beweisstücken,
daß siegreiche Völker nicht notwendigerweise
immer auch eine sieghafte, ewig gültige Kunst
geschaffen haben. Umso größer muß unser
Mühen sein, um so unerbittlicher müssen wir uns
in unserem Herzen verschanzen gegen eine
Kunst, die hinter der Wucht dieser heutigen
Wirklichkeit zurückbleibt. Alle Voraussetzun-
gen, die der Kunstgeist für eine machtvolle
Entfaltung sich zu fordern vermag, sind doch
da, wenn dieser Krieg ruhmvoll für uns ge-
endet sein wird: ein großes seiner Macht aufs
neue bewußt gewordenes Volk, eine Bruder-
einheit, die ein soziales Band im Wollen, im
Denken und Fühlen um Millionen ehern ge-
schlungen hat und endlich ein weithin leuch-
tendes, stürmisch bejubeltes Heldentum.
Wir wissen, daß es auch Heldentum außer-
halb des Schlachtfeldes gibt. Auch ein Keppler,
der seinen Kopf für seine wissenschaftliche
These einsetzte, war Held. Und nicht weniger
war es ein Mann, der wie der arme van Gogh
seinen kärglichen, längst nicht zureichenden
Bissen Brot nicht essen konnte, ohne ihn zu
Die Kunst für Alle XXX. 5/6. 1. Dezember 1914
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