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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Esswein, Hermann: Ein verkehrter Massstab
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https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0108

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haben wollen und nichts zu verarbeiten ge-
sonnen sind.

Man krankt heute an wunderlich verkehrten
Vorstellungen von der Funktion der Entwick-
lungsgesetze in der Kunst. Anstatt sich aus
eigener Erfindungsgabe und Anschauungskraft
neue Wege zu suchen, klammert sich der Nach-
wuchs krampfhaft an höchstgesteigerte Persön-
lichkeitsdokumente einsamer Kunstproble-
matiker, dort einen Anfang wähnend, wo offen-
sichtlich eine lange Entwicklung Ziel und Ende
gefunden, wo, wie bei dem Greco die venezia-
nische Renaissance, wie bei Cezanne der
Impressionismus und bei Marees die deutsche
Ideal- und Ideenmalerei sich in gewissem Sinne
gegipfelt, in anderem sich aufgehoben.

Man verwechselt, an die rein ästhetische fach-
formalistische Betrachtungsweise gewöhnt, die
äußeren Stilmerkmale mit der Ethik, die zu
selbständigem Stil führt, und man will nicht be-
greifen, daß das Ideal von gestern nicht zu-
gleich das von heute sein kann, daß für einen
aus verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen
ausgewählten Kreis von Erfüllenden — eigentlich
fehlt nur noch Grünewald, der aber den Wort-
führern unseres Problematikerkultus doch wohl
zu herb sein dürfte — ganz andere ethische Not-
wendigkeiten bestanden als für die große Menge
jung Aufstrebender von heute, die doch wohl,
wenn ich recht verstand, eine neue also nicht
aus barbarischem Mißbrauch vergangener Werte
zusammengestoppelte Kunst erfechten wollen.

FRANZ KROGER PRINZ AUGUST VON PREUSSEN

Berlin, Kgl. Nationalgalerie

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