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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 30.1914-1915

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Vogeler, Heinrich: Ein Brief aus den Karpathen
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https://doi.org/10.11588/diglit.13093#0372

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HEINRICH VOGELER

zausten Riesentannen einschlagen. Viel weiter
zurück im Tal, in dem unsere Bagage stand,
waren noch schwere Haubitzen von uns in
Stellung und schössen über hohe Berge weg
in die feindlichen Zufahrtsstraßen. Dies mögen
ähnliche Straßen sein wie auf unserer Seite,
schmal, zerrissen mit tiefen Löchern, überzo-
gen von Schlammströmen und unendlich be-
lebt; so daß die langen Trainzüge manches
Mal eine halbe Stunde stehen müssen, um
Gefährte, Truppenteile, Geschütze vorbeizu-
lassen. Verlassene Wagen und tote Pferde lie-
gen am Rande des Weges im sumpfigen, quelli-
gen Gelände, und manch trauriger Zug lang-
sam schleppender Verwundeter gebietet Vor-
sicht, um den armen Kerls den Leidensweg
nicht noch mehr zu erschweren.

Die Bevölkerung in diesem Teile der Kar-
pathen ist russenfreundlich, Ruthenen, die
wohl hinterrücks recht geholfen haben mögen,
die Russen auf allen Schleichwegen in diese
Gebirge hereinzubringen, so daß diese sich so
gut festsetzen konnten, wie ihre Stellungen
zeigen. Die faltigen, verwitterten Gesichter
der Ruthenen, von langem Haupthaar umrahmt,
unter den schwarzen Pelzmützen mit blauem,
rot kreuzweise abgepaspeltem Rundkopf, ihr kur-
zer langärmliger Schafpelz und die unten engen
weißwolligen Beinkleider geben dem Volk ein
romantisches räuberhaftes Aussehen. Ihre
Blockhäuser haben durch den Krieg auffallend
wenig gelitten. Die Häuser ohne Fenster und
Türen, in deren Wohnräumen jetzt unsere Pferde
stehen und ihre großen Köpfe durch Fenster-
höhlen heraushängen lassen, sind meist Juden-

AUS DEN KARPATHEN (FEDERZEICHNUNG)

häuser, die von den Russen nicht geschont
blieben. — Wir wohnen vielfach bei Ruthe-
nen. So ein Haus hat dann einen Wohnraum
mit seinem riesigen Ofen, in dem alles, wie
im Backofen am offenen Feuer gekocht und
gebacken wird. Auf dem Ofen kauert im Halb-
schlaf mit der Pfeife im Munde die alte Mutter
des Hauses und auch ist Platz genug, daß der
Vater nachts oben bequem mitschlafen kann.
Auf der breiten Ofenbank, die im Winkel den
Ofen umrahmt, können zwei Mann liegen, im
kistenartigen hochbeinigen Bett schläft eine
Reihe jüngerer Familienmitglieder und wir lie-
gen auf einem Strohlager auf dem Lehmboden
eng wie die Sardinen nebeneinander ausge-
streckt. — Unter dem Bett nächtigt ein noch
feuchtes, eben zur Welt gekommenes blondes
Kalb und unter der Ofenbank in einem Holz-
stabkäfig ein Huhn, das bei Tage draußen laufen
kann. Sehr viele Kleininsekten beginnen nachts
ihre blutigen Raubzüge.

Für unsere Leute war die erste Zeit, wie
keine Post angekommen war, wie oben im
Gebirge bei geringen Erfolgen die großen Ver-
luste kamen, die übermenschlichen Anstren-
gungen die Mannschaften niederdrückte, sehr
schwer. — Die Post aus Deutschland mit den
vielen, reichlichen Liebesgaben und Briefen
von den Zurückgebliebenen daheim brachte
Freude und Erlösung in unsere Reihen. Täg-
lich bringen uns unsere schweren Pferde in
Tragsäcken auf dem Rücken die Post hinauf
in die Stellungen; und mancher Kamerad, der
hier vor dem Zusammenbrechen ist, rappelt
sich auf, wenn die Heimatspost in Sicht ist.

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