Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur (51.1935-1936)

Johannes Sass. Zugstiere an der Tränke

Form und Disziplin. Zu den Bildern von Johannes Sass. Von Gustav stolze

Y\ ir wissen heute, daß die gesamten geistigen Er-
kenntnisse der Menschheit immer wieder der einen
oder anderen Generation zum unmittelbaren see-
lischen Erlebnis werden müssen, sollen sie nicht ver-
loren gelien oder unfruchtbar werden. Die kurz vor
der Jahrhundertwende Geborenen hat das Schick-
sal außerordentliche innere und äußere Erkennt-
nisse neu gewinnen lassen: eine davon, die geistige
Bedeutung der Disziplin, ist den aufgeschlossenen
Menschen dieser Jahrgänge unverlierbarer Besitz.
Fundament des Lebens geworden.
Gemeint ist mit dieser Disziplin nicht die soldatische
allein, sondern alle neue Einsicht, daß Unordnung
nicht gleichzusetzen ist mit dem ..fruchtbaren
Chaos"", aus dem sich Gestalt und Wirkung loslösen.
Denn eine Disziplin, die nur als Ordnung erlebt
worden wäre, hätte sich nach erfülltem Zweck leicht

wieder verlernen und verleugnen lassen (frühere
und spätere Generationen haben sie sogar verlernt
oder nie gelernt!). Xein, sie wurde von der Genera-
tion, die heute auf die Lebenshöhe kommt, vom
Geiste her als Aufgabe begriffen. Soweit die Erle-
benden Künstler waren, erkannten sie in der Selbst-
zucht (die Bescheidenheit und Treue einschließt)
die Wurzel einer höheren, seelischen und künstleri-
schen Allsdrucksmöglichkeit.

Nun sind aber Geist und Disziplin zwei Eigenschaf-
ten, die man im deutschen AYesen, in der deutschen
Geschichte, fast niemals gleichzeitig verwirklicht
findet. Sie müssen aber gleichzeitig verwirklicht
sein oder werden, wenn und wo es sich um die
höchste, nämlich die geistige Art von Disziplin: um
künstlerische Form handelt. Denn Form als die auf
ästhetische Wirksamkeit zielende Gestaltung eines

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