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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

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Täuschende Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0267

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taat liehe Museen

Täuschende Kunst

Fortsetzung von Seite 213

Dann schickte er sich zum Fortgange an, schnürte
sein Bündel, führte den Wirt an die Tür seines
Zimmers, deutete auf das Geld auf dem Tische und
verließ die Schenke. Als der Wirt nun versuchte das
Geld einzustreichen, war es ihm natürlich nicht
möglich, es in seinen Beutel hineinzubekommen.
Er rief seine Knechte und Mägde, doch auch diese
konnten die Münzen nicht von dem Tisch herunter-
bekommen. Da erkannten sie endlich, daß sie von
dem armen Maler getäuscht worden waren.

Auch Vincente Victoria, ein Schüler Calo Marat-
tis, bemalte einmal einen Tisch mit Papierzeich-
nungen und anderen Kleinigkeiten mit so großer
Xaturtreue, daß sein zu Besuch kommender Freund,
der Maler Velasco, den ..Betrug" erst merkte, als
es ihm nicht gelang, die Papiere wegzunehmen.
Vor etlichen Jahren ging durch die Presse die
Nachricht, daß ein im Amsterdamer Rijksmuseum
befindliches Stillehen von Jan van Huysum von
einem unbekannten Besucher erheblich beschädigt
worden sei. Das Bild stellt Blumen und Früchte dar,
auf denen zahlreiche Insekten sitzen. Besonders
eine große Fliege auf einem Apfel, gerade in der
Mitte des Werkes, ist einem lebendigen Tiere aufs

täuschendste nachgebildet. Man fand nun eines
Tages in dem Gemälde einen langen Riß, der von
der Fliege quer über das Bild lief und offenbar von
einem Besucher gemacht worden war, der die
..Fliege" von dem Kunstwerk verjagen wollte.
Es ist naheliegend, daß dieser jahrtausendealte Ma-
lerscherz auch manche Spottvögel zu Übertreibun-
gen lockte. Ein solcher Fall scheint mit jenem japa-
nischen Bildhauer vorzuliegen, von dem eine ange-
sehene deutsche Kunstzeitschrift vor einigen Jahren
guten Glaubens berichtete. Demzufolge hätte jener
Bildhauer ein lebensgroßes Selbstporträt von so täu-
schender Ähnlichkeit gemacht, daß er es wagen
konnte, jeden Nachmittag in der Ausstellung sich
neben sein Standbild zu stellen und die Leute raten
zu lassen, ob er oder das Standbild das lebende Ori-
ginal sei. Noch täuschender aber war jenes ,,See-
sturm'1 genannte Gemälde, das einst in einer Wie-
ner Ausstellung hing. Das Bild war von derart rea-
listischer Naturtreue, daß die Beschauer in der Aus-
stellung die Schirme öffneten, die Mäntel anzogen,
die Kragen hochschlugen und einige sogar seekrank
wurden. So täuschend war dieses Bild gemalt!

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