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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

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Eckstein, Hans: Piloty und die Münchner Kunst, [2]: anläßlich der Wiederkehr von Pilotys 50. Todestag am 21. Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0324

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Piloty und die Münchner Kunst

Fortsetzung von Seite 283

des Cäsar" usw. zeigen zwar dieselbe glänzende
Maltechnik. Aber die Sicherheit der proportionalen
Aufteilung des ,.Seni" wurde nie mehr erreicht.
Den historischen Panoramas fehlt jede Festigkeit
der Komposition, aller Schwung der Linie. ..Histo-
rienbilder, in denen der Aufwand von Können, die
Mühe des Zusammenleimens, Komposition genannt,
als Kunst gelten", sagt Hans Thoma.
Die Zeitgenossen sahen in der hohlen Theatralik
der Pilotyschen Historienbilder einen Gipfel der
Kunst erreicht. Für historische Reflexionen und
repräsentative Prachtentfaltung war man sehr emp-
fänglich. Denn als goldenes Zeitalter der Kunst
stand die Renaissance vor aller Augen: schon be-
gann man im Renaissancestil zu bauen und seine
Wohnungen auszustaffieren, als bestünde zwischen
den AYohnbedürfnissen des 19. Jahrhunderts und
den Lebensgewohnheiten eines venezianischen Do-
gen kein wesentlicher Unterschied. Man hat die
Kultur dieser Jahrzehnte des Aufschwunges tref-
fend eine Patinakultur genannt. Sie hatte ihre
Hochblüte gewiß erst nach Piloty. Aber schon
Pilotys erster Publikumserfolg war eine Auswir-
kung des Historizismus. Daß die Münchner Ko-
stümfeste ihren ernsten Hintergrund hatten, be-
weisen Pilotys gemalte Geschichtsrevuen — und es
entbehrt nicht der Ironie und tieferen Bedeutung,
daß der Meister selbst auf einem Ballfest im Hause
Paul Heyses wie der leibhaftige Kardinal Richelieu
erschienen war. Eben darum war er ein Großer in
den Augen des Publikums, weil er sich so gut auf
das historische Kostüm und eine verschwenderische
Pracht der Aufmachung verstand. Daß das alles
mit dem Verrat an der Kunst und mit der Preisgabe
der Verantwortlichkeit vorm Geist der Geschichte
bezahlt werden mußte, kam dem Publikum von
1860 so wenig in den Sinn.wie es die Maler begriff,
die es nicht verstanden, die Kunst den Moden der
Zeit dienstbar zu machen.

Doch hat nicht alle der äußere Glanz der deutschen
Kunststadt und die Triumphe Pilotvs und Makarts
für die diskreteren V erte echter Kunst blind ge-
macht. Julius Meyer, der spätere Direktor der Kgl.
Gemäldegalerie zu Berlin, fand seinerzeit in dem
,,Grenzboten" harte Worte der Kritik, die noch
heute ihre Gültigkeit haben. Ein Adolf Bayersdor-
fer beleuchtete die verhängnisvolle Situation, wie
wir es heute auch nicht treffender vermöchten: ,,Die
moderne Kunst hat den Schwerpunkt in den Stoff
verlegt und sich freiwillig in dessen Dienst verlo-
ren. Die Intelligenz des einzelnen Künstlers ist ver-
urteilt, nach allen jenen Ersatzmitteln zu haschen,
welche Reflexion und besondere Stoffwahl darbie-
ten, damit seine Kunst durch den Prunk ihrer akzes-

sorischen Eigenschaften den Mangel der wesent-
lichen zu verdecken imstande sei. AVer vor anderen
geschickt kalkulieren, wer die längst entgeistigten
Kunstgriffe besserer Tage raffiniert verwenden und
mit allen äußeren Hilfsmitteln eine kluge Ver-
schwendung üben kann, wird gewöhnlich als ein
großer Künstler betrachtet und bringt es im allge-
meinen Ansehen erfahrungsgemäß weiter, als das
wirkliche Talent, das sich kühnlich dem sicheren
Walten seiner künstlerischen Natur überläßt."
Von welcher Seite man immer Pilotys Historien-
malerei betrachtet, der Versuch einer Ehrenrettung
ist aussichtslos. Aber dennoch ist mit der Kritik sei-
ner Historienmalerei noch nicht das letzte Wort
über den Mann und seine Wirkung gesprochen. So
gewiß er vielen ein böses Vorbild gab und seine Po-
pularität kein Ruhmesblatt in der Geschichte der
Kunststadt München ist, so groß und unbestreitbar
ist doch sein Verdienst als Lehrer. Wir finden unter
Pilotys Schülern Makart, Lenbach. Defregger,
Grützner. Gabriel Max. Nikolaus Gysis. Haber-
mann, die gewiß nicht alle, vor allem in ihren spä-
teren Werken, die bloße Effekthascherei vermieden,
die aber doch in ihren Anfängen eine Malkultur
hatten, die Piloty als einen Lehrer von hervorra-
genden pädagogischen Qualitäten ausweist. Das be-
zeugen nicht nur diese bekannten Namen. Ein gan-
zes Heer junger Maler, die großenteils längst in
Vergessenheit geraten sind, hat bei Piloty eine ge-
pflegte, gute Malerei erlernt. Es ist erstaunlich,
welche Proben guter Malerei unter den Erstlings-
werken der Pilotyschüler zu finden sind, und man
darf wohl behaupten, daß in den Jahrzehnten nach
der Jahrhundertmitte bis gegen 1870 die durch-
schnittliche malerische Leistung in keiner anderen
Stadt und an keiner anderen Akademie höher ge-
standen hat. Daß die wenigsten in gereifterem
Alter hielten, was ihre jugendlichen Leistungen
versprachen, daran trägt die Schule Pilotys keine
Schuld. Denn Piloty hat wohl das Malen unter dem
Gesichtspunkt einer dekorativen Auswertung des
Malerischen gelehrt, aber es lag dem ehrgeizigen
Manne merkwürdigerweise doch ferne, seine per-
sönliche Manier und seine Historienmalerei in sei-
nen Schülern fortzupflanzen. Unter seinem unmit-
telbaren Einfluß entstand eine gute Atelierkunst,
aber keine theatralische Historienmalerei. So war
Piloty der beste Vermittler guter Münchner Mal-
tradition. Daß dies Erbe in seinen Händen treu be-
wahrt war, gibt ihm eine große Bedeutung für die
Entwicklung der Münchner und der deutschen
Kunst. Nicht durch sein eigenes Werk gehört er
der Kunstgeschichte an, sondern nur mittelbar durch
sein Wirken als Lehrer.

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