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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

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Täuschende Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0252

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Werner Berg. Junge Wöchnerin (Zeichnung)

Täuschende Kunst

Das Wesen der Kunst wird vom Laien auch heute
noch oft mit einer möglichst photographisch ge-
nauen Wiedergabe des dargestellten Objektes ver-
wechselt. Er sieht im Bild nicht das Kunstwerk,
sondern das Kunststück, sieht nicht die Mache und
vergißt die Empfindung. Nicht die exakte Kopie
der Natur ist aber das wahre Wesen der Kunst, son-
dern einzig und allein das Vermögen, die Natur
künstlerisch aufzufassen und darzustellen. Erst
wenn sich der persönliche Eindruck, die Begeiste-
rung, die lebendige Seele des Künstlers mit dem
Malenkönnen verbindet, erst dann vermag ein gut
gemaltes Bild auch ein gutes Bild zu werden.
Bei den Malern früherer Zeiten war es eine be-
liebte Spielerei, dieses Verlangen nach dem Kunst-
stück in der Kunst gelegentlich zu befriedigen. Sie
vertauschten dann die Bolle des Künstlers mit dem
des Virtuosen, übertrieben das Detail und vernach-
lässigten die Einheit. Gleich Jongleuren und Zau-
berkünstlern packten sie ihre Geschicklichkeit aus,
stellten diese in den Mittelpunkt und erzielten damit
bei der kritiklosen Menge Verblüffung und immer
einen lauten, wenn auch billigen Ruhm.
Die klassische Anekdote auf dem Gebiete der täu-
schenden Kunst ist die von dem Wettstreite zwi-
schen den beiden griechischen Malern Zeuxis und
Parhasios. Zeuxis hatte ein Stilleben gemalt und
auf diesem Weintrauben mit einer solchen Natür-
lichkeit dargestellt, daß die Vögel kamen und an

den gemalten Beeren pickten. (Nach einer anderen
Überlieferung waren es gemalte Blumen und
lebende Schmetterlinge, die einander anzogen.)
Parhasios bewunderte das Werk seines Freundes
und beschloß ähnliches zu machen. Eines Tages
lud er Zeuxis zu sich, um ihm sein neuestes Bild
zu zeigen. Die beiden Künstler unterhielten sich,
da bat Zeuxis den Freund, doch nun endlich den
Vorhang von dem neuen Gemälde wegzunehmen,
damit er es beurteilen könne. Das war aber nicht
möglich: denn der faltenreiche Vorhang war ja
eben das Gemälde selbst. Parhasios hatte also so
täuschend gemalt, daß selbst der andere Künstler
es nicht merkte.

Bekannt ist auch die Geschichte, die man von Apel-
les und Alexander d. Gr. erzählt. Als Apelles ein-
mal das Bildnis des großen Feldherrn malte, kam
dieser, das Bild zu besichtigen. Alexander war je-
doch nicht zufrieden und setzte besonders an dem
auf dem Bilde mitdargestellten Leibroß, dem be-
rühmten Bucephalos. mancherlei aus. Apelles ver-
teidigte sich und verlangte, man solle die Pferde
aus dem Stalle herbeiführen. Es geschah, und als
diese beim gemalten Pferde des Apelles vorbeige-
führt wurden, da fingen sie an zu steigen, zu stamp-
fen und zu wiehern. Hier war also die Natur selbst
Richterin und Apelles konnte mit Recht zu Alex-
ander sagen: ,,0 König! Dein Roß versteht sich
besser auf Malerei, als Du!"

Forlsetzung Seile 242

232
 
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