Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

DOI Artikel:
Niebelschütz, Ernst von: Der Künstler und sein Modell, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0215

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Künstler und sein Modell

Fortsetzung von Seite 191

In Rubens' Spätwerk ist Helene alles in einem:
Gattin und Geliebte, die Mutter seiner Kinder, und
in jeder dieser Eigenschaften das im Grunde ein-
zige Modell dieses fruchtbaren Jahrzehnts 1650
bis 1640. Aus allen ihren Bildnissen spricht das
wiedergefundene volle Lebensglück des Mannes
und des Künstlers. Er malt sie allein und mit den
Kindern, er faßt sie wie ein Juwel in kostbare Stoffe,
in Brokat. Seide und Straußenfedern, er läßt sie
an hohen Marmorsäulen vorbeischreiten und gibt
ihr einen Mohrenknaben zur Begleitung, oder er
schildert die Freude am Gedeihen von Haus und
Hof in dem liebenswürdigen ..Spaziergang" in
München, wo sie zusammen mit ihrem Erstgebore-
nen sich in der edlen Gepflegtheit eines selbstge-
schaffenen Anwesens ergehen.

Wie gern er sie zeigt, wie stolz er auf ihren Besitz
ist. lassen auch die zahlreichen Bilder biblischen
oder mythologischen Inhalts ahnen, in denen sie mit
vollendeter Meisterschaft und der ganzen herrlichen
Unbefangenheit des Weibes, das seinen Preis kennt,
nun all die Glanzrollen spielt, um die sich vor ihrem
Triumph die berühmtesten Kurtisanen von Man-
tua. Paris und Venedig gerissen haben. Sie ist klug
und erfahren genug, sich in der Bereitwilligkeit,
dem entzückten Gatten unter hundert Namen und in
den gewagtesten Stellungen und Enthüllungen zu
sitzen, von keinem Berufsmodell übertreffen zu las-
sen und so jede mögliche Rivalin aus dem Felde zu
schlagen. War sie gestern die Muttergottes, so ist
sie heute Bathseba oder Susanna, und mit der glei-
chen ruhigen Selbstverständlichkeit der allen Lagen
gewachsenen und keinen Wünschen sich versagen-
den Frau wird sie morgen als Venus vor Paris
stellen. Ihr Ruhm fliegt mit dem des geliebten Man-
nes über ganz Europa, an allen Höfen zwischen
London und Madrid weiß man. wer diese Bacchan-
tin oder nackte Andromeda ist; man spricht von den
Grübchen ihrer Knie wie von Dingen, über die es
eine bestimmte Übereinkunft in der ganzen kulti-
vierten Welt gibt, ihr Körper wird zu einem Kanon
der Schönheitspflege, und bei alledem bleibt sie die
große Dame der Gesellschaft, in deren Nähe es auch
der Kühnste nicht wagt, Gedanken zu hegen, die der
Gattin eines Botschafters und Ritters zu nahe trä-
ten. Sie besitzt das Geheimnis der wahren Frau, sich
einem ganz zu geben und allen anderen, die es wis-
sen, ein Gegenstand des Respektes und der Ver-
ehrung zu sein. Mit Rubens lebt sie, mit ihm stirbt
sie. Denn als er sie mit erst sechsundzwanzig Jah-

ren zur Witwe macht, ist es, als wäre sie nie ge-
wesen. Wir erfahren weder, wie sie seitdem gelebt
hat. noch wie sie gestorben ist. V as tut's? Wissen
wir doch, sie ist in das ewige Leben der Kunst ein-
gegangen.

Die Zeit der großen Modelle scheint vorbei zu sein,
für immer. Im Grunde war sie es schon mit dem
Sinken der Antike und dem Verschwinden der
Nacktheit aus dem öffentlichen Leben. Das Mittel-
alter kannte, wenigstens in der Frühzeit, nur das
,,Exemplum", nicht den einzelnen Fall, also auch
kein Modellstudium. Erst im 15. Jahrhundert, das
die Entsündigung der Natur schüchtern vorbereiten
hilft, glaubt man zuweilen — sehr spürbar in
Naumburg — ein neues, auf Erfahrung und Beob-
achtung gegründetes Naturgefühl durchbrechen zu
sehen. Dann führt die Renaissance, besonders die
italienische, zusammen mit der säkularisierten
Kunst das eigentlich ,.goldene Zeitalter" der Mo-
delle herauf, an die sich nun bald ebenso viel Ge-
schichten knüpfen, wie an die Künstler selber. Von
jener lebensdurstigen Nonne Lukrezia Buti etwa,
die der lockere Malermönch Filippo Lippi aus dem
Kloster stahl, von Lukrezia del Fede, die im Sumpfe
von Florenz unterging und Andrea del Sarto rui-
nierte, von der engelschönen Cecilia. an deren Un-
treue der weiche Träumer Giorgione zugrunde ge-
gangen sein soll — bis hin zu den stolzen Kurtisa-
nen Venedigs, die wir auf Tizians Bildern die gol-
dene Pracht ihrer Glieder entfalten sehen. Nur ist
das freilich nicht mehr die frei sich bewegende
Schönheit des Altertums, es sind Reize, die. der
Sitte und Konvention gleichsam abgetrotzt, schon
im Verborgenen des Ateliers blühen und nicht sel-
ten töten. ZSIit anderen Worten: das Modell wird
ein Vorrecht weniger, der Künstler, und gar oftmals
ist Eros es, der die Fäden knüpft. Kein W ander, daß
sich seither im öffentlichen Bewußtsein das Modell-
stehen mit dem Begriff des Unerlaubten, der bür-
gerlichen Wohlanständigkeit Widersprechenden ver-
bindet. Selten nur. ganz selten, daß eine große
Dame sich selbst erhöht, indem sie dem großen
Künstler, auch wenn er nicht ihr Mann ist, ihre
nicht vulgäre Schönheit darbietet. So die Schwester
Napoleons, Paulina Borghese. als sie dem Canova
für seine römische Venus saß. So noch jene edle Un-
bekannte, der Böcklin in der Flora des Treppen-
hauses im Basler Museum die Unsterblichkeit
verlieh.

198
 
Annotationen