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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

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Hellwag, Fritz: Das Stilleben: zur Ausstellung im Kronprinzenpalais in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0143

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Das Stiilebe n. Zur Ausstellung im Kronprinzenpalais in Berlin. Von Fritz Hellwag

Diese Ausstellung ist die dritte in der Serie, die von
der Generaldirektion der Staatlichen Museen und
im besonderen von Dr. Hanfstaengl, dem Direktor
der Nationalgalerie, unter dem Sammeltitel ..Deut-
sche Kunst seit Dürer" veranstaltet wird. Voran-
gegangen, und hier besprochen, waren ..Das Bild-
nis in der Plastik" und „Das Ereignisbild".
Worauf die Veranstalter hinzielen, wird eigentlich
in dieser dritten Ausstellung erst ganz klar. Hätte
in kunsthistorischem Sinne die Entwicklung der
deutschen Stillebenmalerei aufgezeigt werden sol-
len, so müßte man erhebliche Lücken anmerken.
Hier sind aber gar nicht in erster Linie die „fer-
tigen" Kunstfreunde, sondern es ist das kunsthung-
rige, aber „unfertige" und scheu gewordene Pu-
blikum, das Volk im einfacheren Sinne, zu Gast ge-
laden. „Das Bildnis in der Plastik", das war noch
eine ziemlich sichere Karte, zumal es sich um Dar-
gestellte aus der preußisch-deutschen Geschichte
handelte; „Das Ereignisbild", also die „aktuelle"
Gestaltung historisch werdender Geschehnisse mit
rein künstlerischen Mitteln, das war schon mehr ein
Wragnis. Und nun das „Stilleben", ein nach allge-
meiner Auffassung dem Laien noch ferner liegen-
des Thema? Der erstaunlich gute Besuch gerade
dieser Ausstellung beweist, daß man sich in bezug
auf die Beurteilung des Laienweges doch wohl um-
zustellen, Bedenken und Möglichkeiten anders ein-
zuschätzen hat. Ganz auf Kritik verzichten wollen
wir darum aber nicht, denn „populärer Erfolg" soll
keinen neuen Stillstand bedeuten, vielmehr zu
höherem A'erständnis sich entwickeln und wird,
wenn er dazu die Kraft in sich trägt, allmählich
auch auf die gesamte Kunstanschauung einwirken
und sie vielleicht grundsätzlich verändern.
Die verdienstvolle Werbung dieser Ausstellung setzt
also sichtbar dort ein, wo sie, wie man sieht mit
Recht, noch lebendige Anknüpfung an Laieninter-
esse für möglich hält: beim Gegenständlichen. Und
das „Stilleben" ist in der Tat in sich selbst, also pas-
siv, gegenständlich in letztem Sinne: die ..Hand-
lung" ist hier nur noch in der darüber liegenden
Sphäre, in Anordnung und in farbiger Beziehung
zu suchen. Es liegt deshalb für den Künstler die
Versuchung nahe, seinen „populären" Erfolg in der
höchstgesteigerten, realistischen Wiedergabe der
Materie zu suchen. W'ilhelm Trübner, der schon als
Zweiundzwanzigj ähriger seine „Jagdbeute", ein
totes Reh mit äußerst delikat behandeltem seidig-
grauem Fell, malte — das auch hier als ein Llaupt-
stück ausgestellt ist —, sagt in seinen „Personalien
und Prinzipien": „Wenn durch den behandelten
figürlichen Gegenstand keine sinnlich schöne oder
mimisch interessante Anregung geboten ist. so
glaubt der Laie, es sei überhaupt keine Schönheit
oder Charakteristik in dem Bilde vorhanden, ebenso
wie er auch glaubt, ein Bild sei unkoloristisch, wenn
in dem dargestellten Objekt keine von Natur aus
positiv farbigen, d. h. bunten Farben vorkommen.

So hält der Laie ein gemaltes Stillehen von Hasen
und Rehen nur dann für koloristisch, wenn etwa
noch ein zinnoberrot gekochter Hummer und eine
Schüssel mit Zitronen hinzugefügt worden ist,
oder wenn eine brennende Lampe mit rotem Schirm
eine farbige Lichterscheinung darüber ausstrahlt.
Denn beim Laien muß das Farbige, ebenso wie das
Geistvolle und Schöne, im Gegenstand von Natur
aus schon vorhanden sein. .Populäre Koloristen'
können nur von Natur aus schönfarbige Gegen-
stände behandeln, wenn sie als Koloristen gelten
wollen, während durch reinkünstlerisches Darstel-
lungsvermögen jeder Gegenstand, auch der von
Natur aus farblose ebenso wie der farbigste, gleich
gut koloristisch behandelt werden kann."
Diese von Trübner so klar formulierten Bedenken
sind auch in der Ausstellung „Das Stilleben" wirk-
sam gewesen, und es war nicht zu erkennen, wie
der Laie vor der gerade hier so naheliegenden Ge-
fahr: auf seinem künstlerisch und ästhetisch so un-
produktiven Standpunkt betreffend körperhafte
Realistik undNaturfarbigkeit zu beharren, gewarnt
und gegenteilig angeleitet werden sollte. (In dem
Verzeichnis der so verdienstvollen Vorträge und
Führungen der Staatlichen Aluseen sucht man ver-
gebens eine Berücksichtigung gerade dieser Ausstel-
lung, die doch für die Entwicklung des vergleichen-
den und damit eigenen Kunstgefühls so wichtig
sein könnte.) Gewiß, es waren charakteristische
Beispiele beider Arten von „Koloristik" zahlreich
vorhanden und auch wohl mit gewisser Absichtlich-
keit durcheinander gehängt. Aber hat nicht schon
Dürer seufzend gesagt, daß Laien stets „das Unge-
schicktest" sehen und bevorzugen? Und der von
Trübner erwähnten gelben Zitronen und roten
Hummer waren, wenn auch (naturkoloristisch) gut
gemalt, recht viele zu finden. Historisches pflegt
zwar noch mit scheuer Ehrfurcht betrachtet zu wer-
den, aber im Gegenwärtigen fällt auch diese fort.
Darf man vom Laien erwarten, daß er zur kolori-
stischen Feinheit des „Schinken" von Otto Schol-
derer findet, wenn er sich eben an einem Bilde, wo
auf dem Käse auch die krabbelnde Fliege so er-
staunlich gut erkennbar war, ergötzt hatte? AVer
bürgt dafür, daß er die Buntheit eines übernatura-
listischen Blumenbildes von Ludwig Bartning nicht
viel, viel „schöner" findet als die „nur" farbigen
Sträuße von Maria Slavona, Slevogt oder gar von
Corinth ?

Bestimmt ist es richtig, beim Gegenständlichen an-
zuknüpfen, und die Bestrebungen Hanfstaengls sol-
len nachdrücklich unterstützt werden, wenn sie
auch möglichst nachdrücklich und überzeugend
zum Vergleichen auffordern. Der Weg zur Kunst
ist lang, und wir alle haben uns den Kunstgenuß
nur durch vieles Vergleichen erworben. Und des-
halb darf die anleitende Ästhetik nicht mit dem Ge-
genstand „ausgeschüttet" werden.

Kunst f. Alle, Jahrg. 51. Hefts, März 19S6

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