Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

DOI Artikel:
Christoffel, Ulrich: Landschaftsmalerei: zur Ausstellung "Fünfzig Jahre Münchener Landschaftsmalerei und Bildnisplastik" in der Neuen Pinakothek
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0166

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mit sie der Natur ihr persönliches Siegel und Bild
aufdrücken. Elsheimer, Böcklin und Thoma haben
in Italien die deutschesten Landschaften gemalt,
weil sie in der Fremde nicht ..neue Eindrücke"
suchten, sondern nur die Buhe und Einsamkeit,
um ihr Inneres entfalten und ausschöpfen zu kön-
nen. In unsern Tagen haben gerade die besten
Künstler ihre Welt in ihren vier Wänden gefun-
den, wo ihnen auch die Augen über den wahren
Charakter der bayrischen Landschaft aufgingen.
Die Maler sehen im allgemeinen die trennenden
Grenzen, durch die sich Persönlichkeiten, Gruppen
und Richtungen voneinander unterscheiden, in kla-
rer, scharfer Zeichnung und betonen mehr ihren
Eigenwillen als ihre Verbundenheit, aber für den
Zuschauer wachsen Bilder, Zeiten und Schulen bald
zu einer einheitlichen Tonart zusammen, an der
die Erfahrung langer Generationen gearbeitet hat.
Mochten die stilistischen Auffassungen und die far-
bigen Mittel im letzten Jahrhundert öfter wech-
seln, das Ziel der malerischenNaturerkenntnis blieb
dasselbe und das Verlangen nach Farbe und Licht,
die Liebe zum Isartal und zum Dachauer Moor, zu
den Seen und Bergen änderten sich nur wenig, ob
Lier, Wenglein, Holzel, Baer oder Slevogt, Püttner,
Unold das Grün der Blätter und Nadeln betrachte-
ten und malerisch abtasteten oder ob Wenban,
Moll, Schinnerer, Pietzsch den stumpfen Stoff des
Schnees und das trübe Licht des Winters farbig aus-
deuteten. Dasselbe Rostbraun herbstlicher Töne be-
gegnet und fesselt uns bei Thoma, Willroider, Hai-
der und Pietzsch, und ältere und jüngere Künstler,
Schleich, Voltz, Schönleber, Stäbli wie Stadler.
Feldbauer und Weisgerber zeigen sich von demsel-
ben sinnlichen Empfinden für die Wirkung des aus
Wolken hervorbrechenden Lichtes und der Feuch-
tigkeit der Lüfte über Wiesen und Bäumen beseelt.
Hier wird mehr der Ton, dort mehr das Licht, das
Atmosphärische oder die dekorative Starkfarbigkeit
hervorgehoben, aber das Erlebnis der Farbe als
eines Stoffes, durch den das Geheimnis des Lebens
zu ergründen ist und der sich in der Hand des
Künstlers zu einem zauberhaften Ausdruck um-
wandeln läßt, entzündet alle Maler zu derselben
Leidenschaftlichkeit und Tätigkeit. Bei Hans
Thoma ruht die Naturandacht ganz im Ton,
Schönleber, Baer und Putz empfinden den lebendi-
gen Saft der Farbe, Holzel in seinem schönen Da-
chauer Bild die Milde der malerisch strömenden
Luft, die Tiefe und Vordergrund erfüllt und eint,
während Maria Caspar-Filser den Vorfrühling aus
fröhlicher Vielfarbigkeit aufleuchten läßt und die

Xaturkraft der Farbe zugleich weckt und bändigt
und auch Lamprecht oder Houwald die Farbe in
ihrem plastischen Ausdruckswert zu heben und zu
entstofflichen wissen. Auch bei Heß, Bock, Bürgers,
Geigenberger und andern lassen sich Abwandlung,
Spiegelung, Brechung, Lösung und Betonung der
Farben in allen erdenklichen Graden erkennen, da
sie alle an dem großen Erbe der Münchner Mal-
erfahrung teilhaben und dieses Erbe wieder durch
ihre Leistung förderten.

Aus diesem Hintergrunde eines malerisch farbigen
Gesamtwebens der Münchner Landschaftskunst
heben sich zuletzt einzelne Bilder hervor, in denen
wie schon bei Elsheimer die darstellerische bild-
hafte Gesamtauffassung der Natur vorherrscht, wie
etwa bei Lugo oder noch ausgesprochener bei Karl
Haider, der in seinem schwermütigen Wald- und
Felsbild das Wesen der bajTischen Landschaft erst
aufgedeckt hat, oder bei Schinnerer, der in der Kar-
toffelernte von 1906 den Begriff herbstlicher Mü-
digkeit der Erde nicht als Motiv, sondern als Stim-
mung erfaßt hat. Kalchreuth, Hengeler, Troendle,
Schwalbach und Teutsch wissen die Landschaft auf
ganz verschiedenen Wegen durch Anklänge an die
Jahreszeiten, an Herbst, Sommer, Abend, Ernte,
ländliche Arbeit zur Idylle umzustimmen, wie
auch Bechstein oder Doli die biedermeierliche Klä-
rung, Gött die musikalische Schwingung der Land-
schaft suchen und alle auf ihre besondere Art mehr
als nur Farbe und Natur geben wollen. Unsere Ge-
genwart verrät deutlich einen Willen zu neuen
Bildformen, und die nebeneinanderhängendenLand-
schaften von Teutsch, Unold und Jutz in Grün und
Blau sind aufschlußreich für die Entvdcklung zu
einer bildnerisch und formal durchsetzten Land-
schaft, wo die Farbe nicht nur erlebt, sondern auch
behandelt, umgedeutet und präpariert wird. Wil-
helm Heise konnte in seiner bedeutsamen „Mang-
fallbrücke der Reichsautobahn'' Technik und Land-
schaft, die mächtigen Betonpfeiler und roten Eisen-
träger mit dem dürftigen Talabhang zu einem
durchstilisierten Bilde vereinigen, und die Natur
hat dabei nichts von ihrer Urwüchsigkeit und ihrem
Charakter verloren, während im Gegenteil die
Zeugen der Technik schon Natur geworden sind.
Indem der Künstler sich von der Natur als sinn-
lichem Farbeindruck zurückzieht, nähert er sich
wieder mehr der Gesamtschau ihrer Gestaltung und
ihres Tones und er vermag gerade aus dem Verzicht
auf ihre augenblickliche Erscheinung die Ursprache
ihres Seins zu entziffern.

152
 
Annotationen