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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 51.1935-1936

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Epple, Emil: Vom Gestalten im Stein
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https://doi.org/10.11588/diglit.16483#0260

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Es ist also schon viel, wenn man das Modell im
großen ganzen modelliert und dann frei in Stein
fertig meißelt.

Selbst der größte aller Bildhauer, der unsterbliche
Michelangelo, der einzige, der. so viel mir bekannt
ist, jede Hilfe verschmähte, hat gerade durch seine
titanische Art des Schaffens sich in den Proportionen
öfters verhauen und viele xArbeiten einfach stehen
lassen, weil er entweder einsab, daß der Stein nicht
ausreichte, oder der Meister durch das leidenschaft-
liche Anhauen der Riesenblöcke erschöpft war. Diese
Bozzi (angehauene Blöcke) gehören zu den größten
Meisterwerken aller Zeiten, besonders die jetzt in
der Akademie in Florenz befindlichen, früher in
den Boboligärten stehenden, unfertigen Sklaven,
deren Nichtvollenden hauptsächlich daran lag, daß
Michelangelo zu immer neuen Schöpfungen durch
neue Machthaber gezwungen wurde.
An ihnen kann jeder junge Bildhauer lernen, wie
man den Block anpackt und bezwingt. Michelangelo
hatte ja seine eigene Art des Punktierens, also auch
er half sich, um die ersten rohen Massen zu gliedern.
Man sagt, er habe seine kleinen Wachsmodelle in
ein Becken mit Wasser gelegt und dessen Wasser-
spiegel von Zeit zu Zeit gesenkt, so daß bei jeder
Senkung die höchsten Punkte langsam hervortraten.
Meiner Meinung nach hat er selbstverständlich hier
und da mit dem Zirkel gearbeitet.
Nun kommen wir zur üblichen Art des Punktierens:
d. h. der im allgemeinen angewandten Übertragung
des Gipsmodells in den Stein. Der Steinmetz setzt
an dem Gipsmodell drei Hauptpunkte: den höchsten
Punkt oben; links und rechts unten die tiefsten, die
bestimmte Winkel bilden. An dem Stein wird nun
nach roher Vorarbeit dieses Punktdreieck genau
wiederholt und in kleinen Metallstiften festgelegt.
Die unendlich vielen, auf dem Gipsmodell mit Blei-
stift angebrachten Punkte, werden nun in mühe-
voller, mechanischer Arbeit durch Kreuzen von drei
Zirkeln, die an den drei Hauptpunkten angesetzt
und an ihrem Kreuzpunkt auf dem Gipsmodell sich
treffen, gesucht und in derselben Weise von den
kongruenten Hauptpunkten am Stein auf diesen
übertragen. Eine andere Art ist das Einhängen einer
Punktiermaschine mit beweglichem Gelenk, das auf
demselben Prinzip beruht, aber die Arbeit erleichtert
und das mühevolle Suchen der drei Zirkelschläge
umgeht. Es ist hier natürlich nicht der Platz, um
genau die bei großen Arbeiten komplizierteste Art
des Punktierens wiederzugeben: dazu wären ent-
sprechend erklärende Zeichnungen nötig. Besonders
bei Vergrößerung eines Modelles leistet der Stein-
metz eine große Arbeit. Es ist verständlich, daß
diese Art des Schaffens für einen Künstler unendlich
langweilig und das Resultat unbefriedigend ist. Er
erhält vom Steinmetz den von Hildebrand so sehr

abgelehnten ..Schneemann" oder läßt sehr oft, be-
sonders bei Bauplastik, die Arbeit fast ganz aus-
führen. Kommt er selbst an die Vollendung, ist einer-
seits die Arbeit erleichtert, andererseits ärgert er
sich hundertmal über Punkte, die er lieber nicht
darin hätte, weil er jetzt anders gestalten möchte,
die aber unabänderlich darin sitzen.
Jeder, der sich Bildhauer nennt, sollte eben das
wirklich freie Gestalten, ohne jedes Hilfsmittel, außer
einfachen Anzeichnungen mit der Kohle, kennen
und können. Jetzt erst hat der Künstler die -Mög-
lichkeit, ein ihm vorschwebendes Bild zu schaffen
und die im Stein schlummernde Figur wirklich aus
dem Schlafe zu erwecken. Lnausgesetzt verändert
sich das Bild und regt die Phantasie zu immer
neuem Gestalten an.

Mit ganz schweren Schlagen und schwersten Spitz-
eisen sprengt der Bildhauer lange parallel liegende
Bahnen in den rohen Block (Bild 1), denn er schnei-
det nicht, sondern sprengt den Stein. Handteller-
große Stücke springen ab, und es heißt aufpassen;
bei Muschelkalkstein z. B. liegen harte und weiche
Stellen oft sehr nahe beieinander. Diese Bahnen
kreuzt er mit ebensolchen Schlägen, eine Schichte
nach der anderen sprengend, bis ganz roh die Um-
risse des Kopfes oder der Statue erscheinen (Bild 2).
Nun greift er zu großen Meißeln mit schweren
Zähnen, denn nur mit diesen kann er beginnen, den
Stein zu ,.modellieren", d. h. aus den Bahnen Körper-
liches zu schaffen. Immer feinere Meißel, wenn er
will, ganz flache haarscharf geschliffene, nimmt er
zur Hand, je nachdem er die Oberfläche belebt oder
ganz glatt haben will.

Die „deutsche Alutter'" (Abb. S. 501), die weit über
lebensgroß ist, habe ich nur mit Zahneisen gestaltet,
weil ich das für die edelste Belebung halte. Die von
der Stadt Augsburg vor Jahren angekaufte Gruppe
„Mutter" ist nur ganz flüchtig mit wenig Punk-
ten nach einem kleinen Modell vorbereitet worden.
Die Technik ist genau zu erkennen, und beson-
ders an der unteren Partie des Gewandes ist der
Ubergang von den Bahnen des Spitzeisens zur
Behandlung mit Zahneisen deutlich zu sehen.
Die in Maria-Einsiedel stehende zwei Meter große
Statue der „Badenden" (Abb. S. 299) wurde ziem-
lich weit nach halblebensgroßem Modell vorbereitet,
nur Kopf und Hände ganz roh. Ich habe die Statue
ganz vollendet, ohne das Hilfsmodell weiter zu be-
nützen; man kann also auch auf diese Art zum Ziel
gelangen.

Der Kopf der „deutschen Mutter" ist ohne jeden
Punkt, ganz frei aus dem Marmorblock herausge-
hauen. Diese Art des Schaffens verlangt aber eiserne
Disziplin und eine große Vorstellungskraft. Sie ist
über jede andere Art beglückend und erhaben.

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