JOH. VERMEER, DAS NEUE TESTAMENT (mauritshuis, bes. von dr. bredius)
Kunst geblieben, von der uns die Sammlungen
seines Vaterlandes, die acht Stücke von den etwa drei
Dutzend bekannt gebliebener Gemälde enthalten,
einen schönen Überblick gestatten.
«•
Die Diana und ihre Gespielinnen im Maurits-
huis gehört zweifellos zu der frühest bekannten Art
unseres Delfter Van der Meer und in der schönen
Rhythmik seiner Linien und seiner tiefen Farben-
pracht kann man das Bild als eine reiche Ouvertüre
zu der ganzen edlen Kunst des Meisters betrachten.
Bis vor kurzem noch hat man — merkwürdig
genug und wohl hauptsächlich, weil der Vorwurf
so sehr von denen der andern Werke Vermeers
abweicht — keine Arbeit des grossen Delfters
darin erblicken wollen. Doch im Jahre ic>oi
tauchte im Londoner Kunsthandel ein ziemlich
grosses Bild: Christus hei Maria und Martha auf;
also ebenfalls ein von den gewohnten Vermeers
ganz abweichendes Sujet, das nicht allein die deut-
liche Signatur des Delfter Meisters trägt, sondern
auch im ganzen mehr Verwandtschaft als
die Diana mit der Kupplerin in Dresden
zeigt, die Vermeer der Datierung nach
1656, also mit 24 Jahren, gemalt hat.
Kurios ist es, wie die ausgestreckte Hand
von Christus fast die gleiche Haltung zeigt
wie die der jungen Frau auf der Kupplerin.
Dieses Bild nun, das in die Sammlung Coats
auf Skalmorlie Castle in Schottland kam,
bildete das Glied, durch das die Diana
definitiv dem früheren Werke des Delfter
Vermeers einverleibt werden konnte.
Übrigens war Vermeer auch in seinen
anderen Gemälden den mythologischen,
figürlichen und biblischen Sujets nicht so
abhold, wie man das oberflächlich meinen
sollte. Man weiss, dass er eine allegorische
Darstellung des Neuen Testaments in Ge-
stalt einer Frau gemalt hat, und auf einer
anderen Leinwand lässt er ein Mädchen für
die Fama Modell stehen. Unter den Bildern
ferner, die man an den Wänden der von
ihm dargestellten Innenräume hängen sieht,
findet man einen sieghaften Amor, einen
verlorenen Sohn, eine Auffindung des Moses
und eine Kreuzigung, während sich in seiner
Hinterlassenschaft auch noch eine Veronika
befand.
Will man aber das Bild einmal nicht
nur als Behandlung eines Sujets, sondern
als eine Äusserung reiner Freude am Malen ansehen,
so zeigt die Diana im Keim beinahe alle Elemente,
die die durchadelte Kunst des Vermeer kenn-
zeichnen sollten.
Deutlich spricht darin die Neigung zu wohl-
gefügtem Linienbau, woraus sich bei ihm jener
eigenartig straffe Stil entwickeln durfte. Die Köpfe
lässt er hier träumerisch senken, wie er das auch
anderswo gerne tut. Eine bei den Holländern
übrigens selten vorkommende und für ihn charak-
teristische Vorliebe für das Profil tritt hier deut-
lich zu Tage. Und sogar zeigt das kauernde Mäd-
chen, das Diana die Füsse wäscht, nicht allein in
der strengen Seitenansicht, sondern auch in dem
hübschen Typus solche Ähnlichkeit mit der einen
Brief lesenden jungen Frau in Dresden, dass man sich
fast geneigt fühlt, hinter beiden Figuren dasselbe
Modell in verschiedenen Lebensperioden zu suchen.
Und was die dunkel gefärbte Figur im Mittel-
grunde betrifft, so zeigt diese nahe Verwandtschaft
mit den eigenartig gestellten Dienstmägden auf den
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Kunst geblieben, von der uns die Sammlungen
seines Vaterlandes, die acht Stücke von den etwa drei
Dutzend bekannt gebliebener Gemälde enthalten,
einen schönen Überblick gestatten.
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Die Diana und ihre Gespielinnen im Maurits-
huis gehört zweifellos zu der frühest bekannten Art
unseres Delfter Van der Meer und in der schönen
Rhythmik seiner Linien und seiner tiefen Farben-
pracht kann man das Bild als eine reiche Ouvertüre
zu der ganzen edlen Kunst des Meisters betrachten.
Bis vor kurzem noch hat man — merkwürdig
genug und wohl hauptsächlich, weil der Vorwurf
so sehr von denen der andern Werke Vermeers
abweicht — keine Arbeit des grossen Delfters
darin erblicken wollen. Doch im Jahre ic>oi
tauchte im Londoner Kunsthandel ein ziemlich
grosses Bild: Christus hei Maria und Martha auf;
also ebenfalls ein von den gewohnten Vermeers
ganz abweichendes Sujet, das nicht allein die deut-
liche Signatur des Delfter Meisters trägt, sondern
auch im ganzen mehr Verwandtschaft als
die Diana mit der Kupplerin in Dresden
zeigt, die Vermeer der Datierung nach
1656, also mit 24 Jahren, gemalt hat.
Kurios ist es, wie die ausgestreckte Hand
von Christus fast die gleiche Haltung zeigt
wie die der jungen Frau auf der Kupplerin.
Dieses Bild nun, das in die Sammlung Coats
auf Skalmorlie Castle in Schottland kam,
bildete das Glied, durch das die Diana
definitiv dem früheren Werke des Delfter
Vermeers einverleibt werden konnte.
Übrigens war Vermeer auch in seinen
anderen Gemälden den mythologischen,
figürlichen und biblischen Sujets nicht so
abhold, wie man das oberflächlich meinen
sollte. Man weiss, dass er eine allegorische
Darstellung des Neuen Testaments in Ge-
stalt einer Frau gemalt hat, und auf einer
anderen Leinwand lässt er ein Mädchen für
die Fama Modell stehen. Unter den Bildern
ferner, die man an den Wänden der von
ihm dargestellten Innenräume hängen sieht,
findet man einen sieghaften Amor, einen
verlorenen Sohn, eine Auffindung des Moses
und eine Kreuzigung, während sich in seiner
Hinterlassenschaft auch noch eine Veronika
befand.
Will man aber das Bild einmal nicht
nur als Behandlung eines Sujets, sondern
als eine Äusserung reiner Freude am Malen ansehen,
so zeigt die Diana im Keim beinahe alle Elemente,
die die durchadelte Kunst des Vermeer kenn-
zeichnen sollten.
Deutlich spricht darin die Neigung zu wohl-
gefügtem Linienbau, woraus sich bei ihm jener
eigenartig straffe Stil entwickeln durfte. Die Köpfe
lässt er hier träumerisch senken, wie er das auch
anderswo gerne tut. Eine bei den Holländern
übrigens selten vorkommende und für ihn charak-
teristische Vorliebe für das Profil tritt hier deut-
lich zu Tage. Und sogar zeigt das kauernde Mäd-
chen, das Diana die Füsse wäscht, nicht allein in
der strengen Seitenansicht, sondern auch in dem
hübschen Typus solche Ähnlichkeit mit der einen
Brief lesenden jungen Frau in Dresden, dass man sich
fast geneigt fühlt, hinter beiden Figuren dasselbe
Modell in verschiedenen Lebensperioden zu suchen.
Und was die dunkel gefärbte Figur im Mittel-
grunde betrifft, so zeigt diese nahe Verwandtschaft
mit den eigenartig gestellten Dienstmägden auf den
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