Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:
Popper, Leo: Peter Brueghel der Ältere
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0618

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ein Stil, der
die Natur ge-
wollt hat, um
schliesslich mit
seiner tiefen
Demut doch
über sie hinaus-
zuwachsen; der
die verstreute
Schönheit aller
Bewegungen,
aller Massen
und Farben zu-
sammentrug,
weil Alles, was
fertig vor ihm
lag, einzeln zu
wenig war für
seine über-
reiche Laune;
weil nur ein
buntes, mit
Menschen dichtbesätes Bild von seinen Kräften
reden konnte. Der Maler, der keine Leere dulden
kann, der viele Menschen schöner findet als we-
nige Menschen, der Themen nur zu Vorwänden
braucht, um seinen bunten reichgefleckten Phantasien
Gestalt zu geben, ist für uns kein „Sittenschilderer"
mehr; der ist ein Schöpfer von beseeltem Schmuck;

PETER BRUEGHEL D. A. KOPF EINES HIRTEN

der hat die Natur nach dem Takte des eigenen Blutes
eingeteilt, bis sie seinem Wesen das Zeichen schrieb.
Der hat den Gedanken der Natur gewollt, um
schliesslich den Gedanken des Teppichs zu erfüllen.
Denn zuletzt hat er für uns alle das absolut Herr-
liche des Teppichs gewonnen. Seine Menschen
können nicht nur leben und schreien, sie können
auch verstummen und innehalten und noch die
gräulichsten unter ihnen können in ungeahnter Lieb-
lichkeit erstarren und fast zu Blumen werden im
wunderbaren Teppich einer Kreuztragung. — Er
geht den grössten Weg zur Natur. Aber wo Jeder
fallen muss, da fällt auch er. Doch siehe: was er
im Fallen erfüllt, ist noch mehr als was er ge-
wollt.

So sehen wir zwei Leute in ihm: Den, der war
und wollte, und Den, der nicht konnte und heute
ist; und der Eine wächst am Andern: der Erste war
nötig um den Zweiten zu zeugen und dieser um
jenen zu erhalten. Sie haben zusammen den Natura-
lismus und den Stil, die Tastbarkeit und die
Mystik, die uns im grossen Werke not tun. Und
vereinten, wie nur die Genies, die grösste Verständ-
lichkeit mit der grössten Unverständlichkeit.

UndsokommtBrueghel neben Cezannezustehen,
der dasselbe will und dasselbe nicht kann und den zu-
letzt seine Zweifel hoch über seine Ziele emporschleu-
dern, wie Brueghel von seinemGlauben über sie empor-
gehoben wurde: in Höhen täglichster Wunderbarkeit.

PETER BRUEGHEI

DORFANSICHT.

FEDERZEICHNUNG.
MIT ERLAUBNIS VON R. PIPER U. CO,, MÜNCHEN

606
 
Annotationen