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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 12
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Kunstausstellungen
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Die Münchener Ausstellung mohammedanischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0630

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KARL WALSER. ILLUSTRATION AUS „LEONCE UND LENA". FARBENSTEINDRUCK

DIE MÜNCHENER AUSSTELLUNG

MOHAMMEDANISCHER KUNST
von E. GRATZL

eitere Kreise von Kunstfreunden sind auf
die Kunst der islamischen Völker erst auf-
merksam geworden durch die kleine aber
ausserordentlich gewählte Ausstellung, die im
Frühjahr 1903 von der Union des arts decoratifs
zu Paris im Pavillon de Marsan veranstaltet wurde,
in Deutschland dann besonders durch die schönen Säle,
die im folgenden Jahr das Kaiser Friedrich-Museum
diesem eigenartigen Kunstkreis widmete. Aber immer
noch war es — trotz Migeons trefflichem Handbuch —
schwer genug einen kritischen Überblick über die Ge-
samtheit der islamischen Kunstleistung zu erhalten, die
weit zerstreut in öffentlichen und mehr noch in privaten

Sammlungen, in fürstlichen und
kirchlichen Schatzkammern, in
Zeughäusern und Bibliotheken
mehr versteckt als zugänglich
war. Die Ausstellung, die diesen
Sommer in München stattfindet,
hat nun zum ersten Male den
Versuch gemacht, alles Erreich-
bare zusammenzuholen und ver-
gleicliendemStudium zugänglich
zu machen.

Auch der flüchtigste Über-
blick über die hier vereinigten
Schätze zeigt Eines sofort: freie
grosse Kunst, die ihren Zweck
nur in sich selbst trägt, ist im
Schoss desIslam nicht erwachsen.
Die Schuld hieran trägt die
religiöse, vielleicht besser gesagt
(denn die Empfindungen, die
hier spielen, liegen weit vor aller
Religion) die superstitiöse Scheu
vor der Wiedergabe dermensch-
lichenGestalt, die der sunnitisch-
semitische Westen nie, der
schiitisch-arische Osten nur un-
vollkommen überwand. Sobleibt
von Turkestan und Indien bis
Marokko und Spanien alle Kunst
der islamischen Völker ange-
wandte Kunst; ihr Ziel ist die
Schönheit des Gebrauchsgegen-
stands, die erzielt wird durch die
Pracht des Materials und durch
die Ornamentierung seiner
Flächen; bedingt ist sie durch
die örtliche Kunstübung, die der
neue Glaube in den vielen
Provinzen seines Reiches vorfand.

Eine der Aufgaben, die sich die Münchner Aus-
stellung gesetzt hat, war es, diese räumliche Bedingtheit
zu zeigen; und sehr lehrreich ist es zu sehen, wie z. B.
in Ägypten die Holzbearbeitung, die von koptischen
Künstlern mit Geschick und Liebe gepflegt wurde, die
reizvollen Puttenmotive abstreift, von denen in der Aus-
stellung gute Beispiele aus dem $. und 6. Jahrhundert
zu sehen sind, um dann, was von figürlichen Darstel-
lungen noch bleibt, durch strenge Stilisierung ins rein De-
korative umzubilden und unter gänzlichem Verzicht auf
Figürliches ihre besten Leistungen unter ausschliesslicher
Verwendung geometrischen oder schriftlichen Linien-
schmuckes zu erreichen.

Lehrreicher noch sind die historischen Beziehungen,
die sich aus der einzigartigen Kollektion persischer Me-
tallarbeiten der Sassanidenzeit erkennen lassen. Da ist
— aus dem Besitz der kaiserlichen Eremitage zu St.

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