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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 8.1910

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Heft 12
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Rapsilber, Maximilian: Ernst Moritz Geyger
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https://doi.org/10.11588/diglit.3548#0637

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ERNST MORITZ GEYGER

IM heutigen Zeitalter der Technik nehmen wir mit Wohlgefallen ,von der Tatsache Kenntnis, dass auch die
letzten und höchsten Fragen der bildenden Kunst auf rein technische Erwägungen hinauslaufen. Das gilt ohne
Ausnahme für alle Künste, die zarten lyrischen Gedichte selbstverständlich nicht ausgeschlossen. Wenn Heinrich
Heine sein schlichtes Lied „Du bist wie eine Blume", das so ungesucht natürlich und selbstverständlich dahinfliesst,
erst nach der 5:4. Variante endgültig vollendet sah, so ersehen wir daraus, dass keine Genietat fertig vom Himmel
fällt oder dem glücklichen Meister vom heiligen Geist eingeblasen wird, sondern dass eben ein bienenfleissiges
Suchen, Sammeln und Gestalten, dass ein unsägliches Mühen und Ringen ein Kunstwerk hoher Art zustande
bringt. Das soll nicht etwa zum Trost für die unbegnadeten Menschenkinder gesagt sein. Ach, gerade der
Bienenfleiss, die heisseratmende Ausdauer, der durch Monate und Jahre jagende Kampf mit der widerspänstigen
Materie sind dem Alltagsmenschen durchaus versagt. Jedenfalls bekennen sich alle grossen Künstler der Gegen-
wart und Vergangenheit zum alleinseligmachenden Dogma der Technik und zu der Erklärung, dass das handwerks-
tüchtige Können die Grundlage aller Kunst ist und bleibt. Allerdings muss man unterscheiden zwischen Virtuosen-
tum und Künstlertum, zwischen der zwar raffiniert durchgebildeten, aber doch leeren Form und der empfindungs-
vollen, heissblütigen Gestaltung, aber schliesslich sind auch die mit ewigem Inhalt erfüllten Kunstgebilde
Denkzeichen eines höchsten Könnens, einer höchsten Technik.

Wenn wir nun in Prof. Ernst Moritz Geyger einen der glänzendsten Techniker unserer Tage erblicken, so
wollen wir das Wort im höchsten Sinne verstanden wissen. Obwohl bei seinem Talent die Versuchung nahe lag,
hat Geyger doch nie mit der Form gespielt, hat er als emsiger Gestalter der kleinsten und feinsten Einzelheiten
doch nie den Virtuosen in sich aufkommen lassen oder sich für irgendeine Chinoiserie, die ja doch auch ein
Triumph der Technik ist, hergegeben. Sein Schaffen hatte immer eine mächtige Unterströmung des persönlichen
Erlebnisses, das Kunstwerk war ihm eine Befreiung von berauschenden oder quälenden Empfindungen, genau so,
wie es uns Goethe an seinem Lebenswerk ausdrücklich verdeutlicht hat. Um nur ein Beispiel vorzuführen, hat
Geyger 1897 und 1902 zwei Silberspiegel geschaffen, die er selber als kunstgewerbliche Leistungen kennzeichnet.
Und gerade hier haben wir persönliche Bekenntnisse aus des Künstlers Innenleben in wundervollen und ergreifenden
Symbolen, Liebeslust und -Leid, und beide Spiegel nebeneinander ergeben so etwas wie eine hohe Tragödie in
Silber und edlen Steinen auf Lapislazuli, das Ganze natürlich geadelt von reichster und feinster Formenschönheit
und ein Wunderwerk empfindungsvoll modellierender Technik. Kurz und gut, es soll im entferntesten nicht der
Anschein erweckt werden, als ob das grosse Talent irgendwie zur Einseitigkeit oder Äusserlichkeit neige, wenn
wir hier im folgenden den Entwicklungsgang Geygers aus bestimmten technischen Gründen betrachten.
 
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