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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 1
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Tessenow, Heinrich: Das Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0046

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Arbeitswege das Müde oder Resignierte, das immer
in uns ist; und so bekämpfen wir das Ornament
mit der gleichen Notwendigkeit, mit der wir alles
Halbe oder Müde, Resignierte oder Zufriedene be-
kämpfen.

Das Beste am Ornament ist das Abstrakte, das
Dumme oder das Unbegreifliche. Das Ornament
hat — ganz ängstlich gesagt — das Damenhafte,
kann ganze Welten äussern, aber hat immer eine
sehr grosse Scheu, das zu thun oder ist im Aus-
druck immer sehr unbestimmt oder fordert immer
starke Übersetzungen; es mangelt dem Ornament
am Thatwiilen und das unterscheidet es von dem,
was wir so gewöhnlich grosse Arbeit nennen;
wenn wir etwas sogenannt Bedeutendes arbeiten,
so ist immer von uns gefordert, dass wir uns stark
auf unser Arbeiten konzentrieren; das Ornament
aber ist gegen das Stirnrunzeln, will im Arbeiten
spielen; so müssten wir reine Gütter sein, wenn
wir mit dem Ornamentieren selbst etwas Rechtes
fertig bringen könnten.

Es ist voraufgehend schon mit den Ausfüh-
rungen über die technische Form diese mit dem
Ornament verglichen, was hier noch einmal wieder-
holt sei: auch die technische Form (damit sie selbst
uns etwas sei) fordert starke Übersetzungen; bei
ihr geschieht die nötige Übersetzung besonders
durch unser Wissen, bei dem Ornament besonders
durch unser Sehen; wir schätzen beide Übersetzungs-
arten gleich hoch oder wir schätzen die technische
Form als solche so hoch oder so niedrig wie das
Ornament; aber ungefähr: wenn wir von dem
Ornament die Form subtrahieren, bleibt nichts mehr
übrig; während wenn wir von der technischen Form
die Form subtrahieren, noch das Technische bleibt.

Ein Mann hatte einmal den ganzen Tag über
in der Weltgeschichte herumgewirtschaftet und
hatte nun Feierabend gemacht und hatte eben sehr
gut gegessen und getrunken und sass nun so da,
sehr zufrieden und erzählte sich allerlei mit seiner
Frau, und diese musste dann nachher die Kinder zu
Bett bringen, und inzwischen hat dann Papa, so
halb fleissig und so halb auch faul, am Bogenpfeil
herumgeschnitzt. — So ungefähr wird es mit dem
absichtlichen Ornamentieren zuerst gewesen sein;
es war so halb ein Spielen, und so halb war es ein
Arbeiten. Wäre dieser Mann an dem Abend nicht
schon etwas müde gewesen, so ist anzunehmen,
dass er gesucht hätte, den Bogenpfeil, statt ihn zu
ornamentieren, seinem Wesentlichen, etwas seiner
Flugkraft oder dergleichen nach, besser zu machen.

Das Ornament ist immer ein Beweis dafür,
dass es uns im Arbeiten an der nötigen geistigen
Lebendigkeit oder Kraft fehlte, das eigentlich
Wesentliche oder Erste unserer Arbeit sehen oder
verbessern zu können, ist sozusagen immer eine
halbe Arbeit vor dem Schlafengehn.

Es liegt uns oft nahe, anzunehmen, das Orna-
ment sei ein Anfang oder sei so etwas wie der
Keim zu höherer bildender Arbeit, und so benutzen
wir es in sehr grossem Maasse, das Zeichnen zu
schulen; aber das Ornament ist nicht ein Anfang,
zum Beispiel wir können es uns kaum vorstellen,
dass der genannte Mann sich am andern Morgen,
frisch gewaschen und munter, niedersetzte, um
dann ganz still und bedachtsam weiter zu schnitzen;
sondern am Morgen interessierten den Herrn ganz
gewiss ganz andere Dinge.

Es sind ausgesprochen unsere Nebenkräfte, die
das Ornament bilden, es ist im Alltag immer etwas
durchaus Nebensächliches, ist immer etwas Letztes,
weshalb wir auch mit aller Mühe Ornamentales
nicht besser machen können, als irgendwelche ur-
alten oder wilden Völker es schon gemacht haben.

Unser Denken und Empfinden, das uns absicht-
lich ornamentieren lässt, ist, wie gesagt, müde oder
so ähnlich, ist nicht ernst; so ist das Ornamentieren
auch nichts für Kinder; es ist durchaus unkind-
lich; ein Kind nimmt sein Arbeiten immer ernst,
meistens sogar sehr ernst; wenn es müde ist, dann
arbeitet es möglichst überhaupt nicht mehr und
legt sich schlafen; das Kind will das Sinnliche und
so könnte das Ornament dem Kinde angenehm
sein; aber es will auch ebensoviel das Sachliche,
zeichnet etwa ein Haus mit sehr rotem Dach oder
einen Baum mit sehr grünen Blättern oder eine
Dame, die an jeder Hand ihre fünf Finger schön
deutlich beisammen hat; aber das Kind wird aus
ursprünglich eigenem Antrieb niemals ornamen-
tieren wollen oder wird — unverbildet — niemals
das Ornament als solches lieben, ganz im Gegen-
teil: alte gesetzte Herrschaften lieben das Orna-
ment, Menschen, die so halb und halb mit der
Welt fertig sind, alte Kulturen oder überhaupt alle,
denen es am Weiterkommen fehlt oder die an ein
Weiterkommen nicht glauben, aber doch arbeiten.
Wir heute aber stehen mit dem grossen Ganzen
unseres Wollens viel mehr im Kindlichen oder in
einem Anfänglichen als wir so gewöhnlich meinen;
wir glauben stark an ein Besserwerden, und so ist
uns das absichtliche Ornamentieren besonders zu-
wider.

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