Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0594
DOI Heft:
Heft 12
DOI Artikel:Stengel, Walter: Kunst und Künstler in der Karikatur: ein Beitrag zur Psychologie des Laienurteils
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0594
GUSTAV DORE, DJE MALSCHULE, 1850
KUNST UND KÜNSTLER IN DER KARIKATUR
EIN BEITRAG ZUR PSYCHOLOGIE DES LAIENURTEILS
VON
WALTER STENGEL
Wrer je die „Fliegenden Blätter" gelesen hat,
und wer hätte das nicht, „sind sie doch das
einzige Witzblatt, das seiner absoluten Harmlosig-
keit wegen unbedenklich jedem Kind in die Hand
gegeben werden kann und zu dem auch der Er-
wachsene in Stunden der Weihe, etwa beim Haar-
schneiden oder im Vorzimmer des Zahnarztes, wie
zu halbvergessenen Jugenderinnerungen reuig zu-
rückkehrt" (Lehrs), wird bemerkt haben, dass
der Haupttrick immer darin bestand, Aktualitäts-
interessen humoristisch auszumünzen. Das dem
Zeitgenossen Ungewohnte jeder neuen Erschei-
nung des täglichen Lebens war, nicht anders wie
es in den Chansons der Varietes der Fall ist, der
Generalnenner des Anreizes zur Komik. Nahezu
150 Bände mit über 3700 Nummern sind bis-
her erschienen: ein grosses Bilderbuch der Kultur-
geschichte, die sich seit den Kinderjahren unserer
Grosseltern abgespielt hat. Und was ist in der langen
Spanne nicht alles einmal aktuell gewesen: das hohe
Fahrrad und die elektrische Bogenlampe, der Ober-
kellner und das Frauenstudium, die Pferdebahn und
die Ansichtskarte.
Der allgemeinen Einstellung entsprechend lag
56z
KUNST UND KÜNSTLER IN DER KARIKATUR
EIN BEITRAG ZUR PSYCHOLOGIE DES LAIENURTEILS
VON
WALTER STENGEL
Wrer je die „Fliegenden Blätter" gelesen hat,
und wer hätte das nicht, „sind sie doch das
einzige Witzblatt, das seiner absoluten Harmlosig-
keit wegen unbedenklich jedem Kind in die Hand
gegeben werden kann und zu dem auch der Er-
wachsene in Stunden der Weihe, etwa beim Haar-
schneiden oder im Vorzimmer des Zahnarztes, wie
zu halbvergessenen Jugenderinnerungen reuig zu-
rückkehrt" (Lehrs), wird bemerkt haben, dass
der Haupttrick immer darin bestand, Aktualitäts-
interessen humoristisch auszumünzen. Das dem
Zeitgenossen Ungewohnte jeder neuen Erschei-
nung des täglichen Lebens war, nicht anders wie
es in den Chansons der Varietes der Fall ist, der
Generalnenner des Anreizes zur Komik. Nahezu
150 Bände mit über 3700 Nummern sind bis-
her erschienen: ein grosses Bilderbuch der Kultur-
geschichte, die sich seit den Kinderjahren unserer
Grosseltern abgespielt hat. Und was ist in der langen
Spanne nicht alles einmal aktuell gewesen: das hohe
Fahrrad und die elektrische Bogenlampe, der Ober-
kellner und das Frauenstudium, die Pferdebahn und
die Ansichtskarte.
Der allgemeinen Einstellung entsprechend lag
56z