Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

DOI Heft:
Heft 8
DOI Artikel:
Künstler-Anekdoten
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0432

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
CHINESISCHE LEGENDE

Ein chinesischer Maler, der im unablässigen Stre-
ben, der Wahrheit und Schönheit immer näher zu
kommen, das siebzigste Lebensjahr erreicht hatte, lud
die Freunde in sein Atelier, um dort seine letzte Ar-
beit, sein Meisterwerk, anzusehen. Die Freunde
kamen und standen entzückt und des Lobes voll vor
dem Bilde. Es stellte eine Frühlingslandschaft dar
mit Blütenbäumen und schönen Fernen. Im Mittel-
grund war ein grün überwachsener Berg gemalt. Eine
hölzerne Thür schien in das Innere dieses Berges hinein-
zuführen. Von der Thür aber lief ein Weg durch eine
Blumenwiese bis an den unteren Rand des Bildes. Als
die Freunde nun so vor dem Bilde sinnend dastanden,
löste sich der Meister unversehens aus ihrer Mitte. Er
ging auf das Bild zu, betrat den schmalen Weg und
wandelte, klein und kleiner werdend, langsam über die
Wiese dahin. Als er bis zu der Thür gelangt war, sah
er sich nach den Freunden um, winkte ihnen freundlich
zu, öffnete dann die Pforte, trat in das Innere des Berges
und schloss die Pforte hinter sich wieder zu. Er ist nie-
mals wieder gesehen worden.

DER GOTT UND DIE BIRNE

George Moore erzählt von Degas: Eines Tages be-
gegnete ich ihm in der Rue de Maubeuge. „Ich hab's",
sagte er und war überrascht, als ich ihn fragte: was?
Grosse Egoisten nehmen immer stillschweigend an, dass
alle Menschen an das denken, was sie beschäftigt. „Nun,
den Jupiter, selbstverständlich den Jupiter." Und er

nahm mich mit, ich musste das Bild sehen; kein sehr
guter Ingres — gut, ja doch, ein bischen langweilig —
ein Jupiter mit buschigen Brauen und,einem Donnei<-
keil in der Hand. Daneben hing eine Birne. Ich kannte
die Birne, eine getüpfelte Birne, auf sechs Zoll Lein-
wand gemalt. Sie hing früher in Manets Atelier, sechs
Zoll Leinwand an die Wand genagelt.

„Im Grunde gefällt mir die Birne besser als der
Jupiter", sagte ich zu Degas.

Und Degas erwiderte: „Ich habe sie dahingehängt,
weil eine Birne, die so gemalt ist, jeden Gott um-
schmeisst.-'

WHISTLER UND WILDE

Eine erdichtete Unterhaltung im „Punch" verursachte
folgenden Depeschenwechsel:

i) von Oskar Wilde an Mac Neill Whistler:

„Der „Punch" zu albern — wenn Sie und ich zusam-
men sind, sprechen wir doch über nichts anderes als
über uns selbst."

2) von Whistler an Oskar Wilde:

„Aber bester Oskar, Sie irren sich. Wenn Sie und
ich zusammen sind, sprechen wir über nichts anderes
als über mich."

SCHADOW UND RAUCH

Der alte Gottfried Schadow pflegte, als seine Auto-
rität im Reiche der Plastik erschüttert war, von sich zu
sagen: „Wissen Sie, mein Ruhm ist sozusagen — ge-
wissermassen — wenn ich mich so ausdrücken darf -
in Rauch aufgegangen."

FÜNFZEHNTER JAHRGANG. ACHTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 24. APRIL. AUSGABE AM I. MAI NEUNZEHNHUNDERTSIEBZEHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN

VON W. DRUGULTN ZU LEIPZIG
 
Annotationen