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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 5
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Scheffler, Karl: San Marco: aus dem Tagebuch einer Reise nach Italien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0238

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RICHARD WiiNCKEL, MARTYRIUM DES HEILIGEN JAKOB, STUDIE

ABB. 2 2

SAN MARCO

[AUS DEM TAGEBUCH EINER REISE NACH ITALIEN

VON

KARL SCHEFFLER

Es war Sonntagmorgen, als wir den Dom zuerst
betraten. Es strömten die Menschen vom hellen
Markusplatz in Scharen in die Dämmerungen der
vom hundertfach reflektierten Kerzenlicht erhellten
Hallen hinein. Es war Hochamt, und wie in einem
vollen Strahl kam uns der alte Kirchengesang eines
unsichtbaren Männerchors entgegen. Vor demHaupt-
altar zelebrierten die Priester, Chorknaben sehwangen
die Weihrauchbecken, im Chorgestühl gähntenlange
Reihen von Priestern in ehrwürdigen Talaren, die
Fremden standen überall halb frech, halb verlegen
umher, auf dem unsagbar schön gemusterten Mo-
saikfussboden, der von den Jahrhunderten wie in
Wellen emporgehoben und hinabgesenkt worden ist,
knieten in ihrerVolkstracht Scharen vonMännernund

Anm,: Diese Seiten werden mit Erlaubnis des Insel-
Verlag, Leipzig, in dem mein Buch „Italien" erschienen ist, ab-
gedruckt.

Frauen, trinkgeldlüsterne und Almosen sammelnde
Kirchendiener gingen hin und wieder durch die
leise bewegte Menge — und hinten an einem Neben-
altar reckte sich eine Sechzehnjährige auf die Fuss-
spitzen, um mit einer Hingebung und Liebe, die
einem das Wasser in die Augen treiben konnte, ein
Heiligenbild zu küssen, just so, als küsse sie zum
erstenmal voll Andacht den Mund eines Mannes.
Es war ein Ineinander von Kunst und Leben, das
überwältigte. Die Musik, die Mosaiken, der Raum,
der Weihrauch, die Menschen — die ganze stilisierte
Wirklichkeit, das Unheilige im Heiligen, das Heilige
im Unheiligen, das Anbetungswürdige im Götzen-
dienstartigen: das alles war in seiner Art wie ein
Extrakt von Welt und Leben. Wieder war es zu
fühlen: der Katholizismus ist nicht zu töten, bevor
nicht das noch Stärkere kommt. Denn in ihm hat
der Ärmste teil am Höchsten, was es giebt.

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