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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 8
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Friedländer, Max J.: Hans Baldung Grien
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0384

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Reichtum der Gotik zu empfinden, und ohne
rechtes Verständnis für die italienische Bauform,
bildet er kahle und nichtssagende Architektur-
kulissen. Seine Landschaft ist an und für sich
wertvoll, bleibt aber Hintergrundsfüllung, die
äusserlich mit den Figuren verbunden wird. Die
Elemente der Landschaft sind dem Hochgebirge
entnommen, schwere Baumstämme und zackige
Felsen, scharf im Umriss beobachtet, tönen sie selten
in der Stimmung des Bildganzen mit.

Der Porträtaufgabe gegenüber befriedigte Bai-
dung die Wünsche seiner Zeitgenossen, die laut
und breitspurig Beachtung forderten, nicht mehr
nur als Glieder einer frommen Gemeinde oder als
Angehörige eines ehrenfesten Standes, vielmehr mit
ihren körperlichen und geistigen Eigenheiten. Die
markanten Profile einer sich erdreistenden Gene-
ration umschrieb er mit Lust und eindrucksvoll.
Den Blick auf das Wesentliche gerichtet, macht er
das Licht und die Farbe der Formprägung dienstbar
und stellt die Köpfe auf neutralen dunkeln Grund.
Er bekam Gelegenheit, nicht nur das Strassburger
und Freiburger Stadtpatriziat zu porträtieren, son-
dern auch Gelehrte, stolze Standesherrn, und
Fürstlichkeiten, besonders Mitglieder des Mark-
grafengeschlechtes von Baden. Stets bringt er das
Körperliche und Geistige auf die kürzeste Formel.
Prägnant wie die besten Medaillen, die damals in
Süddeutschland geschaffen wurden, wirken seine
Bildnisse. Er wählt ein Halbprofil, das eigentlich
ein Doppelprofil ist, indem die Nasenlinie in spitzem
Winkel gegen die Wangenlinie anläuft. Die Cha-
rakterschilderung ist weder tief noch ausführlich,
aber deutlich und pointiert. Mit handfestem Griff
führt Baidung die Aufgabe rasch zu Ende, ohne sich
bei Feinheiten der Binnenform oder des Stofflichen
aufzuhalten, mit Vorliebe in Haltung und Ausdruck
gespannte Willenskraft, im Kostüme das Schmucke
und Forsche betonend.

Wie alle Meister seiner Zeit hat Baidung oft
vor dem Thema der Passion gestanden und vermut-
lich sich gerade bei dieser Gelegenheit des Dürer-
schen Vorbildes erinnert, dessen Unerreichbarkeit
ihm schwerlich Sorge machte. Sein Christus leidet,
und Maria, Johannes und die anderen leiden mit
ihm, aber die Klage, so laut und elementar in Geste
und Gesichtsausdruck sie klingen mag, entströmt
innerlich ungebrochenen und einfachen, im Grunde

glücklichen Menschen, denen Arges zugestossen ist,
und ihrem Schmerz ist die melancholia ingenii nicht
beigemischt. Glück und Unglück bleiben deutlich
von einander geschieden; die Heiterkeit ist der
Naturzustand und weicht nur bei dringendem An-
lass. Die Seligkeit derMadonna ist nicht überschattet
von Ahnungen und Erinnerungen. Die Heiligen
sind nicht spiessbürgerliche, vielmehr aufrechte und
freie Menschen, von fast heroischer Gesundheit,
unerschütterlich in ihrer Überzeugung, aber nicht
in seelischen NötendemGöttlichengenähert,sondern
gehoben — im Sinne der Renaissance — durch
Wohlgestalt.

Wir stossen beim Durchblättern der Baldung-
schen Zeichnungen auf Mädchenköpfe von eckiger
Anmut und finden in Gemälden wie in Zeichnungen
erblühte Frauen von üppiger Vollkommenheit, so
dass wir verlockt werden, dem Meister einen
Schönheitssinn zuzuerkennen, den wir in Dürers
Bildungen vermissen. Nun ist Baidung jünger
als Dürer und gehört einer Generation an, die
eines neuen Formideals einigermassen sicher ge-
worden, ihren Frauenkultus unbefangener als die
Ahnen und Väter aus dem Quell der Sinnlichkeit
nährte. Dürer hatte eine Formenwelt zu überwinden
und verbrauchte in diesem Kampf (an dessen Sieges-
preis die Jüngeren teilnahmen) einen guten Teil
seiner Kraft. Er spürt der Form nach und ist vor
der Natur so scharfsichtig, begierig nach Ent-
deckungen, so gespannt in Furcht, zu übersehen,
dass die auslassende und abrundende Gestaltung be-
hindert wurde. Sein Drang nach „Schönheit" war
vielleicht nicht weniger heftig als sein Streben nach
„Wahrheit", irrte aber ins Rationalistische ab, so
dass sich eine Kluft aufthat zwischen seiner Wahrheit
und seiner Schönheit, und keine organische Ver-
bindung glücken wollte zwischen dem Ideal, das
im Schema gesucht wurde, und dem Individuellen,
das die Beobachtung ergab. Der flachere Baidung
ist in dem, was wir Geschmack nennen, nicht
nur gefälliger, sondern auch einheitlicher als
Dürer.

Die helle und formenklare Kunst, die am Ober-
rhein blühte, ist als Ergebnis Dürerscher Weisungen
und Lehren aufzufassen, wenngleich Baidung seinem
Meister nicht blindlings, nicht auf allen ver-
schlungenen Pfaden uud nicht zu den letzten Zielen
folgte.

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