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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 9
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Schaller, Hans Otto: Altschwäbische Monumentalkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0454

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angezeigt als seither. Die
Schwaben haben einst in der
deutschenKunst eine führende
Rolle gespielt. Es scheint
nicht unfruchtbar, bei diesem
Anlass mit den Augen des un-
zünftigen Kunstfreundes, der
in dieser grossen Vergangen-
heit manches für die Gegen-
wart Lebendige und Be-
glückende finden kann, um
vier bis fünf Jahrhunderte zu-
rückzuschauen. Eine gewisse
Vermischung formalen und
historischen Betrachtens wird
dabei freilich nicht ganz zu
vermeiden sein.

Zunächst muss auffallen,
dass die damalige Situation
als eine völlige Umkehr der
heutigen sich darstellt. Man
empfand es als eine Befreiung
vom Zwang ausgesprochen
illustrativer Aufgaben, dass
man endlich an die Form der
Wirklichkeit ganz sich hin-
geben konnte, dass man mit
nie geahnter Kraft des Men-
schen Abbild und seine Um-
welt auf die Tafel zwingen
konnte. Während jedoch
heute unsere Jüngsten zugun-
sten illustrativer Gebunden-
heit willig die ungeahnte
Lcbensfülle hingeben, durch
welche die Bildniskunst eines
Liebermann und Slevogt in
mancher Beziehung über die
eines Cranach und Schaffner
noch hinausragt, versuch-
ten damals die Besten der Zeit mit einem Kräfte

hätte das entscheidende Neue,
wie es dann in den Werken
des Pieter Bruegel Form ge-
funden hat, wohl zuerst bei
uns entstehen müssen. Denn
die Entwicklung der Malerei
hatte gerade in Deutschland
mit Werken eingesetzt, aus
denen, wenn auch noch ver-
steckt zwischen ihrer zeit-
lichen und stofflichen Gebun-
denheit, dieses ganz moderne
Bruegel-Gesicht hie und da
den erstaunten Betrachter an-
zublicken scheint.

Ums Jahr 1400, als auf
schwäbisch - alemannischem
Boden Moser und Lochner,
Witz und Multscher geboren
wurden, begann ein neuer
frischer Zug wie die Plastik
auch die Wandmalerei zu er-
füllen. Über den künstleri-
schen Wert dieser handwerk-
lichen Bilderzyklen wird man
sich vor den besseren Werken
der Gattung täuschen, so
reizvoll ist oft ihre zarte Far-
bigkeit und ihr ornamental
bedingter Linienfluss,so sicher
wird eine überzeugende Un-
terordnung sowohl des Ge-
samtwerkes im architektoni-
schen Raum als der Einzel-
form im Bild erreicht. Aber
die Formenwelt selbst und
ihre monumentale Haltung
war fast immer längst schon
geprägt, wurde meistens über-
nommen aus Vorbildern von
viel höherem Rang, welche die Glas-und Mimatur-

HANS MULTSCHER, ST. BARBARA

STEKZENG

einsatz gewaltiger Art, die neugewonnene natür- maier, die Teppichwirker (zum Beispiel in Ante-
lichere Form zu verbinden mit der monumentalen, pendien) oder die Kleinplastiker (zum Beispiel in
aber schematischeren Wirkung, welche die frei- Reliquiarien) viel früher schon geschaffen hatten,
gebildeten Historienzyklen der Wand- und Altar- Leicht übersieht man, dass das, was Witz und
maiereien ausgezeichnet hatte. Eine zielbewusste Multscher als grosse Maler Neues in die Kunst ge-
Formulierung ist bei diesen Bemühungen freilich bracht haben, gerade die erste Sprengung der
nicht herausgekommen. Hätte damals statt der monumentalen Wandbild-Kalligraphie bedeutet,
immer stärker und folgenschwerer werdenden Zer- Nur die gleich gewaltige Energie, mit der diese
splitterung der Zusammenschluss des Reiches und beiden hochgespannten Naturen die Sichtbarkeit ins
seiner Kunstkultur erreicht werden können, so Bild zu zwingen suchten, erlaubt ihre gemeinsame

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