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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 15.1917

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Heft 10
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Scheffler, Karl; Bode, Wilhelm von; Dehmel, Richard: Max Liebermann: im Urteil seiner Zeitgenossen, zum siebzigsten Geburtstag des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.4744#0526

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HOLLÄNDISCHE DORFSTRASSE, 1877

die bürgerlichen Tugenden des Fleisses, der Tüchtig-
keit, der scharfen Beobachtung und der geistigen
Regsamkeit.

Und eben deswegen nannten wir sie die wesent-
liche. Zu ihren Vorläufern zählt Chodowiecki, der
eben noch die Schwelle des neunzehnten Jahrhun-
derts überschreitet. Dann stellen sich ihre Vertreter
spontan in Fülle ein, im Norden wie im Süden
Deutschlands, lauter Geistesverwandte, obwohl keine
gemeinsame Schule sie verbindet. Wir brauchen
keine Namen zu nennen, denn der Tüchtigen sind

zu viele. Nach wenigen Jahrzehnten
tritt unter sie das Genie in Gestalt
von Menzel, ein seltsames Genie,
klein und gross zugleich! Er fasst zu-
sammen, was die andern vor ihm in
emsiger Kleinarbeit hier und dort
beackert hatten und vergeistigt es
auf seine Art; er stellt die Verbin-
dung zwischen der deutschen Klein-
bürgerlichkeit und demWellenschlag
einer europäischen Kunstbewegung
her; er ahnt die zukünftigeEntwicke-
lung voraus, denn in einigen erlesenen
Frühwerken ist er ein Zeitgenosse des
späteren Geschlechtes. Und dann ver-
körpert sich in Liebermann die neue
Zeit, die Zeit des Impressionismus.
Er ist der legitime Nachfolger Men-
zels, indem er fortfährt, wo jener
aufgehört hatte und vollends ver-
geistigt, was in jenem noch erden-
schwer gebunden gewesen war. Nicht
als ob er darum der Grössere wäre.
Er kennt sich selbst genug, um sein
Verhältnis zu dem Vorgänger richtig
einzuschätzen. Auch verhehlt er es
sich keineswegs, dass sein Geistes-
verwandter Leibl Vorzüge habe, die
ihm selber seiner Art nach unerreich-
bar bleiben. Überhaupt ist Lieber-
mann im besten Sinne seiner selbst-
bewusst; ja, es giebt wenige Künstler,
die sich über Art und Umfang ihrer
Begabung und folglich über ihre
Aufgaben so klar wären wie er.
Ferner sind ihm die für ihn in Be-
tracht kommenden Kunstwerke in
weitem Umkreise bekannt, er ist be-
lesen und auch für die theoretische
Verteidigung wohlgerüstet, so dass
zu sagen wäre, er wisse alles, was er gebraucht.

Seine Widersacher haben früher gemeint, ihn
besonders empfindlich zu treffen, indem sie ihn als
einen Nachahmer der Franzosen hinstellten. Auch
konnte man dieses nur denen erzählen, die entweder
nichts von den Franzosen oder nichts von Lieber-
mann wussten. Seither ist es vielmehr offenkundig
geworden, wie die Berührung mit den Fremden
Liebermanns Eigenart lediglich vertieft hat. Denn
es zeigt sich bei ihrem Nebeneinander, wie er von
den französischen Weggenossen als der herbere,

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