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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 32.1933

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Heft 2
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Scheffler, Karl: Zöpfe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7617#0072

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Zöpfe

von KARL SCHEFFLER

Wo eine überlebte Institution künstlich am Leben erhalten wird, gibt es zwangsläufig Streit
unter den Beteiligten. Die Berliner Kunsthochschule ist ein Beispiel. Die Leiter, die Lehrer
und Schüler werden freilich — aus Selbsterhaltungstrieb — bestreiten, daß die Schule über-
lebt sei; es ist dennoch so. Sonst wäre sie nicht ein so guter Nährboden für Konflikte.
Im Mittelpunkt des letzten Konfliktes steht der seit etwa fünfundzwanzig Jahren regie-
rende Direktor Bruno Paul. Die Vorwürfe, die ihm gemacht werden, er hätte Privat-
aufträge erledigt statt die Schule zu verwalten, sind schlecht formuliert. Denn Privat-
aufträge haben die Direktoren und Lehrer der Kunstgewerbeschulen stets angenommen
und mir Hilfe ihrer Schüler bearbeitet. Wobei diese praktisch manches gelernt haben.
Wie intensiv diese Privatarbeit betrieben wird, ist eine Frage der persönlichen Arbeits-
kraft und des Taktes. Von diesem letzten Gesichtspunkt aus hätte Bruno Paul vielleicht
mehr das Gesicht wahren können. Aber er hat doch wenigstens immer in derselben
Stadr gewohnt und gelehrt, wenn er auch auswärts viel gebaut hat. Es gibt auch Fälle, daß
Künstler in Berlin wohnen und eine Praxis ausüben, daß sie daneben aber periodisch
in eine andere Stadt fahren, um dort an einer Kunstschule eine Klasse zu leiten oder
gar den Direktor zu spielen — und daß sie auf eine solche betriebsame Tüchtigkeit noch
stolz sind.

Bruno Paul war zwar kein idealer Direktor, doch hat der schweigsame Ehrgeizige sein
Amt besser verwaltet, als seine Feinde es gekonnt hätten. Die alte Berliner Kunstge-
werbeschule hat er konsequent reformiert, indem er sie dem Werkbundgedanken unter-
warf; und das Kultusministerium sah in ihm den rechten Mann, als es den gewagten,
aber kaum noch zu umgehenden Entschluß faßte, die Kunstgewerbeschule mit der Hoch-
schule für bildende Kunst zu verschmelzen. Da Bruno Pauls Interesse nun einmal dem
zweckvoll gebundenen Kunstgewerblichen galt und gilt, darf es nicht wundernehmen,
daß er dieses mehr förderte als das zweckfrei Künstlerische. Trotz aller Kritik, die hier
an seiner künstlerischen Leistung geübt worden ist, wußten wir stets zu schätzen, was
Bruno Paul als Architekt und als Direktor geleistet hat; der frühe Zeichner des Simpli-
zissimus ist uns freilich immer sympathischer gewesen. Wenn Bruno Paul jetzt freiwillig
abgeht, hat er den offiziellen Dank verdient; unersetzlich aber ist er nicht.
Mit geteiltem Gefühl hört man, daß er zum Ersatz ein Meisteratelier für Architektur
übernimmt. Er ist kein originaler Meister der Architektur, sondern nur ein äußerst
tüchtiger Nutznießer stärkerer Anreger. Zudem sollten endlich überhaupt die Meister-
ateliers aufgehoben werden. Eben jetzt sind von der Akademie der Künste einige andere
Künstler — darunter mehrere „Kronprinzen* — für frei gewordene Meisterateliers vorge-
schlagen worden. Wozu ein paar, von Kulissenintrigen anmutig belebte Wahlgänge nötig
waren. Meister! In Wahrheit handelt es sich meistens um eine halb politische Verteilung
von Sinekuren. Die bevorzugten, nicht die begabtesten Schüler werden „Meisterschüler":
ihnen wird ein eigenes großes Atelier überwiesen, und es gibt schon Skandal, wenn
einmal zwei solcher Schüler ein Riesenatelier teilen sollen. Einige der „Meister" aber
lassen sich bei diesen Schülern dann kaum jemals zur Korrektur blicken.
Dieser Zopf kommt uns teuer zu stehen. Unmittelbar nach der Revolution hätte die
Politik das konventionell gewordene Verhältnis von Staat und Kunst radikal regeln
können. Philistergesinnung hatte nicht den Mut. Jetzt, wo ein mehr reaktionärer Geist
herrscht, weiß niemand weder aus noch ein.

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