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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 39.1996

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Veit, Georg: Das Problem der lateinischen Lehrbuchtexte
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https://doi.org/10.11588/diglit.33062#0013

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Das ProMem der tateinischen Lehrbuchtexte

Es gehört zur Alltagserfahrung von Lateinleh-
rem, daß man seine liebe Not mit den Kunsttex-
ten der Unterrichtswerke hat. In Nöte gerät man
v. a. dann, wenn man sich nicht damit begnügen
mag. die Texte als Steinbruch für linguistische
Turnübungen oder als Stichwortgeber zum
Thema „Antike" zu benutzen. Bleibt man Klas-
sischer Philologe, Liebhaber also von Texten,
und betrachtet Texte als Ausgangspunkt histori-
scher Kommunikation und sprachlicher wie
kultureller Erkenntnisse und Denkübungen, ist
man zu häufig mit Gegen- und Zusatzmaterial,
mit Kommentaren und Aufarbeitungen gefor-
dert - und zwar in solch einem Maße, daß die
Frage auftaucht, ob denn diese Texte so banal,
so kommunikationslos und so unfruchtbar sein
müssen.
Beim Studium der Lehrbuchrezensionen ist
signifikanterweise festzustellen, daß die Inhalte
der lateinischen Kunsttexte, die Kunsttexte also
als Genre, viel zu wenig oder zu oberflächlich
analysiert werden. Kein Zufall, glaube ich. Die
eigenen philologischen Maßstäbe werden nicht
einmal ansatzweise an den Kunsttexten der
Lehrbücher angelegt.
Den Kunsttexten kommt jedoch ein hoher Stel-
lenwert für Anspruch und Fortexistenz des La-
teinunterrichts zu. Ich schätze:
- mindestens die Hälfte des Lateinunterrichts
während der Spracherwerbsphase wird über
Lehrbuchtexte abgewickelt;
- ca. drei Viertel des gesamten heute erteilten
Lateinunterrichts wird durch Lehrwerke bestrit-
ten (der Rückgang der Abwähler nach 11.1 ist
dramatisch - z. B. in NRW innerhalb von 8 fah-
ren um 45%) ;
- diese Zahlen werden sich in absehbarer Zeit
nicht zugunsten der Originallektüre verschie-
ben.
Daraus schließe ich. daß gut ein Drittel des La-
teinunterrichts allein mit Kunsttexten aus Lehr-
werken bestritten wird und diese Kunsttexte die
Lateinerfahrung der Schüler wesentlich be-
stimmen.

Über diese Feststellung hinaus ist natürlich un-
ser Selbstverständnis anzufragen: Was eigent-
lich macht die Legitimation unseres Unter-
richssfaches im Kern aus? Doch nichts anderes
als die Überzeugung, daß der Arbeit an Texten
eine besonders bildende Rolle für die geistige
Entwicklung und Haltung von Menschen auch
unserer Zeit zukommt. Humboldt nannte das
„Welterweiterung", da Sprache - bei ihm aller-
dings die rein formale Sprachbetrachtung - mit
Weitsicht zu tun habe. Wie peinlich aber, wie
kläglich, wenn gerade im Unterricht dieses Fa-
ches über weite Strecken nicht einmal Grund-
qualitäten von Texten aufzufinden sind!
Dies alles unterläuft m. E. nicht zufällig, son-
dern ist Folge eines einseitigen Sprachbegriffs,
der die Sprache in ihrer Inhaltsdimension aus
den Augen verloren hat. Unsere Didaktik
krankt noch immer an einem dürftigen Sprach-
begriff, Inhalte erscheinen als beliebig, evtl, als
Sache der Oberstufe. Interpretationsansätze
werden formal-linguistisch angegangen. Kurz-
um: Die Texte in den Lehrbüchern spiegeln
genau diesen Sprachbegriff wider.
Ich denke, daß wir nicht umhin kommen wer-
den, eine neue Gesprächsrunde in der Didaktik
unseres Faches einzuläuten, daß wir den Kern
unseres Faches in Ziel und Mitteln neu heraus-
zuschälen haben. Wir müssen uns auf die Spra-
cherwerbsphase, die Lehrbuchphase also, kon-
zentrieren und überhaupt darüber reden, welche
Stoffe und Themen in den Kunsttexten verarbei-
tet und wie diese gestaltet werden können und
sollen.
Kriterien für die Stoffauswahi
Es scheint kaum ein Kriterium zu gebe, nach
dem überhaupt die Stoffe und Themen aneinan-
dergereiht werden. Die Lehrbuchautoren z. B.
halten sich zugute, einen „bunten Straß von
Texten" aus „möglichst viele(n) Bereiche(n) der
Antike'" zusammengestellt zu haben, heben ihre
Zurückhaltung bei militärischen Stoffen hervor
sowie den Wechsel zwischen traditionsreichen

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