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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 39.1996

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Varia
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Roggen, Vibeke: Latinitas Norvegiensis - tot oder lebendig?
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Varia

Latinitas Norvegiensis - tot oder lebendig?
Ich sitze jetzt in einem Flugzeug - auf dem Weg
von Berlin nach Oslo. In Berlin bin ich zwei
Wochen gewesen, von der Universität in Oslo
geschickt. Warum? Um Unterrichtsmethoden
für Latein zu studieren. Das habe ich also getan,
so gut wie es mir möglich war, und jetzt bin ich
- nicht gelb vor Neid, sondern stumm vor Be-
wunderung ! Sie haben wirklich eine gute Arbeit
geleistet, und tun es auch jeden Tag!
Unsere Situation ist eine ganz andere, wie eini-
ge Zahlen vom Schuljahr 1995-96 zeigen kön-
nen:
* 8 Schulen geben Lateinunterricht.
* Mehrere Schulen haben Lateinlehrer(-innen):
insgesamt 30 Lateinlehrer(-innen) arbeiten in
norwegischen Schulen. Aber die meisten von
ihnen unterrichten jetzt ihr Lieblingsfach
nicht.
* 123 Schüler(-innen) lernen jetzt Latein.
Wie viel Latein lernen sie denn? Von diesen
acht Schulen gibt es eine Schule, wo man Latein
3 Jahre lernen kann. In den anderen: zwei Jahre
(4 oder 5 Wochenstunden) oder nur ein Jahr (2
oder 3 Wochenstunden).
Warum? kann man fragen. Einige Antworten
kann man in unserer Geschichte finden: Norwe-
gen liegt weiter weg von Rom, Caesar kam
nicht bei uns vorbei, die Römer haben keine
Städte gegründet, haben keine Tempel, Mauern
oder Brücken bei uns gebaut. Wir müssen ins
Ausland gehen, um solche Antiquitäten zu se-
hen.
Weiter: Norwegen war im Mittelalter lange ein
Königtum, im 14. Jahrhundert starb aber der
letzte König (an der Pest), und unser Land ist
ein Teil Dänemarks geworden. So war die Si-
tuation 400 Jahre lang. Und Norwegen war
nicht nur politisch, sondern auch kulturell un-
selbständig. Unser Land war z. B. das letzte
Land Europas, das eine Druckerei bekam: im
Jahre 1643. Eine Universität hatten wir nicht bis

zum Jahr 1811. Junge Studierende in früheren
Zeiten fuhren nach Kopenhagen und zu deut-
schen Universitäten. In norwegischen Schulen
lernten die Schüler Latein und sprachen Latein.
Gedichte und andere Schriften wurden auf la-
teinisch geschrieben - auch in Norwegen.
Im Napoleonkrieg war Dänemark auf der Ver-
liererseite, Schweden war unter den siegreichen
Ländern. Norwegen wurde als ein Geschenk-
päckchen Schweden überlassen. Und kurz ge-
sagt: Als nationale Wellen das Land überflute-
ten im 19. Jahrhundert, war Latein nicht unter
den nationalen Schätzen! Bereits um das Jahr
1900 lernten nicht mehr alle Schüler selbstver-
ständlich Latein. Noch gab es die sogenannte
,,L<3n'nEn/'g" im Gymnasium: Schüler konnten
drei Jahre lang Latein als Hauptsprache lernen
(6+8+9 Stunden) und in einigen Schulen auch
zwei Jahre Griechisch (6+6 Stunden). Dann
kam die Schulreform, vor etwa 20 Jahren. Es
sollte nicht mehr „Gymnasium" heißen, es sollte
nicht mehr „Ihij'er" geben, und jetzt wählen die
Schüler ihre Fächer von einem Jahr zum ande-
ren. Die Universitäten verlangen nicht mehr,
daß die neuen Studenten(innen) Latein gelernt
haben. Man kann jetzt z. B. Französisch oder
Mittelalterliche Geschichte studieren, ja promo-
vieren - ohne ein Wort Latein. Latein war ver-
haßt; es galt als unnational und total unnützlich.
Ein Beispiel: Seit einigen Jahren gab eine tradi-
tionsreiche, alte Schule das Fach Latein auf. In
der Lokalzeitung konnte man die Begründung
lesen: daß Schüler ohne Latein leichter genug
Punkte bekämen, um an der Universität studie-
ren zu können. In anderen Fächer war es leich-
ter, gute Noten zu bekommen...
1993 veranstaltete das Norwegische Institut in
Athen ein Seminar: „Die Gegenwart der klassi-
schen Studien in Norwegen". Da waren ver-
sammelt: Lateinlehrer(-innen), altsprachliche
Philologen der Universitäten, Lateinstudentenl-
innen), Fachleute aus der „Nachbarschaft" der
alten Sprachen: Geschichte, Archäologie, roma-
nische Sprachen usw. und Vertreter der Univer-

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