Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 39.1996

DOI Heft:
Nr. 2
DOI Artikel:
Aktuelle Themen
DOI Artikel:
Maier, Friedrich: Zukunft braucht Herkunft: Bildungserwartungen an das Gymnasium und die Alten Sprachen : zur Eröffnung des Kongresses des Deutschen Altphilologenverbandes in Jena
DOI Artikel:
Siegers, Josef: Die Anforderungen der modernen Arbeitswelt an die gymnasiale Bildung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33062#0062

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
(man assoziiert heute „die musealen") Diszipli-
nen mitleidlos deklassierte (und dies in lateini-
scher Sprache). Müßte er sich nicht deshalb
zusammen mit jenem Engländer sagen lassen,
was schon 2000 Jahre vor diesem der griechi-
sche Dichter Euripides gültig formuliert hat?
"Ocrttg veo$ 6Jv poucrnv dpeket,

röv re ncteeXOovr' djtokmke XQÖvov
xai rov pekkovra reOvi^xev. (Prg. 1028 Nauck)
Wer iw j'eiwer /Mgew^ el:e Afw^ew verwac/:iä^y:^r, ^er
Aat ^ie ver^aw^ewe Zeit veriorew wwt? iyt /ür ^ie
ZHkMW/t tot.
FRIEDRICH MAIER

Die Anforderungen der modernen Arbeitsweit an die gymnasiale Bildung

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
über die Anforderungen der Arbeitswelt an die
gymnasiale Bildung zu sprechen, heißt, über die
Beziehungen zwischen Beschäftigungssystem
und Bildungssystem nachzudenken.
Beschäftigung, Arbeit und Arbeitsmarkt sind
Teilbereiche des großen Feldes der Wirtschaft.
Sie unterliegen den ökonomischen Gesetzmä-
ßigkeiten und Zwängen, z. B. dem unerbittli-
chen Prinzip von Angebot und Nachfrage, dem
harten Test des Wettbewerbs sowie dem kon-
junkturellen Auf und Ab des Wirtschaftsge-
schehens. Sie werden wie die gesamte wirt-
schaftliche Welt von den Prinzipien der Ratio-
nalität, Zweckmäßigkeit und Effektivität be-
herrscht. Der einzelne muß sich den großen
Strömungen anpassen, wenn er beruflichen Er-
folg haben will.
Gymnasiale Bildung hingegen als Teil des Bil-
dungssystems orientiert sich zuvörderst an der
Persönlichkeit des einzelnen. Sie zielt auf die
zweckfreie, allgemeine Vervollkommnung des
heranwachsenden Menschen ab, will die in ihm
liegenden Eigenschaften und Fähigkeiten - un-
abhängig von seiner funktionalen Einbindung in
die Arbeitswelt - um seiner selbst willen zur
Entfaltung bringen.
Mit anderen Worten: Das Thema spricht zwei
völlig heterogene Lebensbereiche an. Die im
Thema verborgene Aussage stellt aber zugleich
auch schon eine Beziehung zwischen diesen
beiden Welten her. In der Tat: Bei genauerem
Hinsehen ergeben sich zahlreiche Querverbin-

dungen zwischen Bildungssystem und Beschäf-
tigungssystem. Dies beginnt schon mit der bana-
len Tatsache, daß die Lebenslinie des einzelnen
Menschen im Regelfall beide Welten durch-
läuft. Die Schnittstelle ist der oft beschworene
„Eintritt des Jungen Menschen in die Arbeits-
welt", der häufig, vor allem bei unzulänglicher
Antizipation der die Arbeitswelt beherrschenden
Regeln und Zwänge, als Schock empfunden
wird.
Die wichtigste Bezugsschiene resultiert aber
daher, daß dem Bildungssystem zumindest auch
die Aufgabe zukommt, den jungen Menschen
auf seine Funktionen in der arbeitsteiligen Wirt-
schaft vorzubereiten. Bildung und Erziehung
mögen durchaus vorrangig auf die Entfaltung
der im jungen Menschen liegenden Kräfte und
Anlagen gerichtet sein. Am Ende muß dieser
Prozeß - schon um der schieren Existenzsiche-
rung willen - in einer gesellschaftlich akzeptier-
ten Funktion münden. Auch Künstler, Philoso-
phen und Schriftsteller bedürfen des Broter-
werbs. Unzählige Schülergenerationen haben
sich deshalb den Satz Vorhalten lassen müssen,
daß sie nicht für die Schule, sondern für das
Leben zu lernen hätten. Dabei wird diese Sen-
tenz, von Seneca im übrigen in ironischer Um-
kehrung auf den Schulbetrieb seiner Zeit ge-
münzt, eher als Motivierungsinstrument gegen-
über lernunwilligen Schülern eingesetzt, als daß
man daraus substantielle Vorgaben für Gang
und Inhalt des Bildungsgeschäftes abgeleitet
hätte.

60
 
Annotationen