sind geschieden. Es hat keine Geschwister und
lebt bei der Mutter. Familienerziehung hat es
nie erfahren. Es erinnert sich daran, daß Familie
Streit, auch männliche Gewalt und Alkohol-
mißbrauch bedeutet. ... Die Mutter kümmert
sich nicht um ihr Kind. Es lebt neben ihr her
und hört nicht auf sie. Täglich sieht es viele
Stunden fern. ... Horror- und Action-Filme sind
seine tägliche Zerstreuung. Das Kind bleibt
abends lange auf und ist morgens müde. ... Ler-
nergebnisse, die durch Memorieren erfolgen
und zu sichern sind, sind ihm nicht abzuverlan-
gen. ... Den Unterricht findet es langweilig, und
das sagt es den Lehrkräften auch, und zwar vor,
während und nach dem Unterricht. ... Im allge-
meinen ist es nicht bereit, eine Anweisung zu
akzeptieren; die Lehrkräfte müssen ihm ein und
dasselbe mehrmals nacheinander sagen, ehe es
dies wahmimmt - was noch nicht bedeutet, daß
es Anweisungen befolgt. Gelegentlich entschei-
det es, nicht mehr mitzuarbeiten, packt seine
Tasche eine Viertelstunde vor Unterrichtsende
und sagt: Ich habe keine Lust mehr. Es sehnt
sich nach Anerkennung und hat gar nicht vor,
faul zu sein oder sich asozial zu verhalten; es ist
nur so, daß es nicht anders kann, daß es sich
nicht steuern kann, daß es jeder Empfindung
sofort nachgeben und jeder Anstrengung aus
dem Wege gehen muß. Was es tut, muß Spaß
machen und leicht sein. Es prügelt sich, wenn es
im Ausleben seiner Individualität behindert
wird - als Junge häufiger denn als Mädchen. ...
Seine Schrift ist kaum zu entziffern. Später will
es viel Geld verdienen." (S. 18ff.)
Versuchen wir die wichtigsten neuen Sozialisa-
tionsbedingungen zu eruieren, die den neuen
Schüler prägen, so scheinen folgende bestim-
mend zu sein:
1. Es ist eine Stadt-, meist eine Großstadtkind-
heit.
2. Die Kinder wachsen weitgehend in gestörten
Familien auf.
3. Es ist eine reizüberflutete Zerstreuungs-
kindheit mit einem Übermaß an auditiven
und visuellen Stimuli der Medien.
4. Es ist eine Kindheit, in der der normen- und
werteprägende Einfluß der Familie - sowohl
der Mutter, aber erst recht des Vaters (ganz
zu schweigen von den fehlenden Ge-
schwistern) - ganz zurücktritt gegenüber dem
der Medien. Entsprechend der Mannigfaltig-
keit und Widersprüchlichkeit der Normen-
und Werteangebote in den Medien ist des-
halb für den neuen Schüler eine Normen-
und Werteunsicherheit kennzeichnend.
Da diese Sozialisationsbedingungen auch für
Gymnasiasten, die Alte Sprachen wählen, ver-
mutlich wesentlich sind, schien es mir nötig,
daß auch wir Altsprachler uns mit dieser neuen
Entwicklung befassen. Für diese Auffassung
fand ich offene Ohren beim Vorstand des DAV.
Mir wurde zugestanden, einen Arbeitskreis aus
jungen Philologinnen und Philologen zum
Thema ,Der neue Schüler und die alten Spra-
chen' zu bilden.
Die ersten Ergebnisse haben wir 1994 auf dem
DAV-Kongreß in Bamberg vorgestellt. Ein
Resümee dieser Veranstaltung ist von mir im
Mitteilungsblatt des DAV Heft 2 von 1994 ver-
öffentlicht worden. Wir waren ebenso wie Hen-
sel verfahren und hatten uns zunächst bewußt
gemacht, wie wir die Schüler in den 5. bis 7.
Klassen erleben. Es ist gewiß ein subjektives
Vorgehen, ebenso subjektiv wie das von Hensel,
es ist indes notgedrungen subjektiv, da objekti-
ves Material nicht zur Verfügung steht.
Ich möchte aus diesem Resümee von zwei jun-
gen Kollegen zitieren. Es sind dies Klaus Sun-
dermann, der an einem altsprachlichen Gymna-
sium in Rheinland-Pfalz unterrichtet, und Ed-
zard Visser, der an einem Gymnasium mit La-
tein als 2. Fremdsprache in Koblenz tätig ist.
Herr Sundermann erlebt die neuen Schüler m
den Klassen 5 und 6 wie folgt:
„1. Das neue Kind verfügt durch das außer-
schulische Medienangebot (Jugendbücher,
Comics, Videoaufzeichnungen, Computer-
programme) über ein oft beträchtliches Vor-
wissen gerade für den altertumskundlichen
Teil des Lateinunterrichts. ...
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lebt bei der Mutter. Familienerziehung hat es
nie erfahren. Es erinnert sich daran, daß Familie
Streit, auch männliche Gewalt und Alkohol-
mißbrauch bedeutet. ... Die Mutter kümmert
sich nicht um ihr Kind. Es lebt neben ihr her
und hört nicht auf sie. Täglich sieht es viele
Stunden fern. ... Horror- und Action-Filme sind
seine tägliche Zerstreuung. Das Kind bleibt
abends lange auf und ist morgens müde. ... Ler-
nergebnisse, die durch Memorieren erfolgen
und zu sichern sind, sind ihm nicht abzuverlan-
gen. ... Den Unterricht findet es langweilig, und
das sagt es den Lehrkräften auch, und zwar vor,
während und nach dem Unterricht. ... Im allge-
meinen ist es nicht bereit, eine Anweisung zu
akzeptieren; die Lehrkräfte müssen ihm ein und
dasselbe mehrmals nacheinander sagen, ehe es
dies wahmimmt - was noch nicht bedeutet, daß
es Anweisungen befolgt. Gelegentlich entschei-
det es, nicht mehr mitzuarbeiten, packt seine
Tasche eine Viertelstunde vor Unterrichtsende
und sagt: Ich habe keine Lust mehr. Es sehnt
sich nach Anerkennung und hat gar nicht vor,
faul zu sein oder sich asozial zu verhalten; es ist
nur so, daß es nicht anders kann, daß es sich
nicht steuern kann, daß es jeder Empfindung
sofort nachgeben und jeder Anstrengung aus
dem Wege gehen muß. Was es tut, muß Spaß
machen und leicht sein. Es prügelt sich, wenn es
im Ausleben seiner Individualität behindert
wird - als Junge häufiger denn als Mädchen. ...
Seine Schrift ist kaum zu entziffern. Später will
es viel Geld verdienen." (S. 18ff.)
Versuchen wir die wichtigsten neuen Sozialisa-
tionsbedingungen zu eruieren, die den neuen
Schüler prägen, so scheinen folgende bestim-
mend zu sein:
1. Es ist eine Stadt-, meist eine Großstadtkind-
heit.
2. Die Kinder wachsen weitgehend in gestörten
Familien auf.
3. Es ist eine reizüberflutete Zerstreuungs-
kindheit mit einem Übermaß an auditiven
und visuellen Stimuli der Medien.
4. Es ist eine Kindheit, in der der normen- und
werteprägende Einfluß der Familie - sowohl
der Mutter, aber erst recht des Vaters (ganz
zu schweigen von den fehlenden Ge-
schwistern) - ganz zurücktritt gegenüber dem
der Medien. Entsprechend der Mannigfaltig-
keit und Widersprüchlichkeit der Normen-
und Werteangebote in den Medien ist des-
halb für den neuen Schüler eine Normen-
und Werteunsicherheit kennzeichnend.
Da diese Sozialisationsbedingungen auch für
Gymnasiasten, die Alte Sprachen wählen, ver-
mutlich wesentlich sind, schien es mir nötig,
daß auch wir Altsprachler uns mit dieser neuen
Entwicklung befassen. Für diese Auffassung
fand ich offene Ohren beim Vorstand des DAV.
Mir wurde zugestanden, einen Arbeitskreis aus
jungen Philologinnen und Philologen zum
Thema ,Der neue Schüler und die alten Spra-
chen' zu bilden.
Die ersten Ergebnisse haben wir 1994 auf dem
DAV-Kongreß in Bamberg vorgestellt. Ein
Resümee dieser Veranstaltung ist von mir im
Mitteilungsblatt des DAV Heft 2 von 1994 ver-
öffentlicht worden. Wir waren ebenso wie Hen-
sel verfahren und hatten uns zunächst bewußt
gemacht, wie wir die Schüler in den 5. bis 7.
Klassen erleben. Es ist gewiß ein subjektives
Vorgehen, ebenso subjektiv wie das von Hensel,
es ist indes notgedrungen subjektiv, da objekti-
ves Material nicht zur Verfügung steht.
Ich möchte aus diesem Resümee von zwei jun-
gen Kollegen zitieren. Es sind dies Klaus Sun-
dermann, der an einem altsprachlichen Gymna-
sium in Rheinland-Pfalz unterrichtet, und Ed-
zard Visser, der an einem Gymnasium mit La-
tein als 2. Fremdsprache in Koblenz tätig ist.
Herr Sundermann erlebt die neuen Schüler m
den Klassen 5 und 6 wie folgt:
„1. Das neue Kind verfügt durch das außer-
schulische Medienangebot (Jugendbücher,
Comics, Videoaufzeichnungen, Computer-
programme) über ein oft beträchtliches Vor-
wissen gerade für den altertumskundlichen
Teil des Lateinunterrichts. ...
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