Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0013

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
12

I. Einleitung

Standsaufnahme auf folgende Punkte reduzieren: Stand ein besonders schwerwiegen-
des Delikt in Rede, konnte innerhalb des Gerichtsverfahrens eine physische Auseinan-
dersetzung der Streitparteien bzw. der von ihnen nominierten Stellvertreter (Kämpen,
a77Hpz'o72es) anberaumt werden, die der Beweiserhebung dienen sollte. Der gerichtliche
Zweikampf ist also gerade keine Fortsetzung der Justiz mit anderen Mitteln; sein Aus-
gang liefert vielmehr die rechtliche Grundlage für das sich anschließende Endurteil im
Verfahren, denn der Sieg im gerichtlichen Zweikampf gilt als klarer Unschuldsbeweis.
Legitimation und Glaubwürdigkeit des dMcHtUT! gründen dabei auf seiner beweisrecht-
lichen Klassifikation als Gottesurteil (mdidiUT! Del, Ordal). Zentral für die Rechtferti-
gung dieser Gruppe von Beweismitteln ist die grundsätzliche Frage nach Wesen und
Wirken göttlicher Gerechtigkeit. Sie wird hier so beantwortet, dass Gottes Richter-
spruch nicht erst im Jenseits, am Tag des Jüngsten Gerichts, seine Wirkung zeitige, son-
dern bereits im Diesseits konkret zu erfahren und auch zu erfragen sei. Da die einem
Verbrechen zugrundeliegende Rechtsverletzung nicht allein gegen weltliche Rechts-
normen, sondern implizit auch gegen die göttliche Rechtsordnung verstößt, kann folge-
richtig in Fällen, in denen die menschliche Urteilskraft an ihre Grenzen gelangt, Gott
selbst als Zeuge angerufen und um eine klare Stellungnahme gebeten werden. Diese
>Anfrage< erfolgt entweder in verschiedensten Proben - Gottesurteilen eben -, die den
Delinquenten der Macht der Naturgewalten aussetzen (sog. Ele77!g77fo7'd77le)/ oder in der
direkten Konfrontation der Streitparteien im mdicm/T? puguoe/
Der gerichtliche Zweikampf bietet also die legalisierte Variante eines ursprünglich
in der Sphäre der Selbstjustiz angesiedelten Gewaltmittels. Eine Analyse des dMelüuT!
muss daher einerseits sein außergerichtliches Erbe, andererseits seine rechtliche Veran-
kerung berücksichtigen. Sie bewegt sich somit im Spannungsfeld von subjektivem
Rechtsempfinden, weltlichen Rechtsnormen und Vorstellungen von göttlicher Gerech-
tigkeit.

1.2 Wege der Forschung

Beschäftigt hat ein derart spektakuläres Beweismittel die Wissenschaft seit jeher, und
zwar nicht allein die >klassische< historische Forschung, sondern auch Nachbardiszipli-
nen wie Rechtsgeschichte, Theologie und Literaturwissenschaft. Es eröffnet sich also
ein breites Spektrum an Zugangsmöglichkeiten zum mittelalterlichen dMcHtuT!, das bis-
lang durch sechs Zugangswege bestimmt ist, die in den folgenden Unterkapiteln knapp
skizziert werden. Diese Systematisierung dient dem besseren Überblick über die Masse
an Forschungsliteratur, zwingt jedoch zu Verallgemeinerungen: Nur wenige von mir
als repräsentativ eingeordnete Arbeiten können genannt, kein Werk kann an dieser
Stelle in seiner ganzen Informationsdichte gewürdigt werden. Ich habe mich dennoch

6 Vgl. die Übersicht der möglichen Formen bei NoTTARP: Gottesurteilstudien.
7 Dabei bestimmen nicht die Delikte, sondern Stand und Geschlecht die Wahl des geeigneten
Gottesurteils: idealerweise erbringen Frauen und Unfreie den Unschuldsbeweis in einem Ele-
mentordal, der gerichtliche Zweikampf hingegen soll vor allem Freien zu Gebote stehen; vgl.
dazu Kap. V.
 
Annotationen