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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0016

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1.2 Wege der Forschung

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Letztlich muss man wohl eingestehen, dass der Weg, den das dMcHM7?i ins Recht
nimmt, dunkel bleibt. Aber an den unterschiedlichen Positionen, die im Laufe der Zeit
von der Forschung zu dieser Frage eingenommen wurden, zeichnen sich bereits die
wesentlichen Fragen nach Wert und Wesen des Gerichtszweikampfes ab, nämlich: Wo-
rum geht es eigentlich - um Religiosität oder Rechtsansprüche; um Glaube oder Ge-
waltanwendung; um beides oder möglicherweise auch um etwas ganz anderes?

1.2.2 Wiedersehen in der Moderne
Es ist dies die Art von Fragen, die eine Antwort in Form der großen teleologischen Ge-
schichtserzählung geradezu heraufbeschwört, und es nimmt nicht Wunder, dass nach
dem Woher vor allem das Wohin des dMcHM7?i die Forschung beschäftigte. Das Ende des
gerichtlichen Zweikampfes und der Beginn des außergerichtlichen Ehrenduells rück-
ten in das Zentrum des Interesses, und Fluchtpunkt aller Untersuchungen wurde die
Frage nach der Wesensverwandtschaft dieser beiden Zweikampftypen. Wiederum ist
es Montesquieu, der sich als erster an einer Antwort versuchte: Seiner Meinung nach
bereiteten bereits die Zweikampfvorschriften des Mittelalters dem modernen Ehrbe-
griff den Weg, definierten sie doch erstmals, was als Beleidigung zu gelten habe (Stock-
schläge, Ohrfeigen, Schimpfworte etc.) und was als angemessene Reaktion anzusehen
sei - nämlich die erlittene Ehrenkränkung »mit Blut ab[zu]waschen«."
Mittelalterlicher und neuzeitlicher Zweikampf wurden so über den Point
d'honneur untrennbar miteinander verknüpft - eine Ansicht, die besonders im bürger-
lichen Zeitalter kontrovers diskutiert wurde.*" Allerdings ging es den Autoren des spä-
ten 19. und anbrechenden 20. Jahrhunderts dabei nur bedingt um die historische Ana-
lyse eines spezifisch mittelalterlichen Rechtsmittels. Im Vordergrund ihrer Arbeit stand
die Darstellung ihrer eigenen Position zu der heftig diskutierten Frage nach Legitimität
und Legalität des neuzeitlichen Duells. In einer Zeit, in der das moderne Duellwesen
oder - je nach persönlicher Einschätzung - auch Duellunwesen seinen Höhepunkt er-
reicht hatte, konnte der gerichtliche Zweikampf des Mittelalters als Interpretament des
modernen Ehrenzweikampfes ins Feld geführt und so die eigene Position in der aktu-
ellen Debatte mit historischen Argumenten untermauert werden."" Unverhohlener als
in wissenschaftlichen Arbeiten sonst üblich trübten hier also subjektive Werthaltungen
und teils auch eigene Duell-Erfahrungen"" die Sicht auf den mittelalterlichen Gerichts-
zweikampf: Vehemente Gegner der skizzierten These"" betonten, dass es im Mittelalter
beim Zweikampf gerade nicht um die Ehre, sondern um klar definierte, schwerwiegen-
de Delikte gegangen sei;"" der »Wahnsinn des Duells« sei erst wesentlich später entstan-

19 MONTESQUIEU: De l'Esprit des Loix XXVIII.20.
20 Vgl. BELOw: Duell und germanischer Ehrbegriff; DERS.: Duell in Deutschland; DERS.: Die
Ehre; BiNDiNG: Die Ehre; CouLiN: Verfall und Entstehung; ERZBERGER: Duell und Ehre; FEHR:
Zweikampf; THÜMMEL: Gerichtlicher Zweikampf; WiESiNGER: Das Duell vor dem Richter-
stuhle der Religion.
21 Vgl. die konzise Darstellung von FREVERT: Ehrenmänner. - Das Werk liefert auch eine umfas-
sende Zusammenstellung der einschlägigen Veröffentlichungen aus dem 19./20. Jahrhundert.
22 Vgl. das Beispiel Georgs von Below bei FREVERT: Ehrenmänner, S. 11.
23 Vgl. BELOW: Duell und germanischer Ehrbegriff; HoFMANN: Stellung der katholischen Kirche.
24 Vgl. BELOW: Duell und germanischer Ehrbegriff, S. 8-11.
 
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