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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0020

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1.2 Wege der Forschung

19

eher Forschungsansätze. Dabei müssen die Dimensionen rituellen Handelns und Stra-
tegien der Konfliktlösung im Mittelalter ausgelotet werden;^ denn die Rechtspraxis des
du dünn scheint stark durch symbolische Kommunikation der Streitparteien geprägt^
und es ist zu klären, welcher Stellenwert der Physis der Kombattanten in diesem Zu-
sammenhang zugewiesen wird.

1.2.5 Zweifel an der Ordalqualität
Der rituelle Charakter des gerichtlichen Zweikampfes wird nicht zuletzt dadurch er-
härtet, dass es sich bei diesem Phänomen - zumindest formaljuristisch - um ein Gottes-
urteil handelt. Dass der Rückgriff auf diese Beweismittel mit modernen Rechtsvorstel-
lungen unvereinbar ist, macht es leicht, anachronistisch zu argumentieren und von
dieser Feststellung auf das Verdikt der Rückständigkeit des mittelalterlichen Rechts
und der mittelalterlichen Gesellschaft insgesamt zu verfallen. In dem Maße wie Recht
jedoch Teil des Weltbildes" und damit primär ein kulturelles System ist, gilt auch das
Beweisrecht als »Ausdruck der Kultur und kann nur in diesem Zusammenhang ver-
standen werden.«^ Was im Laufe der Jahrhunderte als aussagekräftig für Schuld oder
Unschuld angesehen wurde, ist weit mehr als eine rein juristische Angelegenheit, son-
dern eine wahrhaft soziale Frage, denn es geht um Grundwerte menschlicher Existenz
und menschlichen Zusammenlebens: um Glauben und Glaubwürdigkeit; um Vertrau-
en; um das, was als wahr, ehrlich, aufrichtig gelten darf. Zu fragen ist also zum einen
nach den Instrumenten, die Glaubwürdigkeit hersteilen, zum anderen nach ihrer Funk-
tionsweise. Bezogen auf den gerichtlichen Zweikampf bedeutet dies: Wird er einzig als
ein Stück angewandte Religion^" als Gottesurteil, legitimiert oder gibt es andere Be-
gründungen für seine Rechtmäßigkeit?
Probleme bei allen Klassifikationsversuchen bereitet zunächst das System der Or-
dale allgemein und die Frage nach der Bedeutung des gerichtlichen Zweikampfes als
Teil dieses Systems." Schon in der älteren Forschung ist die Zugehörigkeit des gerichtli-
chen Zweikampfes zu den Gottesurteilen höchst umstritten: Die bereits skizzierte Fra-
ge nach dem Ursprung des dMcHM7?i wurde zunächst modifiziert. So versuchte eine Rei-
he von Arbeiten zu klären, ob der Zweikampf nachträglich den Gottesurteilen
subsumiert und damit erst im Nachhinein religiös legitimiert wurde oder ob er seit je-

38 Vgl. zum Bereich rituelles Handelm den Forschungsüberblick von REXROTH: Rituale und Ri-
tualismus. Zu Bezügen zwischen rituellem Handeln und Recht vgl. den Sammelband DucH-
HARDT/MELViLLE: Spannungsfeld.
39 Eine Annäherung an den Zweikampf aus kulturwissenschaftlicher Perspektive liefert FRIED-
RICH: Symbolische Ordnung.
40 Vgl. KANNOWSRi: Rechtsbegriffe, S. 8.
41 ScHMOECKEL: Humanität und Staatsraison, S. 4.
42 Die Formulierung ist angelehnt an den Lehrsatz Karls von Amira zum Recht des Mittelalters:
»Recht ist geradezu angewandte Religion« (AMIRA: Germanisches Recht 1, S. 215). Allerdings
verneint Amira die Vorstellung von der göttlichen Herkunft des Rechts für die Germanen;
vgl. SEE: Altnordische Rechtswörter, S. 104-105.
43 An erster Stelle zu nennen sind zwei voluminöse Forschungsarbeiten, die trotz ihres Alters
noch immer wertvolle Informationen und Quellenbelege liefern: PATETTA: Le ordalie; NoT-
TARP: Gottesurteilstudien. - Vgl. außerdem den knappen Überblick zur Historiographiege-
schichte der Ordale von RADDING: World Made by Men, S. 8-16.
 
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