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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0101

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III. Wie? - Regelwerke und Verlaufsprotokolle

letztlich erst möglich macht. Welchen Gesetzmäßigkeiten folgt nun diese Auseinander-
setzung?
Die Darstellung des Kampfes ist, gemessen an der Vorgeschichte, ausgesprochen
knapp ausgefallen. Der Chronist thematisiert weder fromme noch juristische Zeremo-
nien und richtet den Blick direkt auf den Kampfplatz. Dort erscheint der Herr von Har-
court und zwar ausstaffiert mit dem Lilienwappen, dem Abzeichen des französischen
Königshauses, was die Verbindung zu seinem Bürgen und Fürsprecher Karl von Valois
verdeutlicht. Sein Gegner Tancarville findet keine Erwähnung und auch der Kampf
wird kaum kommentiert. In dem Hinweis, die Herren kämpften sehr tapfer, ist alles
Wesentliche enthalten. Es gibt keine verbalen Provokationen, keine fiesen Tricks, keine
brutalen Zerfleischungsversuche, die man Tancarville und Harcourt vielleicht nach der
Vorgeschichte zugetraut hätte. Sobald die beiden den Kampfplatz betreten, verhalten
sie sich laut Aussage des Chronisten genau so, wie man es im Idealfall von Leuten ihres
Standes erwartet. Die Rechnung geht auf: Wer in die Schranken tritt, wird zum Teil ei-
ner Maschinerie und funktioniert so, wie es vorgeschrieben ist. Im unter herrschaftli-
cher Oberaufsicht ausgefochtenen wird >geregelte< Gewalt ausgeübt. Und es ist
Philipp der Schöne, der als oberste Kontrollinstanz von entscheidender Bedeutung ist:
Er kann mit einem schlichten >Ho< die beiden Kämpfenden zum Anhalten bewegen.
Mehr noch, er kann, was vorher unmöglich schien, eine Versöhnung herbeiführen. Er
ist auf einmal der Regisseur, der die vormals so renitenten Herren Harcourt und Tan-
carville wie Marionetten hin- und herbewegen kann. Wenn also einer in diesem Kampf
gewonnen hat, dann ist es Philipp der Schöne: Er hat zwei >Ausreißer< in seine Ordnung
zurückholen können; er ist derjenige, der darüber befindet, wann, wie und wo im Rah-
men dieser Ordnung Gewalt angewendet werden darf. Und er ist großzügig, sofern sein
Herrschaftsanspruch respektiert wird. Dies haben Harcourt und Tancarville mit der
Anerkennung der Zweikampfregeln bewiesen. Philipp der Schöne belohnt sie mit der
Erhebung in den GrafenstandA" Das Ende der Gewalt wird besiegelt durch die Herr-
schaftskompetenz des Königs und den sozialen Aufstieg der Kombattanten.

111.2.3 Fallstudie 3: Triumph der Gewalt?
Der Chronist hat im vorgestellten Fall von Harcourt und Tancarville einen sehr harmo-
nischen Zweikampfverlauf gestaltet, in dem das Rechtsritual zum sozialen Ordnungs-
faktor ausgedeutet wird. Das ist jedoch nicht immer so. Mitunter avanciert gerade der
Kampfplatz zum Ort wahrer Gewaltorgien, bei denen kein Regelungsmechanismus
mehr greift und jede Kontrollinstanz wirkungslos ist.
Als sich 1126 herausstellte, dass die nach der gräflichen Familie mächtigste Sippe
Flanderns, die Erembalde, serviler Abstammung und somit Eigenleute des Grafen
waren/'' kam diese Feststellung einer existenziellen Bedrohung gleich. Eine gütliche
Beilegung des Konflikts war unmöglich. Die Auseinandersetzungen kulminierten im

470 De facto erfolgt die Erhebung in den Grafenstand in beiden Fällen erst im 14. Jahrhundert; vgl.
MATTEjiET, Ulrich: Art. Harcourt, Herren vom. In: LexMA 4, Sp. 1931-1932 und AuiRAND,
Frangoise: Art. >Tancarville<. In: LexMA 8, Sp. 454-455.
471 Vgl. dazu Kap. V.l.l.
 
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