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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0033

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II. Wo? - Gerichtshoheiten und Schauplätze

Im Folgenden wird daher zunächst skizziert, welcher Stellenwert dem gerichtli-
chen Zweikampf vor einzelnen Gerichten zukommt, um dann zu überprüfen, inwie-
fern die rechtlichen Positionszuweisungen ihre Entsprechung in typischen Schauplät-
zen gefunden haben. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf der Verankerung des
düdhüT! in der Erinnerungskultur der Zeitgenossen; denn nur mithilfe erzählender
Quellen lässt sich eine annähernde Vorstellung davon gewinnen, was als >rechter Ort<
für den gerichtlichen Zweikampf galt.

11.1 Gerichtshoheiten

Recht ist ein beweglich Ding. - Dieser Lehrsatz scheint sich im Falle des düdhüT! auf den
ersten Blick nicht zu bestätigen, liegen doch zwischen der ersten schriftlichen Erwäh-
nung dieses Phänomens in der frühmittelalterlichen Lex BtuytutditutTW! und den Datie-
rungsvorschlägen zum letzten gerichtlichen Zweikampf< weit über 1000 Jahre." Be-
weist dies nun die Erstarrung einer Norm, die Beharrungskraft eines archaischen
Rechtsinstituts? Oder illustriert gerade die lange juristische Lebensdauer des gerichtli-
chen Zweikampfes die Beweglichkeit und Wandlungsfähigkeit dieses Rechtsmittels -
und damit auch die stete Veränderung seiner rechtlichen und sozialen Rahmenbedin-
gungen sowie seiner Legitimationsbasis? Die Aufgabe, die sich aus diesen Fragen
ergibt, scheint klar: Möglichst viele rechtliche Bestimmungen zum gerichtlichen Zwei-
kampf müssen gesichtet und ausgewertet werden, um eine abschließende Antwort zu
seinem Stellenwert im mittelalterlichen Rechtsgefüge liefern zu können. Jedoch: Die
Zeiten unvoreingenommener Rechtsbetrachtung sind vorbei. Niemand kann sich mit-
telalterlichen Rechtsverhältnissen annähern ohne auf zentrale Analysekategorien und
etablierte Interpretationsansätze zurückzugreifen. Und so ist alles Nachdenken über
den gerichtlichen Zweikampf gebunden an und durch das Reden über >das Recht des
Mittelalters<. Charakteristisch dafür ist, wie so oft, das Sprechen in Gegensätzen: Be-
griffspaare wie Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Irrationalität und Rationalität, Tradi-
tion und Gelehrsamkeit kontrastieren eindrucksvoll miteinander, verweisen auf tief
greifende Wandlungsprozesse innerhalb eines Jahrtausends und dienen somit als Sig-
num für die jeweilige Verfasstheit der mittelalterlichen Gesellschaft. Auch das dMdhuT!
lässt sich nach Ansicht der Forschung problemlos dem einen oder dem anderen Begriff
zuordnen. Die passenden Schlagworte für dieses Phänomen und die (Rechts-)Welt, der
es angehört, scheinen bereits gefunden, doch es bleibt zu fragen, ob die Schlüssel zum
Verständnis mittelalterlichen Rechts in diesem Falle nicht nur Türen öffnen, sondern
auch versperren.

86 Formaljuristisch war z. B. in England auch im 19. Jahrhundert noch der Rückgriff auf den ge-
richtlichen Zweikampf möglich; die entsprechenden Paragraphen wurden erst geändert,
nachdem 1818 eine Forderung im Court of King's Bench vorgebracht wurde; vgl. JEWELL: Eng-
lish Local Administration, S. 149 und BAKER: Introduction, S. 87.
 
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