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Neumann, Sarah; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil, Wettstreit, Ehrensache — Mittelalter-Forschungen, Band 31: Ostfildern, 2010

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https://doi.org/10.11588/diglit.34909#0029

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28

I. Einleitung

1.4 Offene Fragen

Deutlich wird durch diese Zusammenfassung von Forschungsansätzen und Begriffs-
bestimmungen vor allem eines: Das Spektrum an Zugangsmöglichkeiten zum Phäno-
men gerichtlicher Zweikampf< ist ungeheuer breit gefächert, doch ist dieser Facetten-
reichtum bisher nicht besonders intensiv genutzt worden, so dass die Teilergebnisse
einzelner Fachrichtungen nach wie vor recht unverbunden nebeneinander stehen, gar
um die Deutungshoheit für dieses Phänomen konkurrieren. Dabei scheint eine Ver-
knüpfung der skizzierten Forschungsansätze ebenso vielversprechend wie gefährlich:
vielversprechend, weil gerade eine integrative kulturwissenschaftliche Zugangsweise
thematische und methodische Öffnungen zulässt und so bekanntes Material neu be-
leuchtet, weniger bekanntes (wieder)entdeckt werden kann/' Gefährlich, weil leicht
Versatzstücke verschiedener Forschungsansätze in den Dienst linearer Entwicklungs-
modelle gestellt werden könnten, deren Dominanz als >Allheilmittel< für die Sehnsucht
nach Kontinuität nach wie vor ungebrochen scheint, obwohl in der Forschung zuneh-
mend Misstrauen gegen die »>große< teleologische Erzählung«^ angemahnt wird. Es
muss also ein Zugang zum gerichtlichen Zweikampf gefunden werden, der einerseits
die Einbindung verschiedener Forschungsansätze erlaubt, andererseits vor voreiliger
Modellbildung schützt: Grundvoraussetzung dafür ist, die vorhandenen Quellen nicht
nach ihrem jeweiligen Erkenntniswert für Theorie und Praxis oder Ideal und Wirklich-
keit eines mittelalterlichen Rechtsmittels zu unterteilen und entsprechend zu hierarchi-
sieren, sondern sie als gleichermaßen wichtig und richtig für die Analyse des
anzuerkennen. Dies muss eine Analyse sein, die den vermeintlichen Antagonismus von
Fakten und Fiktionen aufgibt und sich erstens der Frage widmet, wie das in den
Quellen präsentiert, legitimiert und funktionalisiert wird, um zweitens seine Bedeu-
tung genauer darstellen zu können, oder besser: seine möglichen Bedeutungsvarianten;
denn dass ein derart komplexes und langlebiges Phänomen wie der gerichtliche Zwei-
kampf seine Plausibilität auf Eindeutigkeit gründet, ist kaum denkbar. Zumal er sich in
dem anfangs skizzierten Spannungsfeld von subjektivem Rechtsempfinden, objektiven
Rechtsnormen und Vorstellungen von göttlicher Gerechtigkeit bewegt, das ihn per se
auf ein Konzept der Mehrdeutigkeit verpflichtet und ein Bedeutungsspektrum vom
gewöhnlichen Rechtsmittel über die >fromme Zeremonie< bis hin zur >Frage der Ehre<
nebst zahlreichen Zwischenstufen eröffnet oder zumindest möglich erscheinen lässt.
Auf der Basis einer solchen Bestandsaufnahme von Bedeutungsvarianten innerhalb des
Typus gerichtlicher Zweikampf< kann dann die Frage nach dem Bedeutungswandel
des &/AÜU77 erneut gestellt werden: Erweisen sich am Ende doch aufgrund zeitlicher
und räumlicher Konjunkturen lineare Entwicklungsmodelle als die tragfähigeren Kon-
zepte zum Geschichtsverständnis? Oder findet die Skepsis gegenüber einem »zeitlichejn]
Nacheinander von Bedeutungen«"" ihre Bestätigung? Sind alternative Modellbildungen

78 Vgl. BRAUN/HERBERiCHs: Gewalt im Mittelalter, S. 8.
79 BRAUN/HERBERiCHs: Gewalt im Mittelalter, S. 13 (bezogen auf die Zivilisationstheorie von
Norbert Elias, die die Spezifik vormoderner Gewaltregulierung und latente Gewaltsamkeit
des bürgerlichen Zeitalters ausblende).
80 ALGAZi: Herrengewalt, S. 9.
 
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